Eigentlich wollten die kreuzer-Redakteurinnen Henriette Lippold bei der Arbeit treffen – sie hatten auf den Besuch am Filmset gehofft. Denn das Gespräch mit der Produzentin der Serien »Soko Leipzig« und »Deutschland 83« hätte vielleicht die Gelegenheit ergeben, mal hinter die Kulissen des ZDF-Serienkrimis zu schauen. Oder gar als Komparse durchs Mörderraten mit Lokalkolorit zu schleichen. Leider Essig. Sind doch alle in der Ufa-Zweigstelle, die Lippold leitet, auf Distanz und Hygiene bedacht, um überhaupt arbeiten zu können. So fand die Plauderei über Lippolds Karriere als Produzentin und über Remmidemmi in der Provinz im Hinterhof des Killiwilly statt.
kreuzer: Was genau macht eine Produzentin?Henriette Lippold: Man ist von der ersten Idee bis zum Ende dabei, das ist das Schöne. Dass ein Film zum Film wird, nimmt unterschiedliche Anfänge, je nach Konstellation: Die Idee kann von Produzent, Autor oder Sender kommen. Die Sender oder andere Plattformen sind die Auftrag- und Geldgeber. Produktionsfirmen wie die Ufa, zu der ich gehöre, entwickeln das und setzen es um.kreuzer: Sie sind neben der kreativen Umsetzung auch Controllerin?Lippold: Ich bin für beides verantwortlich, dafür, dass der Inhalt mit dem Budget umsetzbar ist. Produzenten sind Mittler zwischen Welten: Die Autoren wollen ihre Geschichte erzählen, Regisseure das möglichst konsequent umsetzen, der Herstellungsleiter keine Kosten verursachen, der Sender das beste Produkt haben. Und als Produzentin muss ich in Abstimmung mit allen Kompromisse finden,
ohne die Geschichte zu verraten.kreuzer: Wie entsteht eine Serie?Lippold: Ideen können ganz rudimentär sein, manchmal nur aus einem Satz bestehen, manchmal aus drei Seiten. Das entwickelt man mit dem Autor, verkauft es, dann entsteht das Drehbuch. Wir suchen den passenden Regisseur und das Kreativteam, das Casting findet statt, dann beginnt die Drehbegleitung. Nach dem Dreh geht es um die Postproduktion, Schnitt, Musik, Mischung. Dabei gibts immer Herausforderungen: zum Beispiel derzeit Corona oder das Budget ist überstrapaziert oder das Wetter schlecht und wir müssen umschreiben.
kreuzer: Hatten Sie schon Interesse an der Schauspielerei?Lippold: Absolut. Als Kind wollte ich unbedingt auf der Bühne stehen. Ich habe es geliebt, mich bei Stücken in Kirchgemeinde und Schule auszuprobieren. Während meines Studiums der Theaterwissenschaft und Alten Geschichte habe ich mich aufs Vorsprechen bei verschiedenen
Schauspielschulen vorbereitet. Währenddessen ging mir erstens auf, dass ich total talentfrei bin, und zweitens, dass ich das in letzter Konsequenz doch nicht will. Die Faszination fürs Theater blieb, deshalb habe ich weiterstudiert.
kreuzer: Am Schauspiel waren Sie aber auch?Lippold: Neben dem Studium habe ich viel gejobbt. Am Schauspiel Leipzig war ich Regieassistentin. Vorher war ich mit den Prinzen zwei Jahre als Merchgirl auf Tour.
kreuzer: Als was?Lippold: Ich habe auf Konzerten am Stand T-Shirts und CDs verkauft. Währenddessen habe ich beobachtet, wie so eine Parallelwelt funktioniert. Das war lehrreich. Ich wollte mich nicht darin verlieren.
kreuzer: Dabei mussten Sie immer noch Geld verdienen?Lippold: Die Ufa zahlte damals – 2004 – als einzige Firma Geld für ein Praktikum. Das habe ich ein Jahr lang gemacht. Mein damaliger Chef Jörg Winger wollte mich als Junior-Producerin einstellen – aber ich bekam Schiss und wollte mein Studium beenden. Tollerweise wurde dann eine Zehn-Stunden-Stelle geschaffen, so dass beides vereinbar war.
kreuzer: Ihr Chef war ganz schön von Ihnen überzeugt.Lippold: Ach, da ging es nicht so sehr um mich als Person. Ich habe schon genug Leute kommen und gehen sehen, um zu wissen, dass jeder ersetzbar ist.
