Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. In dieser Woche lernt Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz, dass ein bösartiges Meteor kein Pokemon ist.
Es gibt sie, diese Bücher, da weiß man nicht so genau, was einem bevorsteht, wenn man sich hinein stürzt. Und dann gibt es Bücher, die tragen Titel, die so präzise sind, dass man keine Überraschungen mehr erwartet. So ist es mit Gregor Mendels Vortrag »Die Windhose vom 13. Oktober 1870« im letzten Jahr zwischen zwei gewitterfarbenen Buchdeckeln bei Limbus erschienen. Was für ein Titel! Schon allein deshalb muss dieser knapp 40 Seiten schmale Text gelesen werden.
[caption id="attachment_122704" align="alignright" width="206"] Die Windhose vom 13. Oktober 1870; Cover: Limbus 2020[/caption]
Ganz davon abgesehen, dass Erwin Uhrmanns Essay Leben und Werk Mendels aufschlussreich einzuordnen weiß, bemerkt man beim Lesen des Mendel'schen Vortrags schnell selbst, wie unterhaltsam der Mann zu schreiben weiß, der uns in der neunten Klasse mit Vererbungslehre hat quälen lassen. Das Amüsement beginnt bereits auf den ersten Seiten: Da »eilte« das »äußerst bösartige Meteor« an der »Südseite des Spielbergs« davon und hinterlässt einen erstaunten Mendel, dessen Zimmer in der Stiftsprälatur Altbrünn ordentlich durcheinandergewirbelt wurde. Und so geht es auch dem Leser, der von einem Vortrag über einen ordinären Wirbelsturm nicht viel erwartet hatte und nun auf Satzschönheiten stößt wie: »Es möge hier die Bemerkung Platz finden, dass sich für den Brünner Horizont eine beträchtliche Ablenkung der Südwest- und Westströmungen gegen Nordwest hin herausstellt, die wohl einen Oktanten betragen dürfte und zweifellos durch die Konfiguration der Gebirge veranlasst wird.« Und wer hätte gewusst, dass Windhosen zu den Drehstürmen gezählt werden!
Außerdem – Überraschung – ist Mendels engagiertes Protokoll weit mehr als die detaillierte Beschreibung eines seltenen Naturphänomens. Denn der im Klostergarten herummendelnde Abt beobachtete täglich das Wetter und hat damit seiner Liebe für die Erde Ausdruck verliehen.