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Stadtleben

Kein Einzelfall

Leipziger DJ wegen sexualisierter Gewalt angezeigt

  Kein Einzelfall | Leipziger DJ wegen sexualisierter Gewalt angezeigt

Von mehr als 50 Frauen tauchen Bilder auf einer Pornoplattform auf. Ermittler sind überfordert, gesetzliche Rahmenbedingungen fehlen. Seit sich die Betroffenen an die Öffentlichkeit wandten, kommt Bewegung in den Fall.

In der Leipziger Drum’n’Bass-Szene sprach man schon länger davon. Nun gingen die Betroffenen an die Öffentlichkeit: Ein Leipziger DJ und Veranstalter hat vermutlich auf xHamster, einer der meistbesuchten Pornowebsites, Fotos von Frauen aus seinem Umfeld ohne deren Einverständnis veröffentlicht. Es sind Bilder aus gemeinsamen Urlauben oder von ihren Social-Media-Profilen, aber auch intime Aufnahmen, die unwissentlich entstanden. Zusätzlich zu den Fotos veröffentlichte der mutmaßliche Täter Namen, Kontaktdaten und aktuelle Adressen. Nachdem die Ermittler vor einem Jahr die Wohnung des Beschuldigten durchsuchten und sich im Anschluss auf die Sichtung der Beweismittel beschränkten, ergriffen die betroffenen Frauen Anfang Dezember die Initiative und wandten sich an die Öffentlichkeit. Erst jetzt werden vermehrt Zeugenaussagen aufgenommen – der nötige Schritt in Richtung eines Prozesses, den die Betroffenen unbedingt führen wollen.

Ein Freund hatte eine der Betroffenen im November 2020 darauf hingewiesen, dass Fotos von ihr auf der Internetseite zu finden sind. Auf dem Profil sieht sie anschließend weitere Frauen, die sie kennt und informiert. »Sie hat sich dann durch die Freundeslisten auf Facebook durchgeklickt. Weil sie festgestellt hat: Okay, das sind mehrere Frauen und irgendwie kennen sich viele gegenseitig. Es ist unglaublich, was sie da geleistet hat«, erzählt Lisa*, eine der Betroffenen. Relativ schnell ist klar, wer der mutmaßliche Täter ist, denn er ist ein gemeinsamer Bekannter und in der Musikszene unterwegs, in der auch sie sich bewegen. Manche von ihnen sind seit Jahrzehnten mit ihm befreundet. In einem Vernetzungstreffen via Zoom beschließen sie, den Beschuldigten nicht selbst zu konfrontieren, sondern Anzeige zu erstatten und die Beweise auf der Website zu lassen. Lisa erinnert sich an diese Entscheidung: »Anfangs haben wir das Ganze emotional weit von uns weggeschoben. Ich bin mir sicher, dass das wichtig war. So haben wir wichtige Entscheidungen getroffen, die sonst anders ausgefallen wären.« In den nächsten Tagen erstatteten sie Anzeige, die Polizei zeigt sich allerdings aufgrund fehlender Handlungsspielräume wenig engagiert. Erst als am 3. Dezember 2020 Bilder von mutmaßlich Minderjährigen, aufgenommen auf der Kleinmesse, vom selben xHamster-Account veröffentlicht werden, reagiert die Polizei unverzüglich. Die Ermittler stürmen die Wohnung des mutmaßlichen Täters, im Rahmen der Hausdurchsuchung werden die Datenträger beschlagnahmt.

Seitdem passierte nichts. Nur eine Betroffene wurde als Zeugin befragt, die Polizei verwies auf die anhaltende Sichtung des Beweismaterials. Enttäuscht von den Ermittlungsbehörden veröffentlichten einige Mitglieder der Gruppe ihre Geschichte nun auf einer Website.

»Irgendwann hat jemand das Wort Missbrauch in den Mund genommen«

»My body is not your fucking porn« – so selbstverständlich wie diese Aussage sein sollte, ist sie leider nicht. In den Untiefen der Pornografie im Netz gibt es eine ganze Szene des sogenannten non-consensual-porn, zu Deutsch »Pornografie ohne Einverständnis«. Dabei werden Fotos oder Videos hochgeladen, ohne die Abgebildeten davon in Kenntnis zu setzen. Ein ähnlicher Fall sorgte im Januar 2020 für Wut und Ohnmacht innerhalb der Leipziger Techno-Szene, vor allem aber unter den Betroffenen: Eine Dokumentation deckte auf, dass auf dem Festival Monis Rache voyeuristische Aufnahmen auf Dixi-Toiletten aufgenommen worden und anschließend auf xHamster hochgeladen worden waren.

