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Kultur

Trotz Scheiß eine Chance

Die Leipziger Musikszene macht Druck auf die Politik und hilft sich selbst

  Trotz Scheiß eine Chance | Die Leipziger Musikszene macht Druck auf die Politik und hilft sich selbst

Anders als in anderen Großstädten kämpft die Musikszene in Leipzig um Fördermittel zum Erhalt der Clubszene. Eine Trennung zwischen offiziellen Clubs und Underground ist dabei hinfällig. Sowohl der Verein Livekommbinat Leipzig und die VAK-Initiative haben Unterstützungsangebote geschaffen.

Konzerthallen und Clubs sind dicht, Open Airs und Festivals bis auf Weiteres nicht erlaubt. Alle, die im Veranstaltungssektor ihr Geld verdienen – Musikerinnen und Musiker, Stagehands, Bühnenbau-Crews, die Barschicht, Türsteherinnen und Türsteher – alle sind von ihrer Existenzgrundlage abgeschnitten. Daran, dass baldige Rettung von amtlichen Stellen in Form von unbürokratischen finanziellen Hilfen naht, mochte niemand der Betroffenen, mit denen der kreuzer gesprochen hat, so recht glauben. Zudem drängt sich die Erkenntnis auf, dass Kulturschaffende in der derzeit landläufigen Definition nicht als »systemrelevant« gelten. Mut macht das wohl kaum.

»Ein gezieltes Förderprogramm für den Erhalt der Clubkultur gibt es derzeit in Leipzig nicht. Anders läuft dies beispielsweise in Berlin, Hamburg und Köln, wo die Livemusik-Bühnen und Tanzlocations mit Zuschüssen über viele Millionen Euro gerettet werden«, mahnt der Verein Livekommbinat Leipzig Anfang April in seiner Pressemitteilung unter der Überschrift »Alarmstufe Dunkelgelb« – und drängt darin, wie schon in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung, auf mehr Engagement von Seiten der Stadt. Hilfe dürfe nicht allein von ohnehin finanziell belasteten Bürgern erwartet werden.

Der Verein ist eine sparten- und genreübergreifende Interessengemeinschaft Leipziger Spielstätten. Diese hat bereits Maßnahmen zur Selbsthilfe in die Wege geleitet, so etwa die Aktion Soliticket. Über die Ticketingplattform Tixforgigs, welche selbst massiv bedroht ist und pro Ticket 50 Cent abbekommt, kann gestaffelt gespendet werden: ein solidarischer Beitrag in Höhe von 10 beziehungsweise 25 Euro, für Letzteren erhält man eine Art Blankoticket. Daran ist »momentan noch keine ganz konkrete Gegenleistung oder Datum geknüpft, aber wir arbeiten gemeinsam daran, euch etwas anzubieten«, schreibt die Livekomm auf der Tixforgigs-Website. Eine Investition in die Zukunft also.Die kommt den Spielstätten Noch Besser Leben, Distillery, Werk 2, UT Connewitz, Elipamanoke, Moritzbastei, IfZ, Mjut, TV Club und Conne Island zugute: Corona macht vor Genregrenzen nicht halt, ebenso wenig wie die Solidarität.

Wie steht es in der Krise um die oftmals in rechtlichen Grauzonen operierenden unabhängigen Ladenprojekte, unkommerziellen subkulturellen Räume sowie die Vielzahl an Open-Air-Crews aus dem elektronischen Bereich, die der Volksmund zusammenfassend »Underground« nennt? Darüber sprach der kreuzer mit Gina Sabatini und Fabian Höffner, Ansprechpartner bei VAK. Die Abkürzung, die wie ein einzelnes Wort ausgesprochen wird, steht laut Sabatini »derzeit für ›Veranstaltungskollektive‹. Könnte aber auch heißen: Vor allem Kultur«. Dabei handelt es sich bislang um einen Interessenverband ohne offizielle Rechtsform. »Wir würden uns als Netzwerk bezeichnen«, sagt Höffner. Zum ersten »Gathering« Anfang 2019 kamen Vertreterinnen und Vertreter von fast 40 Kollektiven, mittlerweile stünden mehr als 100 über den zentralen Verteiler des Netzwerks miteinander in Kontakt.

