Nachdem Aufrufe zu Gegenprotesten in den letzten Wochen ausblieben, verhinderten linke Demonstrierende am Montag erneute Aufzüge von Rechtsextremen und Coronaleugnern in der Innenstadt. Abseits von Leipzig sucht die Zivilgesellschaft andere Wege des Widerspruchs.
Wochenlang schauten linke Leipziger Protestbewegungen nur zu, wenn teilweise mehrere hundert Menschen aus dem rechten Querdenkenspektrum meist unbehelligt durch die Leipziger Innenstadt zogen. In der vergangenen Woche, als die rechtsextremen Freien Sachsen zum Protest gegen die bestehenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung aufriefen, mussten sich Demonstrierende nur wenig Gegenwehr von der Polizei gefallen lassen – obwohl in Sachsen Demonstrationen lediglich ortsfest und mit höchstens zehn Teilnehmenden stattfinden dürfen. Diese Einschränkung könnte mit der neuen Coronaschutzverordnung des Freistaats, die vermutlich Freitag in Kraft tritt, gekippt werden. Noch einen Montag wollten verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure vermeintlichen Coronamaßnahmen-Kritikern die Innenstadt allerdings nicht überlassen.
Das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz rief auf dem Augustusplatz zu zehn Versammlungen mit jeweils zehn Teilnehmenden auf, zusätzlich sollten spontan weitere Versammlungen angemeldet werden, um dem erhöhten Aufkommen Demonstrierender entgegenzukommen. Ab 17.30 Uhr kamen vor der Oper Menschen zusammen, die Polizei spricht in ihrer Pressemitteilung von in der Spitze etwa 300 Teilnehmenden. In der Stadt verteilt kam es zu weiteren Kundgebungen.
Bereits im Vorfeld war abzusehen, dass sich die selbsterklärten Spaziergänger der Gegenseite an diesem Abend nur vereinzelt in die Leipziger Innenstadt trauen würden. Aufgrund des angekündigten linken Gegenprotests wurde in Telegramgruppen dazu aufgerufen, zu anderen Demonstrationen auszuweichen. Vereinzelt versuchten Rechte durch Provokationen die Menschen auf dem Augustusplatz in Auseinandersetzungen zu verstricken, die Polizei musste einschreiten und es wurde zeitweise unübersichtlich. Insgesamt blieb es allerdings ruhig, vermeintliche Maßnahmen-Kritiker wurden von Gegendemonstranten mehrfach daran gehindert, durch die Stadt zu marschieren. Die Polizei kesselte vereinzelt kleine Personengruppen ein, die ohne Maske und Abstand unterwegs waren.
Außerhalb der Leipziger Innenstadt fanden mehrere Proteste gegen die Corona-Maßnahmen statt. In Engelsdorf zerstreuten sich laut Polizeiangaben rund 200 Menschen, nachdem die Beamten vor Ort eine Straße sperrten. In Liebertwolkwitz stoppte die Polizei etwa 220 Demonstrierende, im Anschluss seien mehrere Identitätsfeststellungen durchgeführt worden. Landesweit versammelten sich wie in den letzten Wochen auch diesmal wieder etliche rechte Protestgruppen, um gegen die Coronamaßnahmen zu protestieren. In Bautzen fanden sich 600 Menschen zusammen, darunter etwa 150 bis 200 gewaltbereite Hooligans, die Flaschen und Pflastersteine auf Polizisten warfen. In Freiberg kam es ebenfalls zur Auseinandersetzung zwischen sogenannten Querdenkern und der Polizei, rund 700 Menschen waren hier auf der Straße, 100 von ihnen durchbrachen eine Polizeikette. Der Gegenprotest war hier deutlich leiser als in Leipzig.
Jürgen Kasek (Die Grünen) äußerte gegenüber kreuzer Verständnis für Menschen, die der Konfrontation auf der Straße aus dem Weg gehen, verweist aber dennoch auf größer werdenden Widerspruch. »Eine Demonstration ist nicht für jeden das Mittel der Wahl. In Sachsen gab es aber zuletzt immer mehr Menschen, die sich in offenen Briefen positionierten«, erzählt Kasek. Er weist auf Freiberg hin, dort haben bislang über 5.300 Menschen einen offenen Brief des Bündnisses Freiberg für alle unterschrieben, die Initiatoren sprechen sich für eine offene und freie Stadtgesellschaft aus. »Die sind vielleicht nicht besonders laut, aber sie sind da. Wir leben aber nun mal in einer Aufmerksamkeitsgesellschaft, da erhalten die wenigen Lauten trotzdem mehr Beachtung. Aber es ist wichtig zu betonen: Die sind in der Unterzahl«, sagt Kasek.
Ohnehin ist der Aufhänger linker Kritik nicht, dass Proteste derzeit überhaupt stattfinden – dass die Versammlungsfreiheit wieder ausgeweitet wird, fordert auch Leipzig nimmt Platz. Vielmehr ist es die Selbstermächtigung, die Teile der Querdenker erfahren, wenn sie unbehelligt über Sachsens Marktplätze ziehen können, die den Gegenprotest begründet, erklärt Kasek. »Wir kritisieren die Corona-Schutzverordnung deutlich, halten uns aber trotzdem daran«, sagt der Mitinitiator von Leipzig nimmt Platz, »das trifft auf die Menschen, die sich in einer vermeintlichen Diktatur wähnen, nicht zu. Dadurch werden die Unvernünftigen umso sichtbarer.«
Wie der kreuzer berichtete, könnte das seit Ende November anhaltende faktische Verbot von Versammlungen mit der Coronaschutzverordnung, die am Mittwoch im sächsischen Landtag verabschiedet werden soll, gelockert werden. Kasek begrüßt die Entscheidung der Landesregierung: »Die Anhebung der Grenzen für Versammlungsteilnehmer ist richtig, auch jenseits der Frage, ob das pandemisch sinnvoll ist.« Damit wolle er nicht die Expertise der Virologen anzweifeln, allerdings gestalte sich die Entscheidungsfindung komplexer: »Die Pandemie bleibt ein Bereich, in dem Entscheidungen letztlich Ergebnis politischer Abwägungen sind. Dort gibt es eine Vielzahl zu beachtender Einflussfaktoren, die Diskussion über Maßnahmen bleibt somit zentral.«
Ob in den nächsten Wochen mit Gegenprotest, wie er am Montagabend stattfand, weiterhin zu rechnen ist, lässt Kasek noch offen. Gleichzeitig betont er, dass das Aktionsnetzwerk immer dann entschieden auftreten werde, sobald gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien geäußert würden: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir stillschweigend danebenstehen, wenn Menschen lautstark verbreiten, wir würden in einer Diktatur leben.«
Titelbild: Marco Brás dos Santos