Kontakte zwischen der extremen Rechten und Behörden in Sachsen werden mit erschreckender Regelmäßigkeit bekannt. Aktuell ins Licht der Öffentlichkeit rückt ein Seelsorger, der zwei Jahre in der JVA Leipzig tätig war. Dirk M. soll aus dem Umfeld des »Thüringer Heimatschutz« (THS) stammen, der Vorfeldorganisation des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU). Er selbst verneint neonazistische Kontakte.
Das Justizministerium Sachsen bestätigte auf kreuzer-Nachfrage, dass Dirk M. vom 1. Oktober 2018 bis zum 30. September 2020 als katholischer Seelsorger in der JVA Leipzig tätig war. Sein Name findet sich häufiger im Internet mit einschlägigen Hinweisen. Erst kürzlich wurde er wieder bei Recherchen zum NSU-Komplex erwähnt. Anlässlich des zehnten Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU berichtet das Rechercheportal Jena-SHK ausführlich über die Strukturen um den NSU. So heißt es: »Der NSU bezeichnete sich selbst als ein ›Netzwerk von Kameraden‹.« Es habe »eine Vielzahl von Personen durch kleine, aber auch größere Unterstützungsleistungen zur Entstehung und Umsetzung des rechten Terrors beigetragen.« Auch die Biografie von Dirk M., dem zeitweiligen Seelsorger der Leipziger JVA, wird dort beschrieben. In den 1990er-Jahren habe dieser in Jena Theologie studiert und sei als Aktiver der »Burschenschaft Jenensia« aufgetaucht. Im Dezember 1999 veranstaltete diese einen Vortrag mit Peter Dehoust, Mitherausgeber der extrem rechten Zeitschrift Nation & Europa. Hier hätten, so steht es im Rechercheportal, Neonazis aus dem THS die Ordnergruppe gestellt. Im Februar 2000 sei die »Burschenschaft Normannia zu Jena« unter anderem von Dirk M. offiziell gegründet worden im Beisein bekannter Neonazis. Dieses Treffen nannte der Thüringer Verfassungsschutz ein »extremistisches Ereignis«.
Vom kreuzer auf seine politische Aktivitäten in Thüringen angesprochen, antwortet Pfarrer Dirk M.: »Meine sog. politischen Aktivitäten beschränkten sich seinerzeit auf Mitgliedschaften und Funktionen in der Landsmannschaft Schlesien und im Bereich von Studentenverbindungen. Hier habe nie im Sinne des Nationalsozialismus oder artverwandter politischer Richtungen agiert, im Gegenteil mich immer gegen übersteigerten Nationalismus und dgl. gewandt. Das Konstrukt eines Nationalstaates habe ich nie offensiv vertreten, da es meiner politischen Haltung nicht entsprach. Diese Ansicht habe ich bis heute nicht revidiert. Dem THS gehörte ich nicht an. An seinen Aktivitäten war ich wissentlich und willentlich nicht beteiligt.« Gegen Veröffentlichungen im Internet erwäge er, rechtliche Schritte einzuleiten, sagt M. Dass sein Name nachkreuzer-Recherchen über sechzig Mal in den Ermittlungsakten zum NSU auftaucht, sei ihm bislang nicht bekannt gewesen. Auch dazu würde er rechtliche Schritte gegen die Behörde erwägen. »Da ich nie auf braunen Pfaden wandelte, muß ich mich diesbezüglich auch nicht korrigieren.«
Das Justizministerium Sachsen bestätigte auf kreuzer-Anfrage, dass während Dirk M.s Seelsorger-Zeit zwei Neonazis in der JVA Leipzig untergebracht waren. Einer stammt aus der Kameradschaft Dresden, der andere aus der Gruppe Freital. Ob es einen Kontakt zwischen dem Seelsorger M. und den inhaftierten Neonazis gab, konnte das Ministerium nicht sagen, da »Kontakte von Gefangenen zu Seelsorgenden nicht systematisch erfasst werden.« Einen Austausch mit Behörden wie dem Verfassungsschutz über die Personalie Dirk M. soll es laut Sächsischem Justizministerium nicht gegeben haben. Damit ist Dirk M., möglicherweise nach dem Justizvollzugsbeamten Kersten H., die zweite Person in der JVA mit Bezügen zur extrem rechten Szene, die Kontakt zu anderen inhaftierten Neonazis hatte. Der kreuzer berichtete. Die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Die Linke) verfolgt das Wirken von Dirk M. schon länger und ist, angesichts der Recherche, erschüttert: »Dass über zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, weder Staat noch Kirche ein Bewusstsein für Strukturen aus dem der NSU entstand, entwickelt haben, macht mich fassungslos.«
MARCO BRAS DOS SANTOS