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Stadtleben

Debatte follows Form follows Function

Die Diskussionen um das neue Erscheinungsbild der Stadt Leipzig verraten viel über die Krisen der Gegenwart – auch weil das Referat Kommunikation versagt

  Debatte follows Form follows Function | Die Diskussionen um das neue Erscheinungsbild der Stadt Leipzig verraten viel über die Krisen der Gegenwart – auch weil das Referat Kommunikation versagt  Foto: Stadt Leipzig


»Wenn Städte und Gemeinden ein neues Erscheinungsbild präsentieren, ist der Anteil derer, die das neue Design ablehnen, immer größer. In den knapp 20 Jahren, die es das Design Tagebuch gibt, wurde hier noch kein Redesign einer Stadt vorgestellt, das im Umfeld von Social Media überwiegend positiv aufgenommen wurde.« – So schreibt Achim Schaffrinna, Autor und Mitbegründer des Fachblogs »Design Tagebuch« unter der Überschrift »Das neue Corporate Design der Stadt Leipzig« am 10. November.

Als fünf Tage zuvor das neue Erscheinungsbild der Stadt vorgestellt wurde, brach unmittelbar das große Geschrei auf Social Media und in einigen Medien aus. In Zeiten von Krisen, Haushaltssperre und Mittelkürzungen lässt sich Aufmerksamkeitsökonomie mit unterkomplexen Zusammenhängen in Klickzahlen prämieren. So stellten mehrere Medien wie auch die LVZ einfach das Stadtwappen (»Alt«) der aktuellen Wortbildmarke (»Neu«) gegenüber mit der Kostennennung 700.000 Euro – was suggerierte, dass dies für die Gestaltung des Logos ausgegeben wurde (»In Zeiten leerer Kassen!«). Nahe liegen dann Einwände wie »Das kann ich auch!« oder die Auflistung konkreter Sparmaßnahmen und was 700.000 Euro anderswo gebracht hätten.

In diesen ersten Meldungen und den entrüsteten Reaktionen darauf fällt auf, dass bei großem Geschrei nur ein kleiner Teil des neuen Erscheinungsbildes überhaupt beachtet wurde – und zum Beispiel nicht die komplexen neuen städtischen Webseiten, für deren Herstellung und Funktionieren die Berliner Agentur Edenspiekermann verantwortlich ist, oder die von Thomas Thiemich und Fred Smeijers eigens entwickelte Schrift »Leipzig Sans«. Smeijers unterrichtete lange als Professor der Klasse Type-Design an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, in der Thiemich wiederum studierte. Beide veröffentlichen Schriften bei dem Fontlabel Type B und haben lokale Bezüge zum Messelogo und zum Uniriesen in die Gestaltung einfließen lassen.

Der MDR listete die Gesamtkosten für das neue Erscheinungsbild auf, die gar nicht 700.000, sondern 672.000 Euro betragen: 60.000 Euro Beratungskosten, 399.000 Euro fürs Website-Design, 15.000 Euro fürs Logo-Design, 114.000 Euro für die technische Umsetzung und 93.000 Euro für die Schriftherstellung der »Leipzig Sans«.

»Optisch behutsam in die Zukunft führen«

Die Stadtverwaltung wünschte sich bei der Beauftragung 2023/24 ein neues Gesicht und Strukturen für alles von der Stadt im 21. Jahrhundert. Daher heißt es auch aus dem Rathaus – wie im Leipziger Amtsblatt Nummer 20 am 8. November 2025 zu lesen ist –: Das neue Erscheinungsbild »setzt hohe Standards bei der barrierefreien Kommunikation, schafft bessere und flexiblere Kommunikationswege zu Bürgerinnen und Bürgern und zeigt durch vereinheitlichte Optik jetzt viel stärker, welche Einrichtungen und Angebote städtisch sind.« Letztlich zeigt das Design bereits, wie sich die Verwaltung die Stadt im 21. Jahrhundert vorstellt – vielfältig; jedenfalls soll es »optisch behutsam in die Zukunft führen«.

Und dies zeigt die Homepage der Stadt sehr deutlich. Sie versteht sich nicht als repräsentative Schaufläche von Leipzig, sondern als Service-Einheit. Bereits der allein auf der Startseite farbig hervorgehobene Begriff »Service-Portal« zeigt dies an. Wer aufs Menü klickt, dem fällt im Vergleich zur alten Homepage auf, dass auch hier die Interessen der Bürgerinnen und Bürger an erster Stelle stehen: Service-Portal, Leben in Leipzig und erst als sechster und letzter Punkt das Rathaus – die Verwaltung tritt fast in den Hintergrund. Was ebenso besonders an der Seite ist – und das nicht nur im bundesweiten, sondern auch im internationalen Vergleich –: Sie ist außer auf Deutsch auch auf Englisch, Spanisch, Französisch, Russisch, Ukrainisch und Arabisch sowie in leichter Sprache nutzbar und vorlesbar.

Dieses Prinzip der Übersichtlichkeit und Benutzbarkeit stellt nicht nur die Website der Stadt dar, sondern beispielsweise auch die mit dem neuen Erscheinungsbild der Stadt ebenfalls neue Seite der Städtischen Bibliotheken – hier sticht sofort »Mein Konto« in die Augen, was vormals eher unscheinbar auf der Seite stand, aber wichtig ist, um die Abgabefristen der ausgeliehenen Bücher im Blick zu behalten.