kreuzer: Sie haben Ihr Studium beendet?Lippold: Das habe ich sehr schnell durchgeprügelt: Latinum, Graecum, Scheine, Prüfungen, Magisterarbeit. Das Ergebnis war peinlich schlecht, aber ich hatte es geschafft.kreuzer: Sie bekamen die Stelle?Lippold: Jörg ist bei seinem Versprechen geblieben und ich wurde Junior-Producerin. Da war ich als Quereinsteigerin erst einmal überfordert. Immerhin gibt es genug Filmhochschulen, an denen man das studieren kann. Ich hatte Glück, auf so eine Konstellation zu treffen. Jörg hat mich mitgezogen. Als er Produzent wurde, machte er mich zur Producerin. Später wurde er Geschäftsführer, ich ausführende Produzentin. Wir haben uns immer super ergänzt. Er war der Visionär, ich eher die pragmatische Umsetzerin.
kreuzer: Zum Beispiel?Lippold: »Deutschland 83« ist so entstanden. Jörg und seine Frau Anna Winger hatten die Idee. Anna hat dann die Serie konzipiert und hauptverantwortlich geschrieben. RTL hatte damals den Miniserientrend früh erkannt, dann muss-te es ganz schnell gehen. Das Mammutprojekt konnten wir nur stemmen, weil wir als »Soko«-Team aufeinander eingestellt waren. Die »Soko« lief parallel ja weiter.kreuzer: Sie haben quasi nebenbei einen Emmy eingespielt, den »Deutschland 83« schließlich gewann?Lippold: Das geht nur in so einer euphorischen Stimmung. Aber ehrlich gesagt geht es eigentlich nicht. Mir hat die Zeit, in der zwei Sachen mit eigenem Fokus parallel liefen, lange nachgehangen. Ich musste gleichzeitig in Berlin und Leipzig sein, durfte nichts vernachlässigen. Heute würde ich das nicht mehr allein machen.kreuzer: Wie kann man bei so viel Zeitdruck arbeiten?Lippold: Es sind alles Teamprozesse, niemand muss allein durch. Bei der »Soko« habe ich mit Katharina Rietz eine absolut eigenständige und tolle Produzentin an der Seite, außerdem einen großartigen Redakteur und sehr gute Autoren.
kreuzer: Wie viele Folgen produzieren Sie im Jahr?Lippold: Das sind 25. Wir sind die einzige »Soko« im Hauptabend – das heißt, wir sollen um 21.15 Uhr Gesellschaftsrelevanz und Spannung mit fast dem gleichen Budget wie für den Vorabend herstellen. Deshalb ist es unerlässlich, leidenschaftliche Leute zu haben, die bereit sind, die Parameter zu beachten: nur eine bestimmte Zahl an Außenmotiven, Studiotagen, Episodenrollen et cetera. Anders ist eine Folge an 7,25 Tagen nicht zu schaffen.
kreuzer: Wie errechnet sich das?Lippold: Wir drehen vier Folgen parallel, innerhalb von 29 Tagen. Das ist eine Herausforderung nicht nur für die Schauspieler, sondern für alle Gewerke. Da wir nicht chronologisch drehen, müssen vor allem Maske und Kostüm irre gut vorbereitet sein und alle Anschlüsse beachten.kreuzer: Als Sie ins Seriengeschäft einstiegen, waren Spielfilme der Hit. Wie war das?Lippold: Als deutsche Serie aus Leipzig wurden wir belächelt – wir waren doppelt provinziell. Es gab keine starke Lobby für Ostdeutschland. Das wandelt sich langsam. »Deutschland 83« wäre ohne die »Soko« unmöglich gewesen. Das Know-how, eine Serie zu drehen, die mit überschaubarem Budget sehr hochwertig aussieht, hatten nicht viele. Das Handwerk der Seriendramaturgie war nicht weit verbreitet. Meine Erfahrungen bei der »Soko« sind mir bei der ARD-Serie »Charité« zugute gekommen. Man hatte sich auf Produktionsseite jemand mit Serienerfahrung gewünscht. Für so ein Prestige-Projekt hätten sie früher jemand anderes gefragt.kreuzer: Die Serie hat früh mit episodenübergreifendem Erzählen angefangen, wenn etwa die Kommissartochter den jüngeren Kriminaler heiratet.Lippold: Das war ein Riesennovum und auch gegen das Formatprinzip: Eine Folge sollte abgeschlossen sein, damit die Programmplanung freie Hand bei der Ausstrahlung hat. Als Melanie Marschke, die Darstellerin der Hauptkommissarin, schwanger wurde, wäre ihre Figur normalerweise rausgeschrieben worden. Wir haben uns dagegen entschieden. Zwischen die großen Erzählbögen schieben wir aber neutrale Folgen für die Programmplanung ein.
