Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. In dieser Woche hat sich Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz auf eine lange Reise begeben
Es kann ja auch entlastend sein, keine Ausflüge mehr planen zu können: Da bleibt einem nichts anderes übrig, als sich auf dem Sonnenfleck in der Küche einzurichten und ein Buch herzunehmen. Ganz ohne schlechtes Gewissen.
Idealerweise hat so ein Buch mehr als 500 Seiten, ist Teil einer nicht abgeschlossenen Reihe, weder unter- noch überfordernd. Es vermittelt einem das Gefühl, man habe sich tausende von Kilometern und unzählige Jahrhunderte aus der eigenen Wohnung - ach was! - dem eigenen Leben, entfernt. Meistens können wir als Jugendliche mehr mit solchen Büchern anfangen, denn Erwachsene neigen leider zu Fantasielosigkeit und Pragmatismus. In ihrer freien Zeit hören sie nur noch Sachbücher, deren Inhalt in fünfzehn Minuten gepresst wurde.
Wesentlich schöner ist es, die Zeit zu vergessen statt sie zu optimieren. Das gelingt mit ausufernden Romanen wie dem neuesten Band der »His Dark Materials«-Reihe des Briten Philip Pullman, dessen deutsche Übersetzung dieses Frühjahr im Carlsen Verlag erschienen ist. Zur Erinnerung: Lyra, die im Oxford einer Parallelwelt als Halbwaise im Jordan-College lebt, wird in die politischen Ereignisse des Landes verwickelt, das kurz vor einem Krieg steht. Sie muss mit ihrem Dæmon Pan, der in Tiergestalt ihre Seele verkörpert und ihr engster Begleiter ist, verschiedene Welten bereisen und gegen die Machenschaften der mächtigen Kirche vorgehen.
Im neuen Buch »Ans andere Ende der Welt« begegnen wir ihr wieder. Sie ist mittlerweile Studentin und ihre schicksalhafte Biografie natürlich wieder aufs engste mit den politisch-religiösen Verirrungen des Landes verknüpft. Wer die ersten Teile nicht kennt, darf einfach von vorne anfangen mit »Der goldene Kompass«, »Das magische Messer« und »Das Bernstein-Teleskop«, sich dann in der Vorgeschichte zu allen drei Teilen »Über den wilden Fluss« verlieren. Nach diesen 2000 Seiten kann man dann auch noch getrost die 748 Seiten des neuen Romans verschlingen.
Pullman erhielt für seine Bücher unter anderem den Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis und hat mit »His Dark Materials« die Diskussion um den politischen Einfluss christlicher Fundamentalisten literarisch befeuert.