Wie wenig über diese Art der sexualisierten Gewalt bekannt ist, bemerkten auch einige der betroffenen Frauen. »Ich habe die Bilder gesehen und am Anfang gar nicht verstanden, was hier passiert. Das waren zum Teil einfach normale Profilaufnahmen aus sozialen Netzwerken. Irgendwann haben wir angefangen zu recherchieren, erkannt, welche Absichten dahinter strecken. Und dann wurde es hart«, berichtet Katty*. »Irgendwann hat jemand das Wort Missbrauch in den Mund genommen. Dann war klar: Das ist digitale sexualisierte Gewalt. Und da zieht es einem erstmal den Boden unter den Füßen weg.« Mitglieder sogenannter Exposer-Netzwerke sammeln Bilder von anderen Menschen und stellen diese ins Internet, dort kursieren ganze Manifeste, in denen zu weiteren Straftaten aufgerufen wird. Im Mittelpunkt steht dabei die Demütigung der Betroffenen, von denen viele nach Bekanntwerden unter Angststörungen, Depressionen oder Suizidgedanken leiden. Zudem kann das Wissen darüber, dass intime Bilder von einem selbst im Internet frei zugänglich sind, zu sozialen Konsequenzen führen. Betroffene berichten über Angstzustände in der Öffentlichkeit, Probleme in Beziehungen oder in der Jobsuche. Auch führt die fehlende Sensibilisierung zu einer Verharmlosung der Taten: Betroffene müssen sich rechtfertigen, weshalb sie überhaupt Bilder von sich teilen, die in einem anderen Kontext missbraucht werden können.

Nicht nur in der Berichterstattung spiegelte sich dieses Unwissen wider. Medien hätten durch verfälschte Darstellungen den Eindruck erweckt, es handle sich um eine Gruppe von Groupies, deren Bilder nun im Internet aufgetaucht seien, erzählen Lisa und Katty. Auch der Umgang der Polizei zeugte von einem strukturellen Missstand. Lisa erinnert sich an die erste Kontaktaufnahme: »Uns wurde gesagt: Bitte mal nicht alle gleichzeitig Anzeige erstatten, das schaffen wir sonst nicht.« Auch Katty ist noch immer entsetzt über die fehlende Kompetenz: »Unfassbar, was da los war. Wie viele weggeschickt wurden und eine Mailadresse der Polizei wurde einfach lahmgelegt. Für Betroffene ist es ohnehin schon eine riesige Überwindung, erst einmal zur Anzeige zu erstatten.« Beamte hätten zugegeben, dass sie nicht wüssten, worum es sich handelt. Auch der Zugriff auf die Pornoseiten sei nicht möglich gewesen, da das System auf der Polizeistelle den Zugang sperre. »Es muss Ansprechpartner:innen geben, eine Handlungsleitung für Polizist:innen«, fordert Lisa und Katty ergänzt: »Von uns selbst musste extrem viel Energie aufgebracht werden, damit überhaupt etwas passiert. Wir hatten den Vorteil, so eine große Gruppe zu sein. Wenn man allein dorthin geht und abgewiesen wird, fühlt man sich nicht gesehen und geht dann im Zweifel auch nicht die weiteren Schritte.« Viele Fälle scheiterten laut Katty daran, dass sie erst gar nicht zur Anzeige gebracht wurden.

150.000 Menschen unterschreiben Petition

Zusätzlich erschwert werden die Ermittlungen durch fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen. Die Polizei bot den Betroffenen zwar an, die Ordner löschen zu lassen. Allerdings fehlt insbesondere bei Bildern wie Selfies, deren unerlaubte Weiterverbreitung erst seit kurzem strafbar ist, eine belastbare Gesetzgebung. »Bei uns sind daher wahrscheinlich nur die Kommentare zu den Bildern strafbar«, berichten Lisa und Katty. Unter den Beiträgen verbreiteten User Hasskommentare und Vergewaltigungsfantasien. Auch der beschuldigte DJ beteiligte sich daran.

Um Ermittlungsbehörden zukünftig mehr Zugriffsmöglichkeiten auf Täter zu gewähren, rufen die betroffenen Frauen dazu auf, die Online-Petition »#NotYourPorn – Missbrauch auf Porno-Plattformen muss verfolgt werden« zu unterschreiben. Diese fordert eine klare rechtliche Grundlage, um die Betreiber der Internetseiten in die Verantwortung nehmen und gegen Täter konsequent vorgehen zu können. Außerdem sollen Polizei und Justiz besser auf Fälle dieser Art vorbereitet sein. Inzwischen wurde die Petition von weit über 150.000 Personen unterzeichnet. Am 15. Dezember verkündete die Initiatorin, dass im EU-Komitee einem Gesetzentwurf zugestimmt wurde, der den Forderungen ihrer Petition nachkommt. Wenn dieser final beschlossen wird, würden Betroffene darauf hoffen dürfen, dass die Inhalte bald schneller gelöscht und die Täter identifiziert werden. Es wäre ein Zeichen, dass bildbasierter sexueller Missbrauch nicht geduldet, die Betroffenen nicht allein gelassen werden.

Seit der Veröffentlichung der Internetseite ist in den Fall der Betroffenen aus der Leipziger Drum’n’Bass-Szene Bewegung gekommen. »Es wurden nun mehrere Frauen von der Polizei kontaktiert, um endlich eine Aussage zu treffen«, erzählt Lisa, »wir wollen den Prozess gegen den mutmaßlichen Täter unbedingt führen, um für uns persönlich einen Abschluss zu finden, aber auch um die Öffentlichkeit dahin zu lenken, diese Art des Missbrauchs endlich als solchen zu erkennen.« Zudem sei es wichtig, dass das Thema neben einer größeren Aufmerksamkeit auch eine Normalisierung erfahre, sagt Katty: »Wir sollten dringend aufhören, die Hand runterzunehmen und über solche Themen sprechen. Allein, weil es viele von uns betreffen kann.«

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. 

LEON HEYDE, LUCIA BAUMANN


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