An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Juni-Ausgabe des kreuzer. Darin erzählt Chefredakteurin Juliane Streich über die zunehmende Normalisierung des Lebens, die Verschärfung der Pandemie in anderen Ländern und das 30-jährige Jubiläum des kreuzer.
Yeah yeah yeah! Gehen wir mal froh gelaunt in diesen Monat. Denn die Zeichen stehen auf Hoffnung, die Corona-Zahlen gehen herunter, das Leben normalisiert sich langsam wieder. Wenn jetzt auch noch das Wetter gut wird, kann das wirklich der von Karl Lauterbach angekündigte »gute Sommer« werden, in dem wir mit mehr als nur einer unserer Freundinnen abhängen können und vielleicht sogar so verrückte Sachen machen wie frisch gezapftes Bier trinken, ins Freiluft-Kino oder auf Open-Air-Konzerte gehen. Das kann man doppelt geimpft oder negativ getestet auch mal feiern. Mit Anstoßen und Partyhut.
Dass aber nun wirklich alles gut wird, davon ist leider nicht auszugehen, zu krank ist doch diese Welt. Das kann man ganz wörtlich verstehen, denn während wir hier in die Impf-Hallen rammeln, um danach ein fröhliches Selfie mit Pflaster auf dem Arm zu posten, steigen die Todeszahlen in einigen nicht-westlichen Ländern, in denen es kaum Impfstoff gibt, rasant. Die Pandemie hat eines der großen gesellschaftlichen Probleme noch verschärft: Die Reichen wurden reicher, die Armen ärmer. Das ist weltweit zu beobachten, wo Jeff Bezos Milliarde um Milliarde dazuverdient, aber auch hierzulande, wo Corona die ärmere Bevölkerung öfter und härter trifft. Überhaupt hat die Pandemie viele Defizite verdeutlicht – ob das nun die harten Arbeitsbedingungen in der Pflege sind oder die ungerechte Verteilung der Care-Arbeit im Privaten. Dennoch gab es auch positive Nebenerscheinungen: weniger Verkehr, flexiblere Arbeitszeiten und, na ja, leidenschaftliches Spazierengehen. Vor einem Jahr schrieb Kollege Tobias in seinem Kommentar: »Die Denkanstöße sollten nicht verpuffen, sondern dabei helfen, dem guten Zusammenleben näherzukommen.« Und jetzt, wo ein Ende der Pandemie in Sicht ist, sollten wir diese Anstöße weiterdenken: Wie wollen wir leben in Leipzig? Was kann man aus den Erfahrungen der letzten Monate lernen? Ein paar Ideen haben wir in unserer Titelgeschichte zusammengesucht. Denn man glaube zwar, dass die Stadt voll sei und es wenig Platz gebe, sagt der Zukunftsforscher Michael Carl im Interview auf Seite 25. Aber: »Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir nutzen ihn nur nicht richtig.«
Lassen Sie den Partyhut bitte noch auf, denn Sie halten hier eine Jubiläumsausgabe in der Hand! Vor genau 30 Jahren erschien der erste kreuzer, der nämlich seit Juni 1991 nicht mehr Connewitzer Kreuzer, sondern nur noch Kreuzer heißt. Und wenn man so durch die alten Hefte blättert, ist es erstaunlich, wie aktuell manche Themen heute noch sind. So ging es schon in der ersten Ausgabe um Makler aus dem Westen, die hier Häuser aufkaufen, um Geld damit zu machen. Seit 1991 also begleitet, beschreibt und kritisiert der kreuzer, was in Leipzig abgeht – egal ob in der Politik oder im Club. Da er dadurch zu einem interessanten Dokument der Zeitgeschichte wird, werden wir auch in den nächsten Heften immer wieder einen Blick in die alten Ausgaben werfen.
Bis dahin lesen Sie erst einmal dieses Heft, denn da werden Ihnen interessante Menschen begegnen: eine Oma, die demonstrieren geht, ein amerikanischer Football-Trainer, der Motivationsreden schwingt, oder eine Schriftstellerin, die auf dem Weg der Freundschaft wanderte.
Suchen auch Sie Wege der Freundschaft und bleiben Sie optimistisch!
JULIANE STREICH