An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Juli-Ausgabe des kreuzer. Darin erzählt Chefredakteurin Juliane Streich über die Anfragen für Ausflüge, den Kampf in der Kantstraße und die Rückkehr des kulturellen Lebens.
Vielleicht ist es das Alter, vielleicht die Pandemie oder einfach nur das Wetter. Aber die Anfragen für einen gemeinsamen Ausflug häufen sich in letzter Zeit. Ob man nicht mal rausfahren wolle, irgendwo anders hin als an den Cossi, ins Grüne vielleicht, ein bisschen Sommerfrische genießen, mal was anderes sehen? Und da sagt man natürlich Ja, denn Fernreisen stehen eh nicht im Kalender – wegen Pandemie aktuell und wegen Klimakrise generell – und zu Hause war man ja nun wirklich oft und lange genug und in einem See schwimmen, dessen Ausblick nicht an ein Atomkraftwerk erinnert, wäre ja auch mal was. Aber wohin solls gehen? Und was soll man da machen? Die Vorstellungen der Ausflugswilligen gehen da gerne auseinander, die einen wollen sich richtig verausgaben, die anderen eigentlich nur einen neuen Biergarten auskundschaften, und die dritten bringen Hund und Kind mit. Für all diese Typen der fernen Naherholung haben die Kolleginnen Tobias Prüwer und Franziska Reif in unserer Titelgeschichte ein paar Tipps gesammelt – sogar für all jene, die der Sonne entkommen wollen.
Nun ist der kreuzer natürlich nicht die Landlust, auch wenn wir dieser im Juli fröhlich frönen. Die Probleme der Stadt bleiben. Ich weiß nicht genau, wie viele Artikel über Gentrifizierung der kreuzer in seiner 30-jährigen Geschichte schon gebracht hat, aber es hört halt einfach nicht auf. Den Menschen am Ende der Kantstraße, die aus ihren günstigen Mietwohnungen nicht für teure Eigentumswohnungen weichen wollen, wird immer wieder zugesetzt. Mal haben sie keinen Strom, mal kein Internet, mal kein Wasser. Viele sind längst weg, obwohl sie unbefristet dort hätten wohnen sollen. Lesen Sie über den Kampf der solidarischen Hausgemeinschaft im Text von Till Wimmer auf S. 18.
Das Schöne an der Stadt ist allerdings, dass man, um was zu erleben, nicht den ganzen Abend an der Bushaltestelle, an der schon lange keiner mehr hält, abhängen muss, sondern einfach um die Ecke geht. Und während man in Zeiten von Lockdowns und Ansteckungsangst kurz davor war, die Menschen zu beneiden, die Häuser im Grün des Speckgürtels bauten, ist dieser Gedanke jetzt wieder Geschichte. Denn wenn man nun auf einem Bordstein sein kaltes Bier vom Späti direkt aus der Flasche trinkt, kann man beobachten, wie die Stadt langsam wieder das auffährt, weswegen man hier trotz »Verkehrsinfarkt« (S. 11) so gerne lebt: Das kulturelle Leben kehrt zurück! Und da macht man natürlich die inzwischen gängige Ghettofaust zum Gruße und sagt gut gelaunt: Herzlich willkommen! Wie Sie vielleicht merken, ist diese kreuzer-Ausgabe wieder ein Stück dicker als die letzte, die wiederum ein Stück dicker war als die vorletzte – und das liegt vor allem daran, dass es immer mehr Termine anzukündigen gilt. Es gibt kleine Musikfestivals, Lesungen, Kinopremieren oder Theatervorstellungen, für die Sie in diesem Heft Ankündigungen und Tipps finden. Und doch bleibt alles anders, wie Herbert sagen würde. Im Theater finden seltsame Experimente wie Aufführungen ohne Schauspielerinnen und Schauspieler statt (S. 52) und das Nachtleben dreht auf der Suche nach Räumen auf der Sachsenbrücke völlig frei (S. 46), denn ja, die Pandemie ist leider noch nicht vorbei.
Also passen Sie auf – auf sich und die anderen!
JULIANE STREICH