Immer wieder berichten internationale Medien von Demonstrationen und Festnahmen in Belarus. Die Proteste gegen den autoritären Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka begannen vor mittlerweile vier Monaten. In Deutschland solidarisieren sich weiterhin Menschen auf Demonstrationen mit der Opposition in Belarus und weisen auf das Geschehen hin – auch in Leipzig.
In Leipzig unterstützt eine Gruppe von Menschen die Forderungen der Demonstranten in Belarus. Sie wollen, dass Lukaschenka, der seit 1994 das Land regiert, zurücktritt. Am 9. August dieses Jahres hatte er sich erneut zum Wahlsieger erklärt – mit mehr als drei Viertel der Stimmen. Die Opposition bezeichnet das Wahlergebnis jedoch als Fälschung – die Protestierenden auch. Trotz des brutalen Vorgehens der Polizei und offener Drohungen von Lukaschenka, er wolle keine Gefangenen mehr nehmen, gehen die Menschen immer wieder auf der Straße. In der Zeit bis heute verschwanden immer wieder politisch Engagierte. Sie wurden entweder inhaftiert oder ihr Schicksal ist völlig unbekannt.
Die weiß-rot-weißen Fahnen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz sind schon von weitem gut erkennbar. »Die Farben der Freiheit und Unabhängigkeit!«, erklärt eine junge Frau. Die Flagge war schon mehrfach die belarussische Nationalflagge, wurde jedoch vor 25 Jahren durch eine ersetzt, die auffällig an die aus der Sowjet-Zeit erinnert. Obwohl es kein staatliches Verbot gibt, sind die weiß-rot-weißen Fahnen der belarussischen Regierung unangenehm. Wegen ihrer historischen Bezüge zur Unabhängigkeit, nutzt die Opposition sie nun für ihre Proteste.
Etwa zehn Personen stehen an einem Freitag im September vor dem Leipziger Merkurhaus. Schwarze Sturmhauben verhüllen ihre Gesichter. Auf Tablets und Smartphones, die sie in den Händen halten, laufen in Dauerschleife verschiedene Videos. Passanten kommen näher, um sie zu sehen. Eine kurze Warnung leuchtet auf dem Bildschirm auf – »FSK ab 18« – dann beginnt ein Video: Ein Mann liegt bewegungslos am Boden in einem Park, über ihm fünf Beamte und schlagen auf ihn ein. Nach ein paar Sekunden fixiert ein Polizist seinen Kopf mit dem Knie. Es ist nur eine von vielen Gewaltszenen bei den belarussischen Protesten.
[caption id="attachment_119373" align="alignright" width="320"] Foto: Sergey Sivushkin[/caption]
Die Sturmhauben und die Videos, das ist ein Performance von Belarusseninnen aus Leipzig und Umgebung. An der Solidaritätsdemonstration nehmen auch Deutsche, Ukrainer und Russen teil. »Bei diesen Demos ist es total egal, welche Staatsbürgerschaft ein Mensch hat«, sagt eine Teilnehmerin der Demonstration. Aus Angst vor Repressionen möchte sie ihren Namen nicht sagen. Ihre Familie lebe noch in Belarus.
Die Sorgen um Familien und Freunde, um jeden Mitbürger sind alltäglich für Belarussinnen im Ausland geworden. Eine weitere Aktivistin erinnert sich gut an die ersten drei Tagen der Proteste als Lukaschenka versuchte, das Internet abzuschalten: »In Minsk wussten die Menschen nicht, dass die Demonstrationen auch in Brest oder in Babrujsk stattfanden, deshalb fasste ich die Informationen zusammen und schickte die wichtigsten Nachrichten an alle belarussischen Kontakte in meinem Handy. Es gab wertvolle Sekunden, in denen das Internet wieder funktionierte. Da schrieb meine Mutter mir: ‘Wir sind auf dem Platz. Wir haben keine Plakate, keine Organisatoren, alle gingen ganz spontan auf die Straßen. Wir haben kein Internet, aber so viele Menschen sind hier.‘ Sie schrieb mir noch, dass es viele Blitzgranaten und Gummi-Geschosse gab. Als ich das las, begann ich zu weinen.«
»Zumindest für meine Freunde in Belarus ist sehr wichtig, was wir hier machen«, erklärt Darya, die Organisatorin der solidarischen Demonstrationen in Leipzig, »Auch Monate nach dem Protestbeginn erhalte ich Nachrichten wie: ‘Wir verlieren den Mut, aber ihr seid so großartig, dass wir noch die Hoffnung haben.‘« Die Aktivistinnen möchten über die Situation in Belarus informieren. Der »letzte Diktator Europas« ist seit 26 Jahren an der Macht – vor den letzten Präsidentschaftswahlen gab es international kaum Aufmerksamkeit für die Menschenrechtsverletzungen in Belarus, sagen Demonstrierende. Obwohl viele Leipzigerinnen schon sehr positiv auf weiß-rot-weiße Fahnen reagieren, gibt es bis heute diejenigen, die fragen, ob hier eine Versammlung der Engländer stattfindet.
»Das andere Ziel ist, die Menschen zu verbinden«, setzt Darya fort, viele Teilnehmer kamen zu mir und sagten: »‘Ich wohne schon 7 Jahre hier, aber ich dachte immer, dass ich allein bin. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es hier so viele solidarische, mutige und schöne Leute gibt!‘.«