An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Februar-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe erzählt, was einen jungen Landesminister mit Vollbart von einem ehemaligen Polizeipräsidenten mit unaussprechlichem Namen unterscheidet – und verkündet selbst ein Wahlergebnis.
Sieben Jahre dauert die reguläre Amtsperiode eines Leipziger Bürgermeisters. Nach der Wende hat Leipzig auch erst drei Oberbürgermeister gesehen: Hinrich Lehmann-Grube, Wolfgang Tiefensee und Burkhard Jung. Lehmann-Grube, ein Hannoveraner, ließ sich noch zu DDR-Zeiten einbürgern, um Leipzigs OBM zu werden. Tiefensee machte kurz nach seiner Wiederwahl 2005 die Mücke und wurde Bundesverkehrsminister. Beide erlangten bereits während ihrer Amtszeit einen gewissen Legendenstatus und standen für Leipzigs Ruf als sagenumwobene Metropole im Wilden Osten, gefangen zwischen Boom und Armut.
Burkhard Jung wiederum ist seit 14 Jahren im Amt, fast so lange wie die Bundeskanzlerin. Es gibt inzwischen eine ganze Generation junger Leipziger, die keinen anderen Oberbürgermeister kennt. Und nun will Jung es also ein drittes Mal versuchen. Bei der letzten Wahl 2013 hatte er leichtes Spiel – sein Herausforderer war ein ehemaliger Polizeipräsident mit unaussprechlichem Namen. Stellen Sie sich mal vor, Horst Wawrzynski von der CDU wäre wirklich OBM geworden vor sieben Jahren – als Leipzig noch kein Hypezig war und der Stadt auch der ganze Legida-Kram noch bevorstand. Welche Figur hätte er gemacht im Lichte der internationalen Presse und auf der Straße beim Protest gegen Legida? Wäre er da überhaupt hingegangen, vorneweg, oder hätte er gesagt: Nein, mit Linksextremen geh ich nicht? Wäre es die Dresdenisierung Leipzigs geworden? Man weiß es nicht.
Nun jedenfalls gibt es einen Herausforderer anderer Güteklasse – zumindest äußerlich. Sebastian Gemkow ist nicht nur Spross einer echten sächsischen Politiker- und Offiziersfamilie sowie erfahrener Landesminister, sondern auch noch jung und mit Vollbart! Auf Wahlplakaten präsentiert er sich mit Kind, Cop und Kegel – und vor allem mit dem Fahrrad. Sollte Gemkow es schaffen, einen Teil der im Herzen konservativen Ex-Hipster-jetzt-Family-Mittelschicht anzusprechen und gleichzeitig die stabilen 25 Prozent CDU-Wähler in Leipzig, dann könnte er eine Chance haben.
In unserem großen Interviewreigen ab Seite 12 haben wir Jung und Gemkow sowie die Kandidatinnen von Grünen, Linkspartei und AfD befragt. Aus Platzgründen mussten diesmal ein paar Rubriken ausfallen, so finden Sie in diesem Heft keine Kommentare und auch kein Interview des Monats – die kommen im nächsten kreuzer aber wieder.
Übrigens haben wir die Idee, zum Jahresende ein Heft mit Leserthemen zu machen. Also, falls Sie ein Thema wissen, das in der Stadt Leipzig spielt und mit dem sich der kreuzer mal beschäftigen sollte, schicken Sie uns Ihre Vorschläge! Gern mit einer Möglichkeit der Rückmeldung, aber gern auch anonym. Wichtig: Werden Sie maximal konkret! Kein Geschwurbel! Denken Sie wie ein investigativer Journalist. Wo gibt es einen Missstand? Wo sollte man mal ganz genau nachgucken? Wer könnte Auskunft geben? Entwickeln Sie eine These – wie in der Wissenschaft: falsifizierbar bitte! Welche alte Geschichte wurde von der Presse komplett vergessen? Ideen und Vorschläge nehmen wir ab sofort entgegen. Melden Sie sich bei uns, Sie finden einen Weg. Ich bin sehr gespannt!
Und nun habe ich das Vergnügen, selbst ein Wahlergebnis zu verkünden. Sie haben abgestimmt und das beste kreuzer-Cover des Jahres 2019 gewählt, hier können Sie die Ergebnisse anschauen. Gewonnen hat mit 21 Prozent der Stimmen das Titelblatt unseres Oktoberheftes, in dem es um 1989 und »Die verlorene Revolution« ging. Abgebildet ist ein Demonstrant während der Montagsdemonstration in Leipzig. Fun Fact für alle Seriengucker: Auf dem Foto erkennt man (links im Bild) deutlich den König des Nordens, John Snow, bekannt aus der Serie »Game of Thrones«. Welch verschrobene Magie ihn wohl ins Leipzig des Jahres 1989 geführt haben mag?
Hauen Sie rein!