anzeige
anzeige
Stadtleben

»Das Bild des Conne Island ist an vielen Stellen nicht treffend«

Zwei Herausgeber eines neuen Conne-Island-Buchs über Erinnerungen aus 30 Jahren

  »Das Bild des Conne Island ist an vielen Stellen nicht treffend« | Zwei Herausgeber eines neuen Conne-Island-Buchs über Erinnerungen aus 30 Jahren

In der Titelgeschichte der Januar-Ausgabe nähert sich der kreuzer linker Subkultur in Leipzig. Die Reise führt schnell nach Connewitz und ins Conne Island, das anlässlich seines 30-jährigen Jubiläums ein neues Buch veröffentlicht hat.

Das Conne Island ist 30 geworden. Zur Feier des Ladens gibt das Buch  »Auf dem Klo habe ich noch nie einen Schwan gesehen« einen tiefen Einblick hinter die Kulissen, indem die Herausgeberinnen und Herausgeber Menschen zu Wort kommen lassen, die das Conne Island mitgestalten oder mitgestaltet haben. Im Interview erklären zwei von ihnen ihre Herangehensweise, ihre Motivation und warum der ehemalige Eiskeller noch immer ein Ort für Streit und Widerspruch ist.

kreuzer: Das Conne Island wird 30. Anlass genug zu feiern. »Erinnerungen aus 30 Jahren Conne Island« heißt euer Buch im Untertitel. Warum wolltet ihr dieses Buch machen?

Pit: Wir sind fünf Leute in der Gruppe, die die Redaktion gemacht haben, und alle hatten andere Vorstellungen und Motivationen. Mich hat interessiert, was das für Leute sind, die das Island zum Island machen. Manche der Leute kenne ich nur vom Sehen, und mich hat interessiert, was deren Motivation ist, sich in diesem Laden zu engagieren.

kreuzer: Und was ist deren Motivation?

Pit: Die Gründe sind natürlich individuell, aber im Groben kann man sagen, dass die Leute aus Interesse an Subkultur, Politik und Musik ans Conne Island kamen. Interessanter finde ich die unterschiedlichen Backgrounds, aus denen die Leute kommen. Da kommen Leute aus den Tiefen des Saarlands oder gelangen über ihre Migration an den Laden. Sicher gibt es auch eine Art Mythos oder Ruf, den das Conne Island auch bundesweit hat, der Leute anzieht oder manchmal auch Leute vom Laden fernhält.

Hannes: Zwei Aspekte fand ich für die Produktion vom Buch sehr wichtig: Zum einen fanden wir es spannend, auch einen persönlichen Blick auf Auseinandersetzungen im Conne Island zu werfen. Oft werden die Sachen auf einer theoretischen Ebene abgehandelt. Vieles, was passiert, ist dabei begründet in der Biografie der Leute. Das ist wenig präsent, fanden wir. Der andere Punkt ist, dass 30 Jahre doch eine lange Zeit sind und viele verschiedene Leute in diesem Laden aktiv waren. Die Ursprungsidee des Buches ist dabei entstanden, als wir gemerkt haben, dass es eine Person gibt, die seit 28 Jahren hier fest arbeitet. Und gleichzeitig gibt es Personen, die sind noch nicht einmal 28 Jahre alt und arbeiten auch hier. Dabei gibt es relativ wenig Austausch über die Generationen hinweg. Es werden sehr viele Themen und Diskussionen immer wieder geführt.

kreuzer: Welche zum Beispiel?

Hannes: Zum Beispiel Diskussionen über Bands, Künstler:innen oder Autor:innen, anhand derer politische Standards beziehungsweise rote Linien verhandelt werden. Im Buch sind das zum Beispiel die Diskussion um den Auftritt der Band Stomper 98 oder die Absage des Autors Justus Wertmüller.

Cover
Cover: Verbrecher Verlag

kreuzer: Im Gegensatz zum Jubiläumsbuch zum 20. Geburtstag habt ihr einen anderen Zugang gewählt. Wie war eure Herangehensweise an die Geschichte des Island? Für welche Form habt ihr euch entschieden und warum?

Pit: Das 20-Jahre-Buch handelt die Geschichte und die Debatten ab. Es gibt einen sehr umfangreichen Überblick über den Laden. Wir hätten jetzt ein Update machen können: Was ist in den letzten zehn Jahren passiert? Das fanden wir aber Quatsch. Dann kam die Idee auf, eine neue Perspektive einzunehmen und zu gucken, was fällt gerne hinten runter. Wir haben die persönlichen Perspektiven stark gemacht und versuchen, über die jeweiligen Biografien und unterschiedlichen Motivationen einen Blick auf den Laden zu werfen.

