Katharina Hoppe spricht seit Juli 2019 in ihrem Podcast »Bibliotop« über Literaturthemen wie Nachhaltigkeit in der Buchbranche, Zensur und Bücherschmuggel. Dabei fördert die studierte Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin so manchen buchwissenschaftlichen Schatz zutage.
kreuzer: Wie kam es dazu, dass Sie ausgerechnet einen Podcast, also ein Hörformat, über Bücher machen wollten?KATHARINA HOPPE: Ich selbst bin eine leidenschaftliche Podcasthörerin und finde das Format sehr eingängig. Gerade für jüngere Generationen ist das sehr interessant, und die versuche ich ja auch zu erreichen, weil die Begeisterung für buchwissenschaftliche Themen oder das Büchersammeln hier nicht mehr so da ist. Ein auditives Medium erleichtert den Zugang – einen Blogartikel zu diesen Themen zu lesen, ist da schon eine größere Herausforderung.
kreuzer: Sie haben schon Sendungen über Vampire und Mumien in Bibliotheken gemacht. Wie stoßen Sie auf Ihre Themen?HOPPE: Die fliegen mir praktisch im Schneeballeffekt zu. Sobald ich ein Fachbuch öffne, um ein Thema zu recherchieren, ergeben sich zahlreiche neue Themen, die an der Stelle vielleicht nur eine Nebenrolle spielen. Durch meinen Nebenjob als studentische Hilfskraft im Archiv der Leipziger Buchwissenschaft, dem Bibliotop, nach dem der Podcast benannt ist, konnte ich zur Genüge durch diese Bücher blättern. Das Bibliotop ist wie eine Wohnung voller Bücherregale – eine Wonne für jeden bibliophilen Menschen – mit allerlei Romanen, aber auch Fachliteratur zu Themen wie Verlagsgeschichte, Rezeptionsforschung und Buchhandelsforschung.
kreuzer: Und nachdem Sie eine Weile herumgeschmökert haben, nehmen Sie die Folge auf?HOPPE: Nun, ich recherchiere vorher noch nach weiteren Titeln zum Thema, das können auch mal bis zu sechs Bücher werden. Während des Überfliegens mache ich dann Notizen, die ich im nächsten Schritt nach größeren Themengebieten ordne. Aus diesen Stichpunkten entsteht dann der Text. Ich nehme nicht mit Stichpunkten auf, weil ich nicht die beste freie Sprecherin bin. Gerade bei wissenschaftlichen Themen ist es aber wichtig, präzise zu sein. Dann setze ich mich in mein Wohnzimmer, mit der Katze auf dem Schoß, und nehme den Text auf. Es folgt der Schnitt und zum Schluss lade ich die Folge hoch. Wie lange das dann insgesamt dauert, hängt von der Komplexität des Themas ab und dem Vorwissen, das ich mitbringe. Fakt ist aber, dass ich da schon zwei bis drei Tage dran sitze, mit einem klassischen Vierzig-Stunden-Job wäre das nicht so vereinbar.
kreuzer: Ihre aktuelle Folge handelt ja von Bücherdieben. Da zitieren Sie eine Studie, die besagt, dass 75 Prozent der Buchdiebstähle durch das Personal begangen werden. Ein recht überraschendes Ergebnis, oder?HOPPE: Es ergibt schon Sinn, schließlich weiß das Personal am besten, wo die Schätze einer Sammlung stehen. Im Bibliotop wusste ich ja auch, was der geile Scheiß ist und sich zu stehlen lohnen würde. Trotzdem muss man die Zahl mit Vorsicht genießen, die stammt von 1994 und bei dieser Untersuchung konnte man nur bekannte Diebstähle auswerten – die Dunkelziffer ist ja logischerweise unklar. Dazu kommt, dass nicht jedes fehlende Buch gestohlen wurde. Es gibt oft auch Verbuchungs- oder Rückstellfehler. Es muss ja nur mal jemand ein Buch ins falsche Regal zurückstellen. Dann taucht es in keinem System mehr auf. Auch bei der Neuordnung der Bibliothekssysteme »verschwinden« Bücher, die faktisch noch im Gebäude sind. Es gibt eine Studie von 2014, laut der nur noch 15 Prozent der Buchdiebstähle vom Personal begangen werden, davon sind 7 Prozent Bibliothekarinnen und Bibliothekare, der Rest gehört zum Wachpersonal oder anderen Tätigkeitsfeldern.
kreuzer: Um Bücher zu schützen, wurden sie ja oft mit Sprüchen versehen: »Der dies wegträgt, soll es mit dem Tode büßen und in der Hölle gesotten werden; Fallsucht und Fieber sollen ihn plagen; auf Rad geflochten und gehenkt soll er werden!« Das stammt aus einem Buch aus dem 13. Jahrhundert. In einer vatikanischen Handschrift heißt es: »Sei samt Judas, dem Verräter, sowie mit Hannas, Kaiphas und Pontius Pilatus zusammen verbannt.« Bei amerikanischen Studierenden stand im Einband: »This book is one, my fist is another, if you steal the one, you’ll feel the other.«HOPPE: Ja, die Maßnahmen zum Schutz der Bücher, aber auch die Diebstähle selbst sind oft sehr kreativ. Bücherdiebstahl hat ja schon eher den Ruf eines Kavaliersdelikts.
kreuzer: Obwohl die verschiedenen historischen Fälle, die Sie ausgegraben haben, auch zeigen, wie ernst die Sache werden kann. Ein in Leipzig begangenes Verbrechen aus Bücherliebe forderte sogar Todesopfer.HOPPE: Der Mann, um den es da ging, hieß Johann Georg Tinius, der es trotz seiner Geldprobleme immer wieder geschafft hat, größere Buchbestände zu erwerben. Um die Dimensionen mal zu verdeutlichen: 1810 erwarb er auf einer Auktion eine ganze Privatbibliothek mit knapp 11.000 Büchern. Zwei Jahre später starb ein Kaufmann an den Folgen einer Kopfverletzung bei einem Überfall in seiner Wohnung in Leipzig. Wertpapiere im Wert von 3.000 Talern wurden dabei entwendet. Und nur wenige Tage später kaufte Tinius für 2.000 Gulden eine weitere Privatbibliothek. Ein Jahr später ereignete sich ein ähnlicher Vorfall. Eine vermögende Witwe wurde, an einer Kopfverletzung sterbend, von ihrer Dienstmagd aufgefunden. Die Magd kannte Tinius allerdings, er wurde verhaftet und saß bis 1835 im Gefängnis. Innerhalb von 24 Jahren hatte er schätzungsweise 40.000 bis 60.000 Bücher angesammelt. Das entspräche umgerechnet mindestens 222 Billy-Regalen. Wobei seine Schuld bis heute nicht einwandfrei bewiesen werden konnte. Heute würde er wegen mangelnder Beweise wohl freigesprochen.
kreuzer: Was für eine psychische Disposition bringt einer wie Tinius denn mit, dass Bibliophilie so drastisch endet?HOPPE: Bibliomanie ist der Begriff für diese krankhafte Sucht. Das übersteigt also schon weit die harmlose Form der Bibliophilie, der Bücherliebe.
kreuzer: Hand aufs Herz. Haben Sie schon mal ein Buch geklaut?HOPPE: Hin und wieder habe ich vielleicht mit dem Gedanken gespielt. Aber selbstverständlich würde ich das nie tun. (lacht)