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Kultur

Von Melancholie und Verzweiflung

»Die Verunglückten« von Matthias Bormuth gibt anhand von vier Biografien Einblicke in den Umgang mit den Nazi-Verbrechen

  Von Melancholie und Verzweiflung | »Die Verunglückten« von Matthias Bormuth gibt anhand von vier Biografien Einblicke in den Umgang mit den Nazi-Verbrechen

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal taucht Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz in eine Geistesgeschichte der Unglücklichen ein.

Menschen haben unterschiedliche Gründe ein Buch zu lesen. Für den Kulturwissenschaftler Matthias Bormuth ist es der: Bücher sollen Schmerzen verursachen, einen ins Unglück stürzen. Warum Lesen nicht immer Spaß machen muss? »Man fühlt sich geschlagen und spürt zugleich den Gewinn, der in der existentiellen Zumutung des Gelesenen liegt.«

Diese Feststellung liegt der Auswahl aussergewöhnlicher Denkerinnen und Denker zugrunde, deren Leben und Werk Bormuth in vier biografischen Essays unter dem Titel »Die Verunglückten« vorstellt. Wie eng das Leiden der »säkularisierte[n] Passionsgeschichten« von Jean Améry, Ingeborg Bachmann, Ulrike Meinhof und Uwe Johnson mit dem Umgang der Nazi-Verbrechen verknüpft ist, zeigt der Professor für vergleichende Ideengeschichte mittels zahlreicher Bezüge: Zu den Intellektuellen, die das Schweigen nach Kriegsende nicht ertrugen, die den Schrecken zu beschreiben versuchten und sich an das Denken Hannah Arendts anlehnten oder von ihm abstießen. Dazu zählen Améry, als Zeuge und unfreiwilliges »Berufs-Nazi-Opfer« und Bachmann, die »vom Leiden der Zeit spricht«. Außerdem Johnson, der laut Arendt mit »Jahrestage« »ein Dokument, und zwar ein gültiges für diese ganze Nach-Hitler-Zeit« vorgelegt hat und zuguterletzt Meinhof, deren »Verwandlung von einer gewissenhaften Protestantin in eine scheinbar skrupellose Terroristin« noch viele Jahrzehnte nach ihrem Tod für Spekulationen gesorgt hat.

Um das oft tragische Ende dieser Biografien nachvollziehbar zu machen, führt Bormuth in die zugrundeliegenden Werke und das Schaffen der vier ein. Er setzt sie in Beziehung zum gesellschaftlichen Diskurs der Zeit und zeigt eindrücklich die Auswirkungen persönlicher und gesellschaftlicher Traumata – »Allen gemeisam ist ein Leiden an der ungerechten Welt«.

Mit »Die Verunglückten« liefert Matthias Bormuth nicht nur eine Einführung in das Werk aussergewöhnlicher Schreibender. Die Zusammenführung der von ihnen beeinflussten Diskurse und die von ihnen ausgefochtenen Kämpfe vermögen auch heute noch unsere Sicht auf die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts entscheidend zu erhellen.


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