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Sport

Sie wollen doch nur spielen

Der Zugang zum Amateurfußball wird nichtbinären, trans- und inter-Personen in Sachsen erschwert

  Sie wollen doch nur spielen | Der Zugang zum Amateurfußball wird nichtbinären, trans- und inter-Personen in Sachsen erschwert  Foto: Frisia Orientalis

In Sachsen wird nichtbinären, trans- und inter-Personen der Zugang zum Amateurfußball erschwert. Der Sächsische Fußballverband und der Rote Stern Leipzig streiten sich gerichtlich um die korrekte Auslegung einer neuen Spielordnung des DFB.

Neben dem Fußballplatz am Rande von Leipzig stehen etwa vierzig Fans und schauen sich ein Spiel an, das gar nicht stattfindet. Offiziell sagte der Rote Stern Leipzig (RSL) das Spiel ab, weil das Team des Vereins nicht genügend spielberechtigte Mitglieder hat. Auf dem Rasen stehen aber sehr wohl 22 Menschen, die Fußball spielen können.

Unter ihnen: Joni*, Mitte zwanzig, die braunen Haare zum Dutt gebunden. Joni identifiziert sich weder als Mann noch als Frau, sondern als nichtbinär. Und das ist in der traditionell binären Welt des Sports ein Problem. So konnte Joni monatelang nicht am Spielbetrieb teilnehmen, weil der Sächsische Fußballverband (SFV) Joni den Spielpass entzog – wie vier weiteren Spieler:innen des RSL. Dieser Pass ist notwendig, um sich im Ligabetrieb für eine Mannschaft aufstellen zu lassen. Für das Team von Joni war der Spielpassentzug folgenschwer: Zwei Spiele mussten abgesagt werden, weil nicht genug Teammitglieder auf dem Feld hätten stehen können. So auch das eingangs geschilderte Spiel im März 2024. Einige Fans hielten dort große Transparente mit der Aufschrift »Ohne Tian* kein Team« hoch – ohne trans-, inter-, a-gender und nichtbinäre Menschen wäre die Mannschaft nicht vollständig. Der Vorwurf: Der SFV hindere ebendiese Menschen, am Fußball teilzuhaben.

Eigentlich geregelt…

Eigentlich wurden bereits zur Saison 2022/23 Regelungen vom DFB eingeführt, die Personen wie Joni das Recht geben, am Amateurfußball teilzunehmen. »Förderung von Vielfalt sowie die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung, unter anderem aufgrund des Geschlechts«, sei das Ziel dieser neuen Regeln, schreibt der DFB damals in einer Pressemitteilung. Mit einer derartigen Regelung gehört der DFB als weltweit größter Sportverband – neben dem Deutschen Hockey-Verband und dem deutschen Handballbund – zu den Vorreitern in der Integration von nichtbinären, trans- und inter-Personen im Breitensport.

Die Regelungen des DFB legen fest, dass diese Personen selbst entscheiden können, ob sie in einem Frauen- oder einem Männerteam spielen wollen. Eine Vertrauensperson vom jeweiligen Landesverband – die Landesverbände setzen die Organisation des Spielbetriebs inklusive Passerteilung um – soll dabei unterstützen, einen Spielpass zu beantragen. Eine Vertrauensperson soll dem Verband gegenüber versichern, dass die Person das Spielrecht in Anspruch nehmen darf – und kann dazu gegebenenfalls standesamtliche und medizinische Dokumente oder den dgti-Ergänzungsausweis als Beleg von ihr fordern.

Der Ergänzungsausweis ist ein standardisiertes Ausweispapier der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti). Alle personenbezogenen Daten (Vorname, Pronomen und Geschlecht) darauf sind selbstgewählt und werden zusätzlich zu einem Bild dokumentiert. Er ist nur in Kombination mit einem amtlichen Ausweisdokument gültig. An vielen öffentlichen Stellen, wie Krankenkassen, Banken und Ämtern wird er akzeptiert.

»Wir haben versucht, die Vorgabe so frei wie möglich zu halten, damit Menschen möglichst selbstbestimmt handeln können«, sagt Christian Rudolph, Queer-Beauftragter des DFB, der an der Konzeption der neuen Spielordnung beteiligt war und selbst als Vertrauensperson in Berlin tätig ist. Die neue DFB-Spielordnung wurde 2022 von den Landesverbänden mit einer deutlichen Mehrheit angenommen. Sie haben seitdem die Umsetzung zu verantworten, denn die Passstellen sind bei ihnen angesiedelt. Wie welcher Landesverband vor zwei Jahren abgestimmt hat, ist nicht bekannt.

