Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal liest Familienredakteur Josef Braun »Der Bonsaipottwal« von Anne Grabener. Dort wird geschildert, wie schwer erste Begegnungen sein können und wie aus ihnen dennoch mitunter Freundschaften entstehen.
Wie schön muss das sein, wenn man sich die Freunde selbst aussuchen kann! Der junge Henry jedenfalls wäre lieber alleine, als sein Zimmer die Nacht über mit Enzo zu teilen, den er gar nicht kennt. Doch Enzos Eltern sind mit Henrys Eltern befreundet und gemeinsam wollen sie eine Party feiern. Den Widerspruch ihrer Kinder gegen das Arrangement überhören sie geflissentlich. Ein paar freundliche Worte, ein lautes Lachen und schon schließen sie die Türen hinter sich und Henry und Enzo sind alleine und entdecken jede Minute mehr, wie unterschiedlich sie sind. Was der eine spannend findet, dagegen ist der andere allergisch. Der Abend droht eine langweilige Angelegenheit zu werden, doch dann beginnt Enzo eine Begebenheit zu erzählen, die zu fantastisch klingt, um wahr zu sein.
[caption id="attachment_127537" align="alignright" width="320"] Der Bonsaipottwal; Cover: Kunstanstifter Verlag[/caption]
Anna Grabener hat »Der Bonsaipottwal« geschrieben und illustriert. Ihre Übernachtungsgeschichte erzählt sie vor einer skandinavisch anmutenden Kulisse, direkt am Meer. Dabei trennt sie Bilder und Text klar voneinander. Das erlaubt ihr großflächige Illustrationen, die sie mit feinen Linien und Schraffuren sorgfältig umsetzt – auch stilistisch wecken ihre Bilder Assoziationen mit Skandinavien und den Kinderbüchern von dort. Das ist besonders schön, als Enzo mit seiner Geschichte beginnt und Grabener die beiden Jungen an den Rand versetzt, um im restlichen Ausschnitt genügend Platz für Enzos Fantasie zu haben, die sie in traumhaften Landschaften einfängt. Auch zum Vorlesen gibt es das eine oder andere, sodass Kinder mit diesem Buch gleichermaßen zuhören und schauen können. Dabei ist der Text mehr als bloße Bilderklärung und entfaltet in klarer Sprache seine eigene Kraft.
Das Thema, das Grabener für ihr Buch gewählt hat, ist ein stets aktuelles unter Kindern, die sich genauso an ihre Eltern anpassen müssen, wie diese an sie. Jedem, ob Kind oder Erwachsenen, dürfte das Gefühl vertraut sein, sich mit einem Fremden in einer ungewohnten Situation wiederzufinden. »Der Bonsaipottwal« findet für eine solche Situation die richtigen Worte und Bilder, ohne dabei das Unvertraute ganz aufzulösen. Ein bisschen seltsam bleibt es, sein Zimmer mit jemandem zu teilen, den man davor noch nie gesehen hat, seltsam und besonders.