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Stadtleben

Verstummt

Wegen der Situation auf der Sachsenbrücke wurden die Stummfilmtage abgesagt

  Verstummt | Wegen der Situation auf der Sachsenbrücke wurden die Stummfilmtage abgesagt

Dass Corona vielen Veranstaltungen einen Strich durch die Rechnung macht, ist inzwischen Normalität. An der Corona-Pandemie liegt es jedoch nicht, dass die Leipziger Stummfilmtage ausfallen: Schuld ist die momentane Situation auf der Sachsenbrücke.

Eigentlich hätte sich die »Warze« vom 8. bis zum 15. Juli in ein Freilichtkino verwandeln sollen. Wie jedes Jahr war auf dem Hügel im Clara-Zetkin-Park ein Wanderkino geplant: Stummfilmklassiker, untermalt mit Livemusik. Doch dieses Jahr bleibts wahrlich stumm, am Dienstag hat der Veranstalter das Kino kurzfristig abgesagt. In der Pressemitteilung auf der Homepage verweist er aufs Ordnungsamt: Das kam zu der Einschätzung, »dass eine potenzielle Gefährdung der Zuschauer, der Akteure und der technischen Ausstattung besteht«.

Fix gemacht hat die Absage allerdings nicht das Ordnungsamt, sondern der Veranstalter: Tobias Rank ist die Enttäuschung deutlich anzuhören. Hauptgrund dafür ist schlicht der Lärm. Gegen 22 Uhr sei es im Clara-Park momentan so laut – »das kriegste nicht eingedämmt«, berichtet er resigniert. Früher seien die wenigen Dezibel der Straßenmusik kein Problem gewesen. Doch der momentane Lärmpegel ist laut Rank eine andere Hausnummer: »300 Leute, die Mukke aus riesigen Boxen spielen und auf der Brücke tanzen – oben auf der Warze ist das wie auf dem Rummel.« Erst habe er über einen Ortswechsel nachgedacht. Doch besonders am Wochenende sei der Krach im ganzen Park verteilt, »jeder macht seine eigene kleine Party« und dazu kommt der Schall: »Zwischen den Bäumen hallt das locker 200 Meter«, schätzt Rank. Kurzzeitig hat er die »kleine Warze« in Betracht gezogen, doch von der angrenzenden Ferdinand-Lassalle-Straße befürchtet er nächtliche Anwohnerbeschwerden. Zudem gibt es dort keinen Stromanschluss, »mit Aggregaten wird das alles zu aufwendig«.

Als anderen Grund nennt der Veranstalter die Gefahr: Beim jüngsten Trubel an der Sachsenbrücke macht sich Rank Sorgen um sein Equipment. Normalerweise verbringt er die Nächte nach der Vorstellung im Kino-Fahrzeug. Dass da der ein oder andere Betrunkene nachts an die Tür geklopft habe, sei durchaus vorgekommen: »Bei zwei Jugendlichen schau ich halt raus und schick sie weg. Aber aktuell bei so vielen Menschen?« Eingeschlagene Scheiben oder ein demoliertes Leinwandgestell könne er sich nicht leisten – immerhin tourt er den ganzen Sommer mit dem Wagen umher. Dazu kommen Geschichten von Raubüberfällen: »Das macht mir schon Schiss«, gibt Rank zu. Seit Juni war der Veranstalter deshalb am Abwägen, kontaktierte Ordnungs- und Grünflächenamt, holte sich Einschätzungen ein.

Mit »das kann ich nicht verantworten«, meint Rank nicht nur die Technik, sondern auch das Publikum. Wenn das Ordnungsamt selbst überfordert sei und sich Streifenwagen im Dunkeln nicht mehr auf die Brücke trauen, könne er allein keinen Schutz für sein Publikum garantieren – »da muss ja anscheinend eine halbe Hundertschaft anrücken«. Hätte das Ordnungsamt auch ohne die Sorgen des Veranstalters das Kino abgesagt? Auf kreuzer-Nachfrage antwortet Amtsleiter Helmut Loris in schönstem Bürokratie-Deutsch: »Eine explizite Nichtdurchführbarkeit hat die Verwaltung nicht konstatiert«. Übersetzt heißt das: Nein. Die Lageeinschätzung als »potenzielle Gefährdung« sei zuerst vom Veranstalter gekommen, die Veranstaltungsbehörde des Ordnungsamtes habe sich angeschlossen. Die Sicherheitslage an der Sachsenbrücke selbst nennt Loris »exponiert«: Einerseits, weil die Polizei zuletzt überdurchschnittlich viele »Gewalt- und Eigentumsdelikte« festgestellt habe. Andererseits wegen Ordnungswidrigkeiten wie Vermüllung, Glasscherben und Lärm.

Dass das Wanderkino auf der Warze nach jahrelanger Tradition heuer ausfällt, bezeichnet Rank als »großen Einschnitt: Das macht mich echt traurig, ganz im Ernst.« Dennoch betont er sein grundsätzliches Verständnis für Jugendliche, die bei all den geschlossenen Clubs einen Party-Ort zum Feiern brauchen. Nun sei es an der Stadt, die post-pandemische Feierlust in die richtigen Bahnen zu lenken.


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