An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Dezember-Ausgabe des kreuzer. Darin erklärt Interims-Chef Tobias Prüwer, warum ihn falsche Ausgewogenheit in der Medienwelt wütend macht und was Sie in der kreuzer-Titelgeschichte erwartet.
Ich bin sauer, aber so richtig. Nicht nur aus einem, sondern gleich mehreren Gründen. Was es nicht besser macht. Zum einen ärgert mich, dass der »Wasserzauber« geklaut wurde. Das ist der Name jener Bronze-Dame, die normalerweise am Schäferteich im Park Lößnig-Dölitz vor sich hin sinnierend hockt. Bis Unbekannte die Skulptur gestohlen haben. Wie man Kunst und Kultur nur so den Hintern zuwenden kann … Das frage ich mich auch angesichts der Zögerlichkeit, mit der wir in die vierte Corona-Welle hineingerast sind. Ja, gerast sind wir, nur die Politik war wieder nicht bereit zum Handeln. Erst herrschte Wahlkampf, dann Post-Wahlkampf; von der Sondersituation in Sachsen, dem rechten Rand und den querulant Quäkenden besonders entgegenzukommen, ganz zu schweigen. Die Corona-Maßnahmen kamen zu spät, Informationen erfolgten tropfenweise oder waren teils nicht richtig. Man kann nicht im Jahr zwei der Pandemie leichtfertig Versprechungen machen, wie den Clubs zu signalisieren, wieder öffnen zu können, um dann überrascht diese panisch zu schließen. Die Welle haben doch Wissenschaftler schon im Sommer vorausgesagt. Und dann war es wieder zu spät – und alles fährt gegen die Wand. Das macht mich wütend. Genauso wie mich die Menge an Leuten aufregt, die die Pandemie immer noch nicht ernst nehmen. Ja, die gibts. Sie stehen zu ein paar Dutzend nicht nur montags vor der Blechbüchse, sondern schreiben auch Leserbriefe. Die möchte ich aber nicht abdrucken, weil das ein falsches Bild von Größe und Relevanz vermittelt – und ich meine hier nicht maßnahmenkritische, sondern leugnende Meinungen. Man nennt das false balance, falsche Ausgewogenheit, und begegnet ihm oft in den Medien. Ein Sachverhalt soll vermeintlich neutral betrachtet werden, weshalb alle Positionen gleichrangig zu Wort kommen – und abwegige Ansichten damit aufgewertet werden. Wenn man zum Beispiel zu einer Diskussion über Astrophysik auch jemanden einlädt, der denkt, die Erde wäre eine Scheibe. Dass so viele Verharmloser so oft medial zu Wort kamen, macht mich auch wütend. Da setze ich ganz klar auf Team Wissenschaft. Und darum – nun sind wir beim schönen Thema angekommen –, geht es in unserer Titelgeschichte.
Die Entzauberung der Welt sei im Gang, heißt es seit Max Weber. Ich finde, das stimmt so gar nicht. Mich fasziniert, was die Wissenschaften permanent so entdecken und herausfinden. Das übt einen eigenen Zauber auf mich aus. Erst neulich haben Leipziger Archäologen in den Ruinen der altägyptischen Tempelstadt Heliopolis Reste eines Sonnentempels entdeckt. Darum begeben wir uns in der Titelgeschichte auf einen Streifzug durch vielfältige Leipziger Wissenschaftslandschaft. In dieser haben sich unsere Autorinnen Laurie Stührenberg und Eyck-Marcus Wendt für Sie umgeschaut (S. 22–27).
Schon weniger wütend, empfehle ich Ihnen natürlich alle Heftbeiträge und verweise auch wieder auf die vorzügliche Erfindung des Inhaltsverzeichnisses. Und besonders warm möchte Ihnen mein Glühweinrezept im Geschenke-Spezial anvertrauen (S. 87). Das ist ausgezeichnet – und natürlich nicht von mir. Das habe ich dem schönen kulinarischen Magazin Effilee entnommen.
Wohl bekomms. Genießen Sie den Dezember, so gut es Ihnen möglich ist – und vergessen Sie nicht den lächelnden Blick in den Spiegel dann und wann,
Ihr Tobias Prüwer
PS: Der Wiedehopf ist frisch zum Vogel des Jahres 2022 gewählt worden. Wie immer: Wir gratulieren dem putzigen Tier mit orangener Haube von Herzen.