Politischer Kommentar oder Fäkalkomik, hier verbinden sich alle Spielarten der Theaterkunst. In skurrilen Episoden begeht die Inszenierung »Die sieben Todsünden« den unrechten Weg und verlockt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit allerlei Lastern. Herausgekommen ist ein verführerisches Spektakel.
Erst ragt ein Bein hervor, dann wachsen Arme aus dem Kofferstapel. Zur aufspielenden Musik taucht Seraphina hinter dem Gepäckturm auf und nimmt sogleich das Publikum für sich ein. An der Zauberkünstlerin haftet der Charme einer windigen Zirkusdirektorin, mit dem sie später die fantastischsten Kunststücke präsentieren wird. Aber zuvor muss sie ihre Compagnons wecken, die sich noch auf der kleinen Bühne der Cammerspiele verbergen. Mit einem Griff zieht die von Karoline Günst Gespielte den Burattino hervor. Als würde sie von Fäden herabhängen, tippelt die Marionette mit schlenkernden Armen zu einem verschlossenen Reisekoffer. Darin schläft der verrückte Märzhase Wolle, der Dritte im komischen Bunde.
In skurrilen Episoden begeht die Inszenierung »Die sieben Todsünden« den unrechten Weg und verlockt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit allerlei Lastern, die sich in den Koffern und Köfferchen verbergen. Das Figurentrio bringt dafür einiges Lumpengesindel auf die Bühne. So schlüpfen Burattino, Seraphina und Wolle in Handpuppenkostüme und spielen eine Talkshow hinter den aufgeklappten Koffern. Gastgeber ist der Kasperl, einer der komischen Rollen von David Wolfrum, der passend zum Diskussionsthema »Völlerei« den immer hungrigen Wolf geladen hat. Gespielt von Claudius Baisch, der ebenfalls die kindliche Marionette gibt, überzeugt das Raubtier durch sein unangenehm laszives Minenspiel. Der Märchenbösewicht ist einer dieser größenwahnsinnigen Extremdarsteller, der nicht mehr zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden will. In Vorbereitung seiner Rollen streift er durch den Forst, um deutsche Jäger zu verspeisen. Die abgetrennte Hand, die am Showbuffet gefunden wird, überschreitet dann doch die Grenze des guten Geschmacks und alarmiert die Sittenpolizei.
Der Abend verdreht lustvoll die Inszenierungsformen, die sonst auf den großen Fernseh- und Theaterbühnen vorgeführt werden. Nicht nur wird das Kasperletheater zum investigativen TV-Format, auch die Oper wird virtuos weitergesponnen. In einem wollüstigen Medley performt Günst begleitet von den Musizierenden Anton Fuchs, Johanna Jäkel und Clarissa Kanske die hochpoetischen Refrains deutscher Schlagerlieder und setzt so einen komischen Höhepunkt. Neben den Schauspielenden, die vom bürgerlichen Drama bis zur Motivationsrede alle zeitgenössischen Theaterformen leichthändig überstülpen, ist auch das Musiktrio im Hintergrund ein vielseitiger Spielpartner, der mit Geige, Akkordeon oder Oboe die Vorgänge kommentiert und anleitet.
Bei der Ensemblearbeit, die von Dorothea Wagner inszeniert wurde, soll niemand von den menschlichen Schlechtigkeiten abgebracht oder gar aufgeklärt werden. Politischer Kommentar und Fäkalkomik machen sich gleichsam über die ästhetischen Maßregeln auf der bürgerlichen Bühne wie im Lebenstheater lustig. Alle Spielarten der Theaterkunst, die aus den moralischen Kulturanstalten gepurzelt sind, verbinden sich in dieser Schule des praktischen Schabernacks zu einem verführerischen Spektakel.