Ein grenzüberschreitendes Filmfestival in Zeiten der Pandemie auszurichten, ist schon ein bisschen verrückt und wäre noch im Mai undenkbar gewesen. Deshalb musste das 17. Neiße Filmfestival auch schweren Herzens abgesagt werden. Nun soll es aber nachgeholt werden.
Wenn auch in etwas anderer Form, denn Großveranstaltungen sind nach wie vor riskant und ein großer Teil des Nachbarlands Tschechien seit letzter Woche wieder Risikogebiet. Statt jetzt aber alles ins Internet zu verlegen, das dort, wo das NFF hin will, traditionell eher schlecht ausgebaut ist, hat man sich für eine »Wild Edition« entschieden. An 15 Spielorten in Deutschland, Tschechien und Polen gibt es also wieder bis zum Sonntag Filme zu sehen, die Grenzen sprengen. Viele Filmemacher haben ihr Kommen zugesagt. Ein Schwerpunkt sind in diesem Jahr »Films for Future« über klimapolitische Themen. Eröffnet wird das Festival heute Abend an vier verschiedenen Orten mit dem eindrucksvollen Schweizer Spielfilm »Die Stimme des Regenwalds« über den Öko-Aktivisten Bruno Manser.
»Neiße Filmfestival«: 24.–27.9., Görlitz, Zittau, Großhennersdorf...
www.neissefilmfestival.de
Film der Woche: Parvis fehlt es an nichts. Der Sohn iranischer Einwanderer lebt ein sicheres Leben in Deutschland, wo der junge Mann auch seine Homosexualität offen ausleben kann. Doch er hat Mist gebaut und muss nun Sozialstunden in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber ableisten. Dort trifft er auf die iranischen Geschwister Banafshe und Amon und verbringt mit ihnen einen unbeschwerten Sommer in Berlin. Regisseur Faraz Shariat fängt in seinem autobiographisch geprägten Debüt das Gefühl jung zu sein in warmen Bildern ein, erzählt aber auch einfühlsam von Flucht und Ausgrenzung.
»Futur Drei«: ab 24.9., Passage Kinos, Schauburg, Kinobar Prager Frühling
Wiebke ist es gewohnt, die Kontrolle zu haben. Über die Pferde auf ihrem Hof, die für die Reiterstaffel der Polizei ausgebildet werden. Über ihr selbstgewähltes Leben allein mit ihrer Adoptivtochter Nicolina. In diesem Leben hat ein Partner keinen Platz. Wiebke will sich und allen anderen beweisen, dass sie es alleine schafft. Doch als sie sich entscheidet, erneut nach Bulgarien zu reisen und die fünfjährige Raya zu adoptieren, droht alles zu zerbrechen, was sie sich aufgebaut hat. Das Mädchen ist zutiefst traumatisiert und zeigt bald Verhaltensauffälligkeiten. Sie ist aggressiv und übergriffig und kaum zu bändigen. Aber Wiebke ist Widerstand gewohnt und will Raya nicht aufgeben, auch wenn der Preis dafür vielleicht zu hoch ist.
Regisseurin Katrin Gebbe, die vor sieben Jahren mit dem verstörenden Drama »Tore tanzt« über religiösen Fanatismus debütierte, setzt sich in ihrem zweiten Film, zu dem sie erneut auch das Drehbuch verfasste, intensiv mit der Resozialisierung traumatisierter Kinder auseinander. Nina Hoss verkörpert die alleinstehende Mutter, die verbissen und bis zur Besinnungslosigkeit für ihre Adoptivtochter kämpft, voller Überzeugung. Die bemerkenswerten Kinderdarsteller sind eine Entdeckung. Allerdings nimmt »Pelikanblut«, der immer wieder Stilelemente des Genrefilms zitiert, im letzten Akt endgültig die Wendung hin zum Horror und die Gratwanderung zwischen den Genres überzeugt nicht vollends.
»Pelikanblut«: ab 24.9., Passage Kinos, Regina Palast
Aufgerissene, schwarze Augen blicken in die Kamera. Es sind die eines Hundes, der gerade aus einer Raumkapsel entstiegen ist, nachdem er wochenlang im All kreiste. Was haben diese Augen gesehen? Er ist einer der wenigen, die den Wiedereintritt überlebt haben. Nach dem ersten Raumflug mit der Hündin Laika schickte die russische Regierung alsbald ein ganzes Rudel ins All. Die Straßenhündin gilt schließlich als Nationalheldin, nachdem sie als erstes Lebewesen die Erde von oben gesehen hatte. Dass sie an Bord verstarb und ihr Körper beim Wiedereintritt verglühte, wird eher nicht überliefert. Die Regisseure Elsa Kremser und Levin Peter spinnen die Geschichte weiter. Was, wenn der Geist Laikas in den Straßenhunden Moskaus weiterlebt? Sie beobachten zwei Exemplare, die durch eine lebensfeindliche Welt spazieren, in der die Menschen nur eine Nebenrolle spielen. Die bemerkenswerten Bilder von Kameramann Roy Imer (»Systemsprenger«) zeigen die Stadt auf Augenhöhe der Hunde, die nach Nahrung suchen und ihr Revier abstecken. Dazwischen, immer wieder Archivmaterial der Tests an ihren Artgenossen im Raumfahrtprogramm. Aber auch der Schimpanse, den die Amerikaner ins All schossen, ist Teil der Narration von Alexey Serebryakov (»Leviathan«), ebenso wie die Schildkröten, die ihm folgten, vom Kurs abkamen und vielleicht heute noch irgendwo durch den Weltraum treiben. So stellt »Space Dogs« in seinen meditativen Bildern auch das Recht des Menschen in Frage, über die Tiere zu herrschen.
