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Politik

»Vom Aufschwung in Leipzig profitieren nicht alle«

Mit dem Mietendeckel und einem stärkeren ÖPNV will Linke-Kandidatin Franziska Riekewald punkten

  »Vom Aufschwung in Leipzig profitieren nicht alle« | Mit dem Mietendeckel und einem stärkeren ÖPNV will Linke-Kandidatin Franziska Riekewald punkten

Kurz vor dem Gespräch mit Franziska Riekewald hat sie auf der Stuttgarter Allee noch Wahlbroschüren verteilt. Bei den älteren Semestern kommt das gut an.

kreuzer: Warum sollten gerade Sie OBM werden?Franziska Riekewald: Leipzig ist jetzt über tausend Jahre alt und es wird langsam Zeit, dass eine ostdeutsche Frau endlich das Zepter in die Hand nimmt. Natürlich stehe ich für Werte, für die die Linke auch steht. Was mich auszeichnet, ist, dass ich gelernte Betriebswirtin bin und eine Lehre als Kauffrau im Außenhandel gemacht habe und nun seit einer Weile in der Lokalpolitik unterwegs bin. Das ist jetzt meine zweite Legislaturperiode, ich war vorher schon in Halle Stadträtin. Es ist ganz wichtig, dass endlich der Fokus auf das gelegt wird, was wichtig ist: auf die gesamte Bevölkerung. Von dem Aufschwung in Leipzig profitieren eben nicht alle, und es gibt immer noch zwanzig 
Prozent Kinderarmut in Leipzig. Das muss sich ändern. Es müssen alle Gesellschaftsschichten wieder in den Fokus der Politik rücken. Das ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen.

kreuzer: Was würden Sie konkret anders machen als Burkhard Jung?Riekewald: Ich würde den Stadtrat noch ernster nehmen. Es ist wichtig, dass man ihn einbindet, da man als Oberbürgermeisterin tatsächlich die Mehrheiten im Stadtrat braucht. Ich würde den Fokus mehr auf alle Stadtteile legen und nicht nur auf die Innenstadt. Die ist ein bisschen das Lieblingskind des Herrn Jung, habe ich das Gefühl. Natürlich müssen wir die Verkehrswende nach vorne treiben und dafür sorgen, dass der Umweltverbund, also Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV, gestärkt wird. Dass die Leute Spaß daran haben, vom Auto weg auf den Umweltverbund umzusteigen. Das sind die Themen, die in den letzten Jahren nicht im Fokus von Jung waren.

kreuzer: Sie haben es gerade schon angesprochen. Wie sieht Ihr Mobilitätskonzept aus?Riekewald: Wir müssen den Umweltverbund stärken und vor allem dafür sorgen, dass auch die Finanzierung stimmt. Das ist in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen. Wir hatten bei den LVB über 45 Millionen Euro, die über den Stadtverbund gekommen sind. Das war natürlich viel zu wenig, gemessen an der Inflation. Jetzt haben die Linke und ich im Stadtrat dafür gesorgt, dass diese 45-Millionen-Euro-Marke aufgeweicht wurde. Wir werden dieses Jahr 56 Millionen an die LVB überweisen. Aber das muss weiter gehen. Wir brauchen einfach eine stabile Finanzierung des ÖPNV.

kreuzer: Und was noch?Riekewald: Wir brauchen auch den Fokus auf den Radverkehr. Sichere Spuren, nicht nur im Innenstadtbereich. Da müssen wir tatsächlich nach draußen gucken. Wenn wir wollen, dass die Leute von Burghausen oder Holzhausen mit dem Fahrrad in die Innenstadt kommen, müssen auch da sichere Fahrradwege sein. Wir brauchen gute Verbindungen. Und das gehört auch zum Umweltverbund dazu: breite Fußwege. Wenn ich mir die letzte Vorlage, die wir beschlossen haben, Kasseler Straße, anschaue, dass da immer noch Fußwege von 2 Meter Breite gebaut werden, obwohl die Standardgröße 2,50 Meter ist! Nur da ist es tatsächlich möglich, dass zwei Kinderwagen aneinander vor-
beifahren, oder ein Rolli-Fahrer und ein Kinderwagen. Das wäre für mich ein Standard, der nicht unterschritten werden darf. Das ist eben ein Verbund, der gestärkt werden muss, damit der private Autoverkehr in der Stadt eingeschränkt wird. Weniger über Verbote, mehr über Anreize. Es ist wichtig, denn das Auto ist in Leipzig immer noch der größte CO2-Ausstoßer.