Hannes: Wir haben Interviews geführt. Dabei haben wir zum Teil gezielt Leute angesprochen, aber auch einen offenen Aufruf gestartet, damit wir verschiedene Menschen erreichen. Wir sind mit der offenen Frage gestartet, was die Leute in ihrem Leben geprägt hat und wie sie dabei ans Conne Island gekommen sind. Dann haben wir die Texte transkribiert, als Redaktion gekürzt und bestimmte Aspekte herausgearbeitet. Gleichzeitig ist klar, dass viele Sachen, die gesagt werden, nur schwer in Schrift überführt werden können. Wir sind aber immer dabei geblieben, was die Leute gesagt haben. Daraus sind persönliche Erzählungen geworden. Insgesamt haben wir versucht, das gesamte Spektrum der Menschen des Conne Island abzubilden.

kreuzer: Wer gehört zu diesem Spektrum? 

Pit: Es gibt klassisch die zwei großen Lager, die Polit- und die Kultur-Fraktion, wobei die Grenzen da auch fließend sind. Da gibt es Leute, die interessieren sich für politische Theorie und organisieren sich im Infoladen oder organisieren Workshops, und wieder andere, die in erster Linie auf Hardcore-Konzerte oder Techno-Partys gehen wollen. Das Spektrum sind alle Menschen, die sich irgendwie im Conne Island einbringen, und das ist wahrscheinlich deutlich vielfältiger, als es von außen wirkt. Es sind auch Menschen im Buch, die sich gar nicht vordergründig als Conne Island verstehen, aber dennoch den Laden prägen in dem, was sie machen.

kreuzer: Im Vorwort schreibt ihr, es ist »nicht nur ein Buch linker Bewegungsgeschichte,« sondern eines, das »auch in einer literarischen Tradition« steht. Erfordert dieser sehr persönliche Zugang zur Geschichte in manchen Teilen Vorwissen oder stehen die Auszüge für sich?

Hannes: Wir lehnen uns an das 20-Jahre-Buch an. Die Bücher korrespondieren miteinander, weil dort viele Debatten und Sachinformationen bereits zu finden sind. Es gibt ohnehin viele Texte vom und über das Conne Island.

kreuzer: Welche Verbindungen gibt es zwischen den Texten im Buch?

Hannes: Es gibt direkte Bezüge – dass über dieselben Dinge gesprochen wird. Viele Leute reden zum Beispiel über das Montagsplenum, meistens schlecht. Natürlich ähneln sich alle Texte, weil fast alle über ihre politische Prägung sprechen. Das ist eine Klammer, die sich in allen Texten wiederfindet.

kreuzer: Wie sieht diese politische Prägung aus?

Pit: Ich würde sagen, es gibt nicht die eine Prägung. Es gibt sicher so etwas wie einen antifaschistischen Grundkonsens, der von allen geteilt wird, aber die jeweilige politische Prägung unterscheidet sich schon sehr stark, je nach Generation oder Sozialisation. Es gibt Menschen im Buch, die sind in der DDR groß geworden, andere sind stark von der Bedrohung durch Nazis in den neunziger Jahren geprägt. Wieder andere sind später geboren und in der westdeutschen Provinz geprägt worden.

kreuzer: Ist das Buch eine Selbstbefragung nach der Zugehörigkeit des Island und seiner Nutzer:innen?

Hannes: Ich würde sagen, es ist viel weniger Selbstverortung als die meisten Texte, die es sonst über das Conne Island gibt, weil es auch die Ambivalenzen und Widersprüche zum Vorschein bringt. Wir wollten zeigen, dass es ein Bild gibt und dass es an vielen Stellen nicht treffend ist, weil Menschen ganz andere Dinge erleben. Das Buch ist eher eine Zerstreuung als eine Konzentration auf ein Bild. Es ging uns nicht darum zu sagen: Das sind wir und das ist unsere Agenda. Wir wollten das Bild größer machen und hoffentlich wird es unschärfer – in einem positiven Sinne. Es ging uns darum, das breite Spektrum verschiedenster Leute, die hier zusammenkommen, darzustellen. In ihrer Verschiedenheit und ihrer Widersprüchlichkeit bilden sie das große Ganze. Das ist, was das Conne Island auszeichnet.

kreuzer: Im Vorwort schreibt ihr, dass in den Gesprächen zu Teilen Positionen dargelegt wurden, denen ihr gerne vehement widersprochen hättet, was aber nicht eurer Rolle als Interviewer:innen entsprochen hätte. Bleibt das Island ein Ort für Widerspruch und Streit?

Hannes: Hoffentlich bleibt das Conne Island Ort für Streit und Widerspruch und hoffentlich motiviert das Buch Menschen zu widersprechen, beherzt zu streiten und sich einzubringen – vor allem aber auch Positionen abzugleichen und anderen zuzuhören, andere Positionen anzunehmen und Widerspruch auszuhalten. Das Buch ist keine Feststellung der Geschichte des Conne Island, eher ein Appell, sich mit Positionen auseinanderzusetzen.

Conne Island (Hg.), Auf dem Klo habe ich noch nie einen Schwan gesehen. Erinnerungen aus 30 Jahren Conne Island. Berlin: Verbrecher Verlag 2021. Redaktion: Daniela Reimer, Lilian Rezny, Hannes Schneider, Peter Weisbrich, Bettina Wilpert

INTERVIEW VON CLEMENS BÖCKMANN


Kommentieren


0 Kommentar(e)