»Wir brauchen eine Stimme auf politischer Ebene, die sich für Subkultur einsetzt«, erklärt Höffner den damaligen Gründungsgedanken. Dieser ist momentan aktueller und einleuchtender denn je. Die VAK darf man sich dabei nicht als eine Art mit der Livekomm konkurrierende Gewerkschaft vorstellen. Schon vor Corona gab es ein Vernetzungstreffen von VAK und Livekomm: »Es gibt ein Spannungsfeld zwischen uns zum Beispiel im Sommer, wenn die Clubs weniger Publikum haben, während die Open Airs mehr besucht werden. Besprochen wurde, wie man zusammenarbeiten kann, damit man sich nicht gegenseitig das Publikum wegnimmt«, sagt Höffner. Selbstverständlich unterstütze man alle Aktionen der Livekomm zur Krise wie beispielsweise das Soliticket. Überhaupt ist eine Trennung von »offiziellen« Clubs und Underground hinfällig. Viele bei VAK organisierte Kulturschaffende veranstalten selbst Partys in Ersteren beziehungsweise gestalten als DJs oder in den Bereichen Lichttechnik und Dekoration Abende mit. Die dort entstehenden Einnahmen machen den musikalischen Wildwuchs im sprichwörtlichen wie buchstäblichen Unterholz, halb- bis illegale Partys drinnen wie draußen, unter anderem erst möglich.

Es sind Einnahmen, die nun fehlen. Die Möglichkeit, das im Sommer durch Festivals auszugleichen, existiert kaum. Auf staatliche Hilfen angesprochen, erzählt Sabatini von der prekären Situation in ihrem Umfeld, Hilfen kämen nicht an und wenn, dann nur in Form von Krediten. »Den Leuten in Leipzig, Sachsen, bleibt gerade eigentlich gar nichts anderes, als Hartz 4 zu beantragen, was ein Unding ist.«

Analog zum Soliticket hat VAK den Solisampler initiiert. »Das wird ein Sampler im Umfang von ungefähr zehn Tracks von verschiedenen Künstlern aus dem Leipziger elektronischen Musikbereich.« Man erhoffe sich von den Einnahmen die Möglichkeit, akut von der Entmietung bedrohte Ladenprojekte finanziell zu unterstützen sowie auch auf die individuelle Notlage der Musikerinnen und Musiker hinzuweisen, »die halt genauso am Arsch sind, wenn ich das jetzt mal so sagen darf«.

Der Sampler wird auf Bandcamp und Soundcloud erscheinen. Bis Mai soll zudem eine Schnittstelle der VAK zur Öffentlichkeit im Internet geschaffen werden. »Über die Verteilung machen wir uns erst einmal keine Sorgen, wir können 120, 130 Kollektive ansprechen, die das dann wiederum über ihre eigenen Mail- und Chatverteiler bekannt geben können.« So können, geht man konservativ geschätzt von jeweils um die 100 bis 150 Empfängern aus, potenziell 12.000 bis 18.000 Menschen auf den Sampler aufmerksam gemacht werden. Kalkuliert man optimistischer und bedenkt den Effekt von Mundproganda in einer Szene, die gerade sowieso kein Gesprächsthema hat außer dem Shutdown, könnten es auch doppelt so viele sein. Da kann einiges an überlebensnotwendigen Spenden zusammenkommen.

Die Lage für die gesamte Szene ist ernst. Andererseits ist das streng genommen schon seit Jahren so, Stichwörter Clubsterben und Gentrifizierung. Die als Reaktion darauf entstandenen Netzwerke beweisen gerade, dass Solidarität Wirkung zeigt, allein darin, dass bei Höffner und Sabatini von Endzeitstimmung nichts zu spüren ist: »Trotz des ganzen Scheiß ist es auch irgendwie eine Chance.«


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