kreuzer: Welche Unterschiede bestehen zwischen Serien im TV und im Stream?Lippold: Die Serien von Netflix würden oft nicht im klassischen TV funktionieren. Das Publikum und die Seherwartung sind andere. Das muss man als Programmmacher bedenken. Schon allein die Nutzung ist unterschiedlich. Bei Netflix kann man eine Serie komplett hintereinander binge-watchen, entsprechend komplex können die Inhalte sein. Beim linearen Fernsehen muss man den Zuschauer auch nach einer Woche Pause abholen.kreuzer: Wie viel Spielraum haben Sie, Klischees zu vermeiden?Lippold: Niemand will gern Klischees erzählen, aber manchmal braucht man sie. 45 Minuten Erzählzeit sind kurz. Das Verbrechen muss immer Platz haben – ist schließlich ein Krimi. Meist sieht der Zuschauer eine Person nur drei Mal. Ein plakatives Beispiel: Die Witwe: 1. Auftritt »Ihr Mann ist verstorben.«, 2. Neue Spur: »Warum haben Sie davon noch nichts erzählt?« Und am Ende Überführung: »Sie haben Ihren Mann getötet.« Da sind kaum Perspektivwechsel möglich. Der Zuschauer muss schnell die Witwe als Persönlichkeit begreifen und ihre Motivation nachvollziehen können. Da kommt man um Klischees nicht herum – die reichen bis zum Kostüm. Manchmal entgeht man der Klischeefalle, indem man Figuren neu definiert. Beispielsweise, wenn aus Martin Martina wird. Wenn man die Figur ansonsten komplett gleich agieren und sprechen lässt, entsteht oft eine spannende Wirkung. Und man bekommt den Spiegel vorgehalten: Wir sind leider alle nicht frei von Klischees.kreuzer: Ist das Thema Ostdeutschland in dieser Hinsicht eine Herausforderung?Lippold: Ostdeutsche Biografien bauen wir oft mit DDR-Bezug ein. Bei Andreas Schmidt-Schaller haben wir seine echte Stasi-Geschichte auf den Hauptkommissar Hajo Trautzschke geschrieben. Aktuelle ostdeutsche Biografien kommen mir selbst noch zu kurz. 89 war für alle ein Bruch. Ein Cut. Eine Neuorientierung. Daraus sind spannende Lebenswege entstanden. Gelungene und gescheiterte. Hierin sehe ich eine Chance für die Ufa-Niederlassung Leipzig, jenseits der »Soko« mehr zu erzählen. Aber eigentlich ist auch die »Soko« aus diesem Grund erschaffen worden.
kreuzer: Wie das?Lippold: Man hat Ende der neunziger Jahre beim ZDF festgestellt, dass der Osten unterrepräsentiert ist, und sich an der erfolgreichen »Soko München« orientierend gesagt, das brauchen wir auch für eine ostdeutsche Stadt. Da waren dann Leipzig und Dresden im Gespräch.
kreuzer: Warum wurde es Leipzig?Lippold: Wahrscheinlich, weil die Stadt jünger, etwas rauer war. Etwas davon ist heute hier und da noch spürbar.
kreuzer: Gabs Konkurrenz zum »Tatort«, als dieser hier spielte?Lippold: Direkte Konkurrenz bestand nicht. Aber innerhalb der Stadt wurde eher über den »Tatort« geredet als über uns. Wir haben einen sehr guten Draht zu den Institutionen hier und auch zum OBM, dennoch mussten wir immer mal erinnern: »Achtung, wir sind die Serie mit Leipzig im Namen.« Und wir bringen Leipzig jeden Freitag in die Wohnzimmer von vier bis fünf Millionen Zuschauern. Was für ein Marketing! Die »Soko Leipzig« ist der ewige Geheimtipp.