kreuzer: Was ist Ihre Antwort auf die steigenden Mieten und die Wohnungsknappheit?Riekewald: Ein anderer Schwerpunkt meines Wahlprogramms – der Mietendeckel. Und wir müssen Sozialwohnungen bauen. Natürlich ist Bauen richtig, aber wir müssen auch schauen, was wir bauen. Es darf nicht dazu führen, dass die Wohnungen für zwölf oder dreizehn Euro pro Quadratmeter vermietet werden, wie es jetzt normal ist. Das kann sich in Leipzig niemand leisten. Das Durchschnittseinkommen liegt hier bei 1.100 Euro im Haushalt. Dann weiß man, was rauskommt, wenn man sagt, 30 Prozent ist das Maximale, was für Miete ausgegeben werden sollte. Wir müssen die Investoren in die Pflicht nehmen, bei den Neubauprojekten mindestens 50 Prozent an Sozialwohnungen entstehen zu lassen. Wir müssen die kommunale LWB stärken und sie wieder mehr in die Pflicht nehmen, Wohnungen zu schaffen. Vor allem im günstigen Segment.

kreuzer: Haben Sie schon konkrete Projekte im Blick, die Sie direkt anstoßen wollen, wenn Sie gewählt werden?Riekewald: Die LWB in die Verpflichtung zu nehmen zu investieren, ist schon sehr konkret. Ebenso mit Investoren direkt das offene Gespräch zu suchen. Die wollen in der Stadt Geld verdienen und das ist ihr gutes Recht. Aber was kommt dabei für die Zivilgesellschaft raus? Da muss man noch intensiver mit den Investoren reden und klarmachen, was wir als Stadt erwarten, wenn jemand nach Leipzig kommt und investieren möchte.

kreuzer: Soziale Gerechtigkeit oder nachhaltige Ökologie?Riekewald: Das eine geht nicht ohne das andere. Ich rede immer von der sozialökologischen Wende. Das
ist das, was uns von den Grünen unterscheidet. Bei uns wird immer das Soziale mitgedacht. Es muss sich einfach jeder leisten können, ökologisch zu leben. Im Moment kann man es sich nicht leisten, von einem Hartz-IV-Einkommen Bio-Fleisch zu essen. Oder auf das Auto zu verzichten – weil die Straßenbahn zu teuer ist. Es ist wichtig, dass nicht nur die Bevölkerung in die Pflicht genommen wird. Auch die Industrie muss verpflichtet werden, ökologisch zu produzieren. Das wird in der Diskussion in letzter Zeit immer vergessen. Auf kommunaler Ebene bedeutet das, dass beispielsweise beim Klimanotstand die soziale Komponente mitgedacht wird.

kreuzer: Was fehlt Leipzig?Riekewald: Leipzig fehlt eine Oberbürgermeisterin, die tatsächlich die Themen in den Fokus rückt, die wichtig sind. Zum Beispiel die soziale Komponente, damit das »Hypezig« tatsächlich eines für ganz Leipzig ist, und nicht nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Schauen Sie sich den Sozialreport an: Ja, die Bevölkerungsgruppe, die gut verdient, wächst. Aber die Bevölkerungsgruppe im Niedriglohnbereich wächst ebenfalls. Das gehört zur Wahrheit dazu und wird immer vergessen.

kreuzer: Auf einem Wahlforum sagte Burkhard Jung, dass nicht alles Chefsache sein kann. Was würden Sie innerhalb der nächsten sieben Jahre zur Chefinnensache erklären?Riekewald: Ganz klar würde ich mir die verfehlte Liegenschaftspolitik der vergangenen Jahre auf den Tisch ziehen. Das ist der Grundstock, um die steigenden Mieten etwas aufzuhalten. Indem man in Liegenschaften investiert. Vielleicht auch vorab, wenn man noch nicht weiß, was mit der Liegenschaft beziehungsweise dem Grundstück passiert. Bei meinem Steckenpferd Verkehr würde ich natürlich nicht alles selbst machen wollen, aber mir ein großes Mitspracherecht auf den Tisch ziehen. Da muss man anders kommunizieren, um tatsächlich die Verkehrswende zu schaffen.


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