»Space Dogs«: ab 24.9. Cinémathèque in der Nato
Weitere Filmtermine der Woche
Zero
Science-Fiction-Trash-Groteske mit Udo Kier: Wir befinden uns im Jahr 2018 und erleben die Geschichte eines Imkers, der zum Terroristen wird, weil seine Bienenkolonie durch verschiedene schädliche Umwelteinflüsse dahingerafft wird. – Globale24.9., 20 Uhr, Heizhaus (OmU)
Bill & Ted Face the Music
Eigentlich haben sich Bill und Ted in die Vorstadtidylle zurückgezogen. Dort führen sie ein gemütliches Leben, bis sie eines Tages Besuch aus der Zukunft erhalten... – Special im Regina Palast25.9., 22.30 Uhr, Regina Palast
Body of Truth
Marina Abramovic, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding und ihr Ansatz, den Körper als Teil ihrer Kunst zu begreifen.25.9., 17 Uhr, 26.9., 17.45 Uhr, 30.9., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Wild Plants
Eine filmische Forschungsreise, begleitet von Fragen über das Verhältnis von Mensch und Natur. – Globale26.9., 20 Uhr, Goase
Der Stein zum Leben
Regisseurin Katinka Zeuner widmet sich in ihrem Dokumentarfilm der Endlichkeit des Lebens und zeigt dabei nicht nur einen Steinmetz, der Grabsteine gestaltet, sondern vor allem die Verarbeitung von Tod, Verlust und Erinnerung. – Einblick/Filme vom Abschied27.9., 13 Uhr, Passage Kinos
Fonja
Jugendliche, die in einem Jugendgefängnis auf Madagaskar einsitzen, berichten von ihrem Leben...27.9., 17 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei
Niemals selten manchmal immer
Die 17-jährige Autumn arbeitet im ländlichen Pennsylvania als Supermarkt-Kassiererin, ihr Leben verläuft in wenig überraschenden Bahnen. Als sie bemerkt, dass sie ungewollt schwanger geworden ist, kann Autumn nicht mit der Unterstützung ihrer Eltern rechnen. Gemeinsam mit ihrer Cousine kratzt sie ein wenig Geld zusammen und die beiden machen sich im Bus auf den Weg nach New York City. Im Gepäck haben sie nur die Adresse einer Klinik - und sonst keinen Plan. Im Anschl. Live-Schaltung zu Online-Panel-Diskussion: »Fokus Schwangerschaftsabbruch – Wo stehen wir?«28.9., 19 Uhr, Passage Kinos (OmU)
Made in Abyss – Seelen der FinsternisAnimationsfilm um den jungen Rico, der davon träumt ein Höhlentaucher zu werden...29.9., 20 Uhr, Cineplex, CineStar
Wenn wir erst tanzenEin Dokumentarfilm über ein Tanzprojekt in der Stadt Hoyerswerda im Rahmen der 8. Leipziger Tanztheaterwochen.29.9., 20 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei
Der vergessene SchatzDokumentation über den brasilianischen Diplomaten Chagas Freitas und seine Privatsammlung non-konformer Kunst.30.9., 19.30 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei
KopfplatzenDer Architekt Markus ist pädosexuell und kämpft verzweifelt gegen seine Obsession an. - Queerblick in Anwesenheit von Regisseur Savas Ceviz30.9., 20 Uhr, Passage Kinos
LandretterDokumentation über die Situation der Dörfer in Deutschland und das Engagement vieler Dörfler in ihrem Alltag - Dok Day30.9., 20 Uhr, Schauburg
Pink Floyd - The WallMit Gesellschaftskritik aufgeladene und mit Symbolismen überladene Rockoper - zweifellos aber brillante Bilder zu dem epochalen Doppelalbum von Pink Floyd. - Globale30.9., 20 Uhr, Peterskirche
Touch me notIm umstrittenen Berlinale-Gewinner geben Menschen Auskunft oder Hilfestellung in Sachen Intimität und Sexualität. Dabei agieren trotz dokumentarischen Anstrichs Profis und die Regisseurin vor der Kamera neben (möglicherweise) authentisch Befragten. - Expedition ins Sperrgebiet30.9., 21 Uhr, Schaubühne Lindenfels