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Kultur

Nennt ihre Namen

Die verleumdeten Opfer von Jack the Ripper: Wie fünf Frauen zu Prostituierten gemacht wurden

  Nennt ihre Namen | Die verleumdeten Opfer von Jack the Ripper: Wie fünf Frauen zu Prostituierten gemacht wurden

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal begibt sich Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz auf die Spuren fünf wenig bekannter Frauen: Hallie Rubenholds »The Five« liefert das lang überfällige Porträt der Opfer von Jack the Ripper

Die Historikern Hallie Rubenhold hat mit »The Five« eine atemberaubende Zeitreise ins viktorianische England geschrieben: Es ist einer der berühmtesten Kriminalfälle überhaupt, mit einem Mörder, der zur Legende gemacht wurde, obwohl, oder gerade weil seine Identität bis heute nicht geklärt ist. Zahlreiche »Ripperologen« haben sich mit der Frage beschäftigt, wer der Täter gewesen sein könnte. Einig war man sich nur darin, dass die fünf ihm zweifelsfrei zugeordneten Opfer Prostituierte gewesen sein sollen. Diese nicht hinterfragte, stets als Tatsache präsentierte Behauptung, ist von Rubenhold in einem glänzend recherchierten Text widerlegt worden.

Fünf Frauen der Arbeiterklasse, die die Ungerechtigkeiten und die Doppelmoral des herrschenden Zeitalters in die weit verbreitete, bittere Armut trieben, in den Alkohol, und schließlich auf die Straße, wo sie ungeschützt und allein gelassen, ermordet wurden. Hinter diesem geteilten Schicksal zeigt Rubenhold detailliert, wie unterschiedlich die Lebensgeschichten von Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes und Mary Jane Kelly verlaufen sind. Und obwohl diese Geschichten schon lange hätten erzählt werden können, begnügte man sich damit, den Frauen mit Bezeichnungen wie »von Gin umnebelte Schauergestalten« und »todgeweihte Schabracken« ihre Würde noch im Tod zu nehmen. Konsequent lässt Rubenhold auch die Schilderung der Gewalt aus. Die Nächte der Morde bleiben im Dunkel und die so oft geschürte Lust nach Sensation und Verbrechen hallt unbefriedigt in der Leere nach. An die Leerstelle treten fünf Biografien und ein eindrückliches Panorama Englands in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist ein nüchternes Buch, aber es weckt die Wut beim Lesen.

Der Glaube, es handele sich um Prostituierte, ist das Ergebnis an bis heute festgehaltenen »viktorianischen Vorurteilen« und das Ausnutzen derselben dient der besseren Vermarktung eines Mythos. Und sie benennt, was noch heute wirkt: »Wie schon im 19. Jahrhundert wird mit der Vorstellung, es waren ›einfach nur Prostituierte‹, die Einstellung untermauert, dass es gute und schlechte Frauen gibt, Madonnen und Huren.« Und sie beschämt uns alle, wenn sie zeigt, dass diese Doppelmoral auch in heutigen Prozessen noch zum Tragen kommt. Zurecht fordert Rubenhold mit Nachdruck: Nennt ihre Namen. Denn der »Kern der Geschichte von Jack the Ripper ist die eines Mörders mit einem tief sitzenden, fest verankerten Hass gegen Frauen, und mit unserer kulturell konditionierten Faszination für diesen Mythos tragen wir dazu bei, Mysogynie für normal zu erklären.«


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