… in Sachsen nicht

Seit 2019 ist Joni Teil des Frauenteams beim Roten Stern in Leipzig, seit Sommer 2023 unter neuem Namen mit neuem vom SFV erteilten Spielpass. Im Winter bekommt Joni dann aber unerwartet eine Mail von der Passstelle des SFV. Darin steht, dass Joni und den vier anderen Spielenden des RSL die Spielerlaubnis entzogen würde, sollten sie nicht innerhalb einer Frist standesamtliche Unterlagen einreichen, die ihre nichtbinäre oder Trans-Identität belegen. Dabei hatte der dgti-Ergänzungsausweis bei der ursprünglichen Beantragung der Namensänderung als Nachweis ausgereicht. Um herauszufinden, warum erneut Unterlagen gefordert wurden, kontaktiert Joni die Vertrauensperson des SFV. Deren Stelle ist zu dieser Zeit übergangsweise von SFV-Vizepräsidentin Petra Frohberg besetzt, die ihre Arbeit als Vertrauensperson im Herbst 2023 aufgenommen hat – also, nachdem Joni und den anderen vom Roten Stern ihre neuen Spielpässe erteilt wurden. Frohberg lässt die vor ihrem Dienstantritt erteilten Genehmigungen erneut prüfen, führt Gespräche und lässt die Passstelle die Dokumente entziehen – weil die Unterlagen zu den bereits erteilten Pässen nicht vollständig seien, konkret »medizinische Nachweise« fehlen würden, erklärt SFV-Pressesprecher Alexander Rabe auf kreuzer-Nachfrage.

Für Jonis Fall fühle sich Frohberg nicht zuständig, antwortet sie auf Jonis Anfrage. Nachdem daraufhin der Mailverkehr beider – den wir einsehen konnten – mit sensiblen Daten SFV-intern ungefragt weitergeleitet wurde, äußern Spielende des Roten Stern Datenschutzbedenken. Den Forderungen nach standesamtlichen und medizinischen Unterlagen kommen sie daher nicht nach.

Im benachbarten Sachsen-Anhalt hätte Joni eine Spielberechtigung bei Vorlage des dgti-Ergänzungsausweises erhalten, erklärt Sam Müller, Vertrauensperson beim Fußballverband Sachsen-Anhalt (FSA) im Gespräch mit dem kreuzer: »Wenn eine nichtbinäre Person zu uns kommt und sagt, dass sie unter dem neuen Spielrecht spielen möchte, reicht uns eine Selbstauskunft.«

Das Wörtchen »nichtbinär« ist nun für Joni und den SFV zentral – denn SFV-Vizepräsidentin und Vertrauensperson Petra Frohberg fühlte sich für Trans-Personen zuständig, nicht aber für nichtbinäre. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen ist Folgender: Während trans-Personen sich in einer gesellschaftlichen oder auch körperlichen Transition zum anderen Geschlecht befinden, identifizieren sich nichtbinäre Menschen als keinem der beiden Geschlechter zugehörig. Nichtbinäre Personen können sich jedoch auch in einer Transition befinden – sich ihrer Geschlechtslosigkeit anpassen. Auch die vom SFV übernommenen DFB-Regelungen unterscheiden in zwei Paragrafen zwischen Transsein und Nonbinarität.

Unwissen und Auslegungssache

Im Unterschied zu Sachsen nehmen sich die Vertrauenspersonen im Nachbarbundesland auch Beratungsanfragen von nichtbinären Personen an. Der lose Rahmen, den die Spielordnung schafft, scheint aktuell beide Handhabungen zuzulassen. Auf unsere Nachfrage dazu an die Diversity-Managerin des DFB, Claudia Krobitzsch, erhalten wir keine Antworten, Krobitzsch verweist lediglich an den SFV.

Zusätzlich zu den schwammigen Formulierungen in der Spielordnung herrsche häufig Unwissen über die Lebensrealitäten von nichtbinären, Trans- und Inter-Personen bei den Entscheidungsträgern und -trägerinnen, vermutet Transaktivistin Julia Monro, die ebenfalls an der Konzeption der DFB-Spielordnung beteiligt war. »Wenn eine Person nur den Namen ändern möchte, ist sie nicht dazu gezwungen, auch medizinisch etwas zu machen. Das ist unabhängig voneinander.« Dementsprechend seien beispielsweise nicht alle trans-Personen in der Lage, überhaupt einen medizinischen oder standesamtlichen Nachweis zu erbringen. »Ich würde mir auch wünschen, dass wir keinen Unterschied mehr machen zwischen den Menschen, die sich innerhalb einer Transition befinden, und den Menschen, die einen Geschlechtseintrag ›divers‹ haben«, so die Aktivistin weiter.

Die Umsetzung der neuen Spielordnung stellt nicht nur Sachsen vor Herausforderungen. »Der Prozess zieht sich gerade noch, dass alle Landesverbände geeignete Vertrauenspersonen benennen«, sagt der Queer-Beauftragte des DFB Christian Rudolph. Etwa die Hälfte der 21 Landesverbände hätten zum Februar 2024 Vertrauenspersonen ernannt, so Rudolph weiter. Auf den Webseiten von zwölf Verbänden waren im Februar Ansprechpersonen für queere Themen zu finden. Davon wurden vier explizit als Vertrauensperson bezeichnet – in den Landesverbänden Hamburg, Rheinland, Sachsen-Anhalt und Südbaden. Dass die Besetzung lange dauert, liegt womöglich auch daran, dass die Arbeit als Vertrauensperson eine hohe Sachkompetenz erfordert und lediglich eine Honorarstelle ist. Die schwierige Suche nach einer passenden Besetzung scheint auch dazu zu führen, dass die Aufgaben der Vertrauensperson häufig von Hauptamtlichen übernommen werden.

