Es kommt wie ein Befreiungsschlag zur richtigen Zeit: Thomas Vinterbergs »Der Rausch« feiert das Leben. Endlich ist der Oscargewinner auch in den Leipziger Kinos zu sehen. Eine Ode an die Freiheit und der perfekte Film fürs Sommerkino.
Das Leben nimmt manchmal seltsame Wege. Vor einem Jahr sollte Thomas Vinterbergs »Der Rausch« seine Premiere beim Filmfestival in Cannes feiern. Doch die Corona-Pandemie machte einen Strich durch die Planung. Das Festival musste abgesagt werden, ebenso wie der geplante Kinostart hierzulande im Dezember. Nun kommt Vinterbergs berauschender Film endlich in die Kinos. Und auch in Cannes herrschte in den vergangenen Tagen endlich wieder so etwas wie Normalität. Ganze 24 Filme konkurrierten im Wettbewerb der 74. Filmfestspiele um die Goldenen Palmen. Ein beeindruckendes Ausrufezeichen des Kinos. Unter den Wettbewerbsfilme waren neue Werke von Asghar Farhadi und Jacques Audiard und auch Wes Andersons »The French Dispatch«, der eigentlich bereits im letzten Jahr dort seine Premiere feiern sollte. Gewonnen hat ausgerechnet ein Film, der beim Festival kontrovers diskutiert wurde: Julia Ducournaus »Titane« ist ein drastischer Horrorfilm – und zudem einer der vier Arbeiten im Wettbewerb, die von Frauen inszeniert wurden. Darunter war auch Mia Hansen-Løves vielgelobter »Bergmann Island«, den die Leipziger Neue Bioskop Film koproduzierte. In der wichtigen Nebensektion »Quinzaine des Réalisateurs« war zudem »Les magnétiques« zu sehen, der u.a. in Bad Düben entstand. Das von der Leipziger Elemag Pictures koproduzierte Coming-of-Age-Drama gewann schließlich den wichtigen SACD-Preis und soll im Herbst in die deutschen Kinos kommen.
Film der Woche: Sicher, es wäre möglich Thomas Vinterbergs Film losgelöst von seiner eigenen persönlichen Tragödie zu betrachten. Und doch ist sie eng verknüpft mit dem Film und er wäre anders geworden, hätte ihm das Schicksal zu Beginn der Dreharbeiten nicht jenen schweren Schlag versetzt. Seine 19-jährige Tochter Ida kam bei einem Autounfall ums Leben als sie auf dem Rückweg von Paris war. »Der Rausch« sollte ihr Film werden, eine Feier des Lebens, im Zentrum jenes Gefühl des Jungseins, wenn die Welt einem offen steht. Sogar eine zentrale Rolle hatte er für sie vorgesehen. Als das Unvorhersehbare hereinbrach, wollte Vinterberg abbrechen. Am Ende ist es den Beteiligten, allen voran seinen Hauptdarstellern zu verdanken, dass »Der Rausch« dennoch entstand. Trotz der Tragödie bestärkten sie Vinterberg weiterzudrehen und am Ende entstand vielleicht ein anderer Film, dessen Grundgedanke aber mehr denn je spürbar ist.
Ausgangspunkt ist eine Männerfreundschaft und eine fixe Idee: Martin (Mads Mikkelsen) und seine Freunde sind angeödet von ihrem Leben und dem Job als Lehrer. Um ihr Potential auszureizen, testen sie eine Theorie des norwegischen Philosophen Finn Skarderund. Demnach soll ein Mensch mit einer halben Promille Alkohol im Blut zu geistigen Höchstleistungen im Stande sein. Das Resultat ist verblüffend, doch die Folgen sind unvorhersehbar, sobald der Geist einmal aus der Flasche ist. Vinterberg und Tobias Lindholm, die bereits das oscarnominierte Pädophilie-Drama »Die Jagd« gemeinsam mit Mads Mikkelsen inszenierten, führen ein furchtloses Ensemble in den Abgrund. »Der Rausch« zeigt die erhebende und zerstörerische Kraft, die in der Volksdroge steckt, glänzend gespielt, unsentimental erzählt, vibrierend inszeniert und pulsierend vor Leben. Seiner Tochter Ida widmete Vinterberg den Film und den Oscar für die beste Regie bei der Verleihung im März.
»Der Rausch«: ab 22.7., Passage Kinos, Kinobar Prager Frühling, Regina Palast
28.7., 20 Uhr, Sommerprogramm des Ost-Passage-Theater, Hinterhof Dresdner Str. 82
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