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Kultur

Rauschzustand

In »Null« erzählt Gine Cornelia Pedersen vom Erwachsenwerden

  Rauschzustand | In »Null« erzählt Gine Cornelia Pedersen vom Erwachsenwerden

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Martina Lisa, Josef Braun und Michelle Schreiber helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl und teilen Gedanken, die in die Lektüre hineingenommen werden können. Diesmal liest Redakteur Josef Braun »Null« von Gine Cornelia Pedersen, eine verzweifelte, lebendige und packende Coming-of-Age Geschichte mit starker Protagonistin.

Der Einzelne im Kampf mit der Welt ist ein häufig bearbeitetes Thema, auch in der skandinavischen Literatur. Knausgard fällt einem da ein, genauso wie Espedal oder Hamsun, nicht zufällig alles Männer, haben sie doch in den letzten Jahrhunderten das dazugehörige Genre maßgeblich geprägt. Umso interessanter ist es, wenn eine Autorin sich dem Thema widmet.

Gine Cornelia Pedersens Roman »Null« ist in Norwegen bereits 2013 erschienen, wo er einige Preise abräumte, danach dauerte es bis Ende des letzten Jahres, ehe er auch auf deutsch erschien. Seine namenlose Protagonistin wächst auf dem Land auf, spannend ist das Leben dort nicht, kleine Affären sollen über die Langeweile hinwegtrösten und können sie doch höchstens für Momente vergessen machen. Die junge Erzählerin möchte weg, sie sieht Filme mit Leonardo di Caprio und beschließt, Schauspielerin zu werden. Sobald ihr Alter es zulässt, zieht sie nach Oslo.

Cover
Cover: Luftschacht Verlag

Die Sätze in »Null« sind kurz und auf den Seiten angeordnet wie ein nicht enden wollendes Gedicht, ein stetiger Bewusstseinsstrom, der beim Lesen einen starken Sog entfaltet, stellenweise aber auch ins Banale abrutschen kann. »Ich bin zehn Jahre alt/Ich absorbiere alles/Ich habe keine Filter«. Was sich in der Kindheit als Problem andeutet, ein junger Mensch, wehrlos gegenüber den Eindrücken der Welt, wird mit dem Umzug in die norwegische Hauptstadt zur ausgewachsenen Krise. Es folgen verschiedene Jobs, Sex, der nichts bedeutet, Stimmen im Kopf und schließlich die Einweisung in die Psychiatrie. Das Leben ist eine ständige Achterbahnfahrt, das besondere dieses Romans, dass er den Leser mitfahren lässt. In »Null« lassen sich die Hochgefühle psychisch erkrankter Menschen genauso nachvollziehen, wie die Phasen tiefer Verzweiflung und Abgestumpftheit erahnen. Das reißt mit, kann mitunter aber auch ermüden. Doch gerade wenn man dachte, jede Wendung durchlebt zu haben, zieht Pedersen noch einmal an. Die letzten Seiten explodieren in Emotionen unterschiedlichster Tönungen, die Handlung wird immer verworrener bis nicht mehr klar ist, was echt ist und was eingebildet. Ein gelungener und einfallsreicher Roman, der von Andreas Donat wunderbar ins Deutsche übertragen wurde.

Gine Cornelia Pedersen. Null. Aus dem Norwegischen von Andreas Donat. Wien: Luftschacht Verlag 2020. 192 S., 20 €

JOSEF BRAUN


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