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Stadtleben

»Sie fühlen sich in ihrem Selbstbild angegriffen«

Aktivistinnen im Gespräch über ihre Erfahrungen als Schwarze Frauen in Leipzig

  »Sie fühlen sich in ihrem Selbstbild angegriffen« | Aktivistinnen im Gespräch über ihre Erfahrungen als Schwarze Frauen in Leipzig

»Schwarze Leben zählen« hieß es auf den Demonstrationen. Doch wie steht es um die Realität von Schwarzen Menschen in Leipzig? Darüber sprach der kreuzer mit Anne-Christin Tannhäuser und Tania Walter. Beide sind Teil der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Im ersten Teil dieses Interviews sprechen sie über Diskriminierung an Schulen, ihren Berufsalltag und Alltagsrassismusmücken. Zum zweiten Teil geht es hier.

kreuzer: Frau Tannhäuser, Sie verließen Leipzig, weil sie sich als schwangere Frau nicht vorstellen können, ihr Kind in eine sächsische Kita zu schicken. Wie kommt's?ANNE-CHRISTIN TANNHÄUSER: Ich habe die sächsischen Schutzmechanismen gesucht für Kinder, die von Rassismus betroffen sind und keine gefunden. Daher musste ich davon ausgehen, dass das Wohl meiner zukünftigen Kinder gefährdet ist, weil sie wahrscheinlich rassistische Diskriminierung in der Kita und Schule erleben werden.

kreuzer: Was halten Sie von dem Projekt »Schule ohne Rassismus«?TANNHÄUSER: Projekttage und Weiterbildungsveranstaltungen sind ein erster Schritt. Das reicht nicht. So wie in Berlin brauchen wir auch in Sachsen eine Antidiskriminierungsstelle für die Schule. Studien belegen, dass rassistische Diskriminierung auch von Lehrkräften ausgehen kann. Schwarze Lehrpersonen in deutschen Schulen können ein Lied davon singen.

[caption id="attachment_99335" align="alignright" width="320"] Anne-Christin Tannhäuser[/caption]

kreuzer: Was macht Rassismus mit den Kindern?TANNHÄUSER: Es ist schlecht für den Selbstwert. Außerdem ist es nachgewiesen, dass Rassismuserfahrungen zu Depressionen, Angststörungen und Psychosen führen können. Besonders für die kindliche und jugendliche Psyche ist Rassismus Gift.

kreuzer: Was muss in Schulen passieren?TANNHÄUSER: Es fehlt an verpflichtenden Fortbildungen in der Lehrerausbildung und für bestehende Lehrkräfte. Man darf nicht vergessen: Hier geht es um das Kindeswohl. Deshalb dürfen solche Angebote nicht freiwillig sein. Außerdem müsste Antirassismus ins Leitbild der Schulen verankert werden. Daraus müssen Maßnahmen abgeleitet werden, um rassismuskritische oder rassismusfreie Zukunftsvisionen für Schulen zu entwickeln. Im sächsischen Sozialministerium könnte es ein Referat gegen Diskriminierung im Schulsystem geben. Die deutsche Kolonialgeschichte und antirassistische Bildung sollten in sächsische Lehrpläne aufgenommen werden.

kreuzer: Frau Walter, Sie möchten anonym bleiben. Warum?TANIA WALTER: Das hat zwei Gründe. Erstens kommen manche Menschen in meinem sozialen Umfeld nicht darauf klar, dass ich über meine Rassismuserfahrungen spreche. Sie verharmlosen diese und haben kein Verständnis. So möchte ich vermeiden, von ihnen niedergedrückt zu werden. Zweitens möchte ich nicht von Neonazis angegriffen werden.

kreuzer: Sie sind Innenarchitektin und Designerin. Welche Erfahrungen machen Sie als Schwarze Frau?WALTER: Unterschiedlichste. Daher habe ich mir mein Lebens- und Arbeitsumfeld so eingerichtet, dass ich besser klarkomme. Allerdings hat das nicht immer so gut funktioniert. Als Innenarchitektin wurde ich als Paradiesvogel gesehen. Mir wurde oftmals ein Exotenstatus zugeordnet. Das zeigte sich in Erwartungen, Designs zu liefern, die einen »Afrika-Touch« hatten. Auch der Wunsch, dass ich fragwürdige Kolonialartikel integriere, kam in Gesprächen immer wieder vor.

kreuzer: Ist es inzwischen anders?WALTER: Ja, weil ich mir inzwischen meine Projekte selber aussuche. Früher musste ich alle Projekte annehmen, um ausreichend Geld zu verdienen.

kreuzer: Haben Sie sich damals gewehrt?WALTER: Ich habe eher mit mir selbst gekämpft. Von mir wurden auch flexiblere Arbeitszeiten erwartet. So kam es oft vor, dass ich sonntags um 23 Uhr angefragt wurde, ob ich noch dies und jenes machen könnte. Meinen Kolleginnen passierte dies wesentlich seltener.

kreuzer: Haben das Ihre Mitarbeiterinnen nicht gemerkt?WALTER: Vieles passierte sehr unterschwellig und nicht wirklich klar sichtbar.

kreuzer: Woran liegt das?WALTER: Um solche Dinge wahrnehmen zu können, braucht es eine gewisse Sensibilität. Wenn man einer weißen Person, die kein Bewusstsein für Rassismus hat, die Ungerechtigkeit deutlich machen will, dann wird man als übersensibel abgetan, als würde man da was falsch interpretieren.TANNHÄUSER: Das kommt mir manchmal vor wie ein Mückenschwarm in einer Schrebergartenkolonie. Aus ganz vielen dieser Gärten sehe ich kleine Alltagsrassismusmücken, die auf mich zuströmen. Zu jeder dieser sogenannten Kleinigkeiten können die Menschen sagen: »Du brauchst dich nicht so darüber aufzuregen. Das ist doch nur eine Kleinigkeit.« Sie mögen einzeln klein sein und harmlos wirken, aber die Tausenden Mückenstiche schwächen Betroffene und halten sie von wichtigen Sachen ab. Zum Beispiel dafür zu sorgen, dass Schwarze Menschen nicht mehr im Mittelmeer ertrinken müssen.

kreuzer: Die Designerin und Autorin Jacquelyn Ogorchukwu Iyamah beschreibt den verharmlosenden oder Verhältnisse umkehrenden Umgang mit Rassismus »racial gaslighting« – also als Manipulation, um Rassismus unsichtbar zu machen. Sie haben die Folgen von Rassismus und dieser Manipulation zusammengefasst. Aber wo liegt die Ursache?TANNHÄUSER: Wenn man Rassismen anspricht, hören Menschen nur: »Du bist ein böser Rassist.« Sie fühlen sich dann in ihrem Selbstbild angegriffen. Dabei verinnerlichen alle, die in weißen Gesellschaften sozialisiert werden, Rassismen. Wer sich nicht damit auseinandersetzt, ist verdammt, diese unvermeidbar auszuleben. Sie müssen sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Ein guter Anfang wäre das Buch »Exit Racism« von Tupoka Ogette.


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