Sorgen um Wettbewerbsverzerrung

Dass es bei der Umsetzung der neuen Regelungen zu Schwierigkeiten kommen würde, war laut Rudolph schon bei der Konzeption der neuen Spielordnung zu erwarten – weil in der Basis der Fußballvereine und -verbände die Bereitschaft zum Wandel fehle: »Zum Fußball-Organisieren gehört mehr als ein Spiel anzusetzen und eine:n Schiedsrichter:in irgendwo auf den Fußballplatz zu stellen.« Neben der Verantwortung für die körperliche hebt Rudolph auch jene für die psychische Unversehrtheit aller Spielenden hervor. Die Schwierigkeit dabei bestehe insbesondere darin, dass man sich weiterhin in einem binären Geschschlechtersystem bewege.

Der SFV hingegen sieht sich der Situation ausgesetzt, zwischen den Interessen der Betroffenen und einer Basis in den Vereinen zu vermitteln, die sich um eine Verzerrung des Wettbewerbs sorge. »Dass es da zu Vorurteilen oder sogar Ängsten kommt, müssen wir als Entscheidungsträger mit einbeziehen«, sagt SFV-Pressesprecher Rabe. Er habe den Eindruck, dass viele Facetten im Vorfeld nicht bedacht worden seien.

Der Rote Stern klagte im Februar 2024 vor dem sächsischen Sportgericht gegen den SFV, um die entzogenen Spielpässe von Joni und den anderen Spielenden wiederzubekommen. Das Sportgericht verfügte, dass der SFV die entzogenen Pässe freigeben sollte, solange der Prozess läuft. Der SFV leistete der Anordnung zunächst nicht Folge. Nachdem das Gericht die einstweilige Verfügung im März ausgesprochen hat, können vier der fünf Spieler*innen wieder auf dem Platz stehen, doch die Spielberechtigungen seien zum Teil nur bis Ende der Saison gültig, berichtet das Presseteam des RSL. Zudem fehle es an einer einheitlichen Begründung für die zeitliche Begrenzung der Spielpässe. Während einigen Spieler*innen gegenüber geäußert wurde, dass es dabei um mögliche Veränderungen ginge, die sich aus dem neuen Selbstbestimmungsgesetz ergeben, hieß es anderen gegenüber, dass die Phase der Transition laufend überprüft werden müsse. Dem kreuzer antwortete der SFV, dass es eine solche Befristung von Spielberechtigungen aktuell nicht gäbe. Allerdings liegen Dokumente vor, in denen der SFV die erneute Überprüfung einiger Spielberechtigungen der RSL-Spieler*innen am Ende der Saison einfordert.

Der Sächsische Fußballverband hat im März mit Steve Becker eine neue Vertrauensperson berufen. Becker äußert gegenüber dem kreuzer, er habe zwei Spieler*innen bereits kennengelernt, die nun unbefristet spielen dürften. Für das Kennenlernen der weiteren Betroffenen sei Becker in Kontakt mit Verantwortlichen des RSL. »Außerdem ist es mein Wunsch alle Flinta*-Teams in Sachsen zu besuchen um gemeinsam zu schauen welche Bedarfe und Wünsche oder Probleme es gibt«, so Becker.

Verfahren läuft weiter

Das rechtliche Verfahren geht derweil in die zweite Runde: Die ehemalige Vertrauensperson des SFV ist inzwischen gegen Freisprüche des Sportgerichts in Berufung gegangen, die den Spielenden des RSL während des laufenden Verfahrens erlaubten, unter Vorlage der einstweiligen Verfügung Spielende aufzustellen, die vom Spielpassentzug betroffen waren. Im August beginnt die neue Saison, für die Spielpässe erteilt werden. Und im November tritt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Spätestens dafür müsse die Spielordnung des DFB angepasst werden, findet Aktivistin Julia Monro. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen leichter ändern können. Aktuell verweist die Spielordnung auf das sogenannte Transsexuellengesetz, das im November abgelöst wird. Wann eine Anpassung der DFB-Regelungen tatsächlich zu erwarten ist, bleibt ungewiss. Laut Christian Rudolph hat sich dazu beim DFB bereits eine Arbeitsgruppe gebildet: »Wir beraten uns gerade dazu, wie viel Änderung notwendig und sinnvoll ist.« 

 

* Name geändert

Transparenzhinweis: Die Autorin Therese Werner spielt selbst Fußball bei den Leipziger Verkehrsbetrieben e.V., unter anderem gegen den RSL.


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