Was hier auch auffällt: die Farbpalette. Insgesamt zwölf Farben sind nun im Einsatz, die »mehr Vielfalt und Facettenreichtum« aufzeigen sollen, wobei kräftige Farbtöne bei den Oberkategorien verwendet werden und die Unterkategorien auf der Leipzig-Seite dann in helleren Nuancen auftreten.

Die Offenheit in der farbigen Gestaltung und in der Gliederung der Stadtseite findet sich konsequenterweise in der neuen Wortbildmarke, die die Stadt nun anstelle des Wappens benutzt. Und dies stellt nun den Hauptaufreger bei der Vorstellung und der medial verbreiteten Gegenüberstellung von Alt und Neu dar. Bestehen bleibt das amtliche Hoheitszeichen – der Meißner Löwe mit Landsberger Pfählen – für Bescheide und Dienstsiegel der Stadt. In Pressemitteilungen und anderen Kommunikationsmitteln wie etwa dem Amtsblatt der Stadt kommt nun der entmilitarisierte und abstraktere Löwe zum Zug; das Tier ist im Unterschied zum Löwen im Stadtwappen nicht mit Attributen der aggressiven Stärke – langen roten Krallen und langer roter Zunge – ausgestattet. Dies scheint für eine Stadtgesellschaft im 21. Jahrhundert durchaus gerechtfertigt.

Das eigentliche Problem

Gelungen ist bei der Neugestaltung sicher nicht alles. Auf der Homepage der Stadt fallen vor allem die schlimmen Fotografien auf. Sie sind auf keinen Fall identifikationsförderlich, weil austauschbar. In einer Stadt mit einer sehr langen Fotografie-Tradition und einer Kunsthochschule mit dem Fachbereich Fotografie wären individuellere Aufnahmen durchaus möglich gewesen.

Das Hauptmanko bei der Neugestaltung stellt aber die fehlende Kommunikation durch die Stadt dar. Wie wäre die Debatte wohl gelaufen, hätte das Rathaus sich etwas Zeit genommen, um über die Neuerungen zu informieren, die das Surfen auf den Seiten vereinfachen und serviceorientiert sind? Oder wenn der Pressesprecher der Stadt nicht erst nach dem großen Aufschrei der LVZ ein Interview gegeben hätte? Oder wenn jemand gefragt worden wäre, der sich mit der Gestaltung und der Stadt auskennt, um eine kleine Geschichte des städtischen Erscheinungsbildes – wie zeigte sich Leipzig wann – zu veröffentlichen? So hätte eine Sensibilität gegenüber der visuellen Kultur im eigenen Interesse entstehen können. Das hat das Referat Kommunikation im Rathaus komplett verschlafen, es hätte parallel zur Herstellung des Neuen passieren müssen. Ist es aber nicht – so konnte in ungebremstem Maße eine Welle von rückwärtsgewandten Argumentationen ebenso losbrechen wie eine Petition.

Gegen alles Neue

Was nun die Reaktionen auf die Vorstellung betrifft, so fällt vor allem auf, dass sich die in der aktuellen Krisensituation offensichtliche Angst vor Veränderungen vor allem zu Wort meldet. Heimatstube statt bunter Serviceplattform – so könnte eine verkürzte Zusammenfassung des Aufschreis lauten.

Der Leipziger Fotograf Ron Kuhwede machte bereits einen Tag nach der Veröffentlichung der Neugestaltung mobil und reichte einen Petitionsaufruf unter der Überschrift »Leipzig will sein Wappen als Logo zurück – Bürgerentscheid über das neue Stadtlogo« ein. Wer an dieser Stelle »Leipzig« ist und wer nicht, bleibt im Dunklen. Die Abbildung zur Petition zeigt die Gegenüberstellung vom nach wie vor aktuellen Stadtwappen als amtlichem Hoheitszeichen mit dem im Alltag von nun an anzutreffenden Wortlogo. Letzteres ist mit einem überdimensionalen roten Kreuz versehen. Bis zum Redaktionsschluss unterzeichneten 14.000 Leipzigerinnen und Leipziger den Aufruf, der eine Rückkehr des vermeintlich verlorenen Löwen ebenso fordert wie eine Beteiligung oder Abstimmung der Bürgerinnen und Bürger zu einem Logo. Die Rückkehr zum alten Erscheinungsbild und die Offenlegung der Entscheidungsstrukturen und Kosten ist das Ziel. Weiter ist zu lesen: »Leipzig steht für Geschichte, Kultur und Selbstbewusstsein – und das soll auch sein Symbol tun. Ein Wappen ist keine Werbegrafik, sondern ein Stück Identität.« Das klingt genau so, wie sich die Gestalterinnen und Gestalter im Auftrag der Stadtverwaltung Leipzig im 21. Jahrhundert nicht vorstellen, denn Leipzig ist keine Trutzburg, sondern muss sich verändern, um für alle in der Stadtgesellschaft ein Ort zu sein.


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