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Kultur

Im Vorzimmer des Lebens

Die Inszenierung »beach house« feiert am Schauspiel Premiere

  Im Vorzimmer des Lebens | Die Inszenierung »beach house« feiert am Schauspiel Premiere

Sonne, Palmen, Meer: Das Leben in einem Strandhaus in Floridas könnte so schön sein. Auf der Jagd nach diesem Traumbild verstricken sich die Figuren am Schauspiel Leipzig immer weiter in ihr trostloses Leben.

Manchmal fühlt sich das Leben an wie Break Dance fahren. Nur die Wenigsten, die sich auf die noch drehende Platte wagen, ergattern einen Platz im Zweisitzer. Der Rest fliegt hin. Und selbst diejenigen, über die sich der verheißungsvolle Bügel geschlossen hat, fragen sich nach einer aufgepeitschten Runde: War das schon alles? Die Zwillinge Taylor und Ronny stehen nach kurzem Rausch mit leeren Taschen auf dem Rummel. Doch heute, an ihrem Geburtstag, soll es mal anders gehen. Auch sie verdienen ein Stück Glück, das länger hält als eine Karussellfahrt, und das lockt vom Plakat einer Losbude. Wie ein Fenster in ein anderes Leben leuchtet da ein Beach House im fernen Florida. »Jedem Nachteil steht ein Vorteil gegenüber«, denkt sich Ronny. Die Kohle für das Los verdient er sich bei einem Blowjob zwischen den Ständen, fürs Kehle zudrücken gibt es eine Schachtel Kippen obendrauf. Hauptgewinn! Vier Wochen Sonne und Meer erwarten die Zwillinge und ihre rheumakranke Mutter.

Dramatiker Dorian Brunz erschafft in »beach house« einen Sehnsuchtsort, der das beschädigte Leben zur Übergangsphase erhebt. Nach der Uraufführung im Rahmen der Berliner Autor:innentheatertage 2020 feierte die Inszenierung von Philipp Preuss am vergangenen Wochenende Premiere am Schauspiel Leipzig. Das Milieustück verweigert sich wirkungsvoll dem Naturalismus für ein starkes, visuelles Regiekonzept. Um die Eigenbeteiligung der verlockenden Reise aufzubringen, begeben sich die Geschwister in hyper-entfremdete Arbeitsverhältnisse, in denen sie zur Projektionsfläche für Zuneigung und Gewalt werden. Das Bühnenbild aus Leuchtstoffröhren, entworfen von Ramallah Aubrecht, die ebenfalls die Kostüme gestaltete, und dem Lichtdesigner Carsten Rüger, trennt die Figuren voneinander. Taylor, gespielt von Julia Preuß, blickt Fernando, den Tilo Krügel darstellt, kaum an, während sie ihm ihre Zeit als gekaufte Freundin zur Verfügung stellt. Die simulierte Nähe geschieht nach Maßgabe des Geldgebers, der sich bei jedem Einbruch des wirklichen Lebens in die synthetische Verbindung schlagartig