kreuzer: Die Serie hat also eher eine Außenwirkung?Lippold: Es gibt viele Zuschriften von Leuten aus dem Westen, die nach Leipzig reisen, weil sie die Serie schauen. Wir beschäftigen uns aber auch sehr mit der spezifischen Darstellung der Stadt. Bei 25 Folgen im Jahr muss man immer wieder neue Drehorte finden und kann eine größere Vielfalt abbilden.kreuzer: Ist man trotzdem mal durch?Lippold: Leipzig verändert sich ja weiter. Die Stadt war großzügig, strahlte mit den vielen Brachen Durchatmen aus. Jetzt sind viele Baulücken geschlossen, es wird voller. Die Stadt verliert an Individualität, denn was gebaut wird, könnte oft auch in Düsseldorf oder Cottbus stehen. Doch es gibt noch Nischen oder es entsteht etwas Neues.
kreuzer: Zum Beispiel?Lippold: Ich bin nach wie vor über die Karl-Heine-Straße erstaunt. Da habe ich vor zwanzig Jahren gewohnt und es war eher trist und tot. Jetzt fühlt es sich manchmal an wie der Mythos Berlin in den Neunzigern. So lebendig. Ich bin gespannt, wie lange sich das hält. Es ist viel Dynamik in der Stadt, die trotzdem zum Glück viel ruhiger ist als Berlin.
kreuzer: Wollten Sie nie weg?Lippold: Ich habe schon überlegt, ob ich es mir zu einfach gemacht hab und deshalb hängen geblieben bin – so von Bad Düben nach Leipzig. Es heißt, man solle alle drei, vier Jahre im Medienbereich Firma und Stadt wechseln, um weiterzukommen. Ich bin das beste Beispiel dafür, dass das nicht sein muss. Wäre ich nicht in der Kleinstadt groß geworden, hätte ich mich nie so ausprobieren können. Das gilt auch für Leipzig. Mit meiner Vita wäre ich in Berlin völlig untergegangen. Das Kleine und die Nische waren meine Chance. Da guckte niemand genau hin und es konnte etwas wachsen. Und dann sind alle überrascht, wenn da plötzlich eine Blume steht.
kreuzer: Sie waren zwischendurch aber mal in anderen Städten zu Hause?Lippold: Ich habe produktionsbedingt in Berlin gelebt, in München und Prag, wollte aber immer nach Leipzig zurück. Es tut gut, hier Leute um mich zu haben, die nicht zur Filmwelt gehören. Meine Eltern und meine Schwester Friederike sind ein wichtiger Erdungspunkt. Und auch die meisten meiner Freunde kenne ich aus der Schule oder dem Studium. Denen ist nicht wichtig, dass ich was mit Film mache. Hier kann ich die Jette sein, die ich immer war.
kreuzer: In Bad Düben sind Sie immer noch Teil des Krippenspiels?Lippold: Meine Eltern wohnen noch im Haus im Wald, in dem ich aufgewachsen bin. Beim Krippenspiel mache ich mit, seit ich fünf oder sechs war, und bin dabeigeblieben. Dann wollte sich der Organisator etwas zurückziehen und ich begann, das jährliche Stück zu schreiben.kreuzer: Aber die Bibelgeschichte kennt man doch …Lippold: … so nicht. Ich schaue, was so passiert im Jahr und welchen Aspekt der Geschichte ich damit beleuchten kann.
kreuzer: Sommertheater machen Sie auch?Lippold: Ich habe mich immer gewundert, warum keiner die Burg in Bad Düben als Bühne nutzt. Mit unserem Verein Raum 4 haben wir schon länger theatrale Randformen entwickelt. Bei einem Spaziergang mit Ulrich Hüni entstand dann 2010 die Idee für das Landschaftstheater: Eine Stadt macht Theater, jeder kann mitspielen. Wir ziehen durch die Stadt, bringen Laien und Profis zusammen. Wegen des Aufwands können wir das nur alle drei Jahre machen. 2018 hatten wir 150 Leute auf der Bühne. Alle waren bisher begeistert: Dann ist mal richtig Remmidemmi in Düben.
kreuzer: Und dann finden Sie noch Zeit für ein Quartett?Lippold: Das ist sehr beglückend. Die anderen drei Mädels haben eine fundierte musikalische Ausbildung, begleitet werden wir von unserem fantastischen Kantor Norbert Britze – und ich darf da mit-
singen! Wir werden auf Hochzeiten gebucht und organisieren Konzerte selbst, bei denen wir nur das machen, was wir schon immer mal singen wollten. Das ist nicht professionell, soll es auch nicht sein. In Leipzig würde ich das nicht machen, aber in Bad Düben und Umgebung funktionieren diese Konzerte, weil es für die Leute nahbar ist. Und sich der Dübener herrlich begeistern lässt. Das liebe ich so an diesem Städtchen.