Das Querdenker-Fiasko am Samstag war programmiert. Dass aber kein einziger Veranwortlicher auch nur ansatzweise richtig gehandelt hat, überrascht auch unseren Autor.
Wer ein Beispiel für Komplettversagen sucht, kann ab sofort den 7. November 2020 in Leipzig heranziehen. Nichts anderes als ein Debakel für alle Beteiligten war die Querdenker-Demonstration nämlich. Das Niveau der Planlosigkeit und der Arbeitsverweigerung ist unheimlich und man muss schon über Absicht spekulieren und feststellen, dass ein einzelner entlassener Verantwortlicher diesmal nicht reicht.
Denn das Traurige ist: Zahlreiche Beobachter wussten schon am Freitag von der kommenden Katastrophe. Sie warnten vor den zahlreichen Rechtsextremisten, vor der angekündigten Regel-Verweigerung der Demo-Teilnehmer, vor den unkontrollierbaren Menschenmassen auf dem Augustusplatz und der gesamten Innenstadt.
Was gab es für Versprechungen im Vorhinein: Das Amtsgericht Leipzig gab eine Pressemitteilung heraus, in der von zusätzlichen Richtern gesprochen wurde, die sich um Corona-Übeltäter kümmern sollten. Die Stadt versuchte es mit Auflagen, versetzte die Hauptdemonstration zur Neuen Messe – was ein Richter am Oberverwaltungsgericht einkassierte und damit das Chaos erst möglich machte –, wies auf das Übernachtungsverbot hin, kündigte an die Demonstration abzubrechen, sollte es zu Verstößen gegen die sächsische Corona-Verordung kommen. Die Polizei holte sich Verstärkung aus acht Bundesländern und der Bundespolizei. Mehrere Hubschrauber kreisten über Leipzig, vier Wasserwerfer (das sind 40.000 Liter Wasser auf Rädern) und Räumpanzer standen bereit. Die angekündigten Busreisen mit denen die Demonstranten aus ganz Deutschland herangekarrt wurden, wollte man schon auf der Autobahn abfangen.
Nur geholfen hat es nichts. Also nicht mal ein bisschen. Ab Freitagabend galt in der Leipziger Innenstadt die Corona-Verordnung nicht mehr. Ab Samstagmittag tummelten sich auf dem Augustusplatz eine Mischung aus Coronaleugern, Verschwörungsmystikern und knallharten Rechtsextremen. Masken trug kaum einer, Abstand hielt man höchstens zum politischen Gegner (also denen mit Maske). In den Telegram-Gruppen war immer wieder zu lesen: »Wir werden laufen!« Und mit jeder Sekunde die verstrich, addierten sich die Verstöße gegen die Corona-Verordnung, wurden die Angriffe auf Journalisten und Gegendemonstranten aggressiver und die Polizei setzte auf mehr und mehr Deeskalation. Was im Prinzip nur hieß, alle machen zu lassen, was sie wollten und nur ab und zu auf die Masken- und Abstandspflicht hinzuweisen. Die Tatenlosigkeit der Polizei war zu diesem Zeitpunkt fast noch schwerer auszuhalten, als die selbstgefällige Zufriedenheit, mit der die Coronaleugner durch Leipzig stolzierten. Die konnte auch nicht durch den Abbruch der Demonstration geschmälert werden.
So war es dann nicht verwunderlich, dass die sich von den mindestens acht Durchsagen der Polizei, den Platz zu verlassen, nicht stören ließen. Und die Polizei deeskalierte weiter, ließ sich von der Demonstration überrennen, angeführt von Neonazis aus ganz Deutschland.
Ein kurzer Zwischenstand: Zu diesem Zeitpunkt ist es noch nicht 20 Uhr und jedes Versprechen, das im Vorfeld gegeben wurde, bereits gebrochen. Dass die Polizei die Neonazis marodieren und die restlichen Coronaleugner gröhlend und jubelnd durch die Innenstadt ziehen ließ, ist noch nicht erzählt. All das zu verhindern, wäre »nicht verhältnismäßig« gewesen, sagte Polizeipräsident Schultze später. Verhältnismäßig dagegen war es, eine Gegendemonstration am Roßplatz mit zahlreichen Polizisten zu kesseln. Genauso verhältnismäßig war es für die Polizei offensichtlich zwei Wasserwerfer und einen Räumpanzer beim kleinsten Anzeichen von Protest nach Connewitz zu schicken. Hier zeigt sich Sachsen und die Polizei mal wieder von seiner besten – in dem Fall rechten – Seite.
All das Beschriebene bezeichnet die Polizei übrigens als »weitestgehenden« Erfolg. Auch Innenminister Roland Wöller, der seit seinem Amtseintritt 2017 von einem Unglück ins nächste stolpert, fällt auch nichts anderes ein, als den Blick vor dem Offensichtlichen zu verschließen. Wer so getrieben ist, von der Angst potentielle Wählerstimmen zu verlieren, wer so sehr auf Deeskalation mit Rechtsextremen setzt, während nach links getreten und gebissen wird, treibt aktiv die Spaltung der Gesellschaft voran und ist für ein Staatsamt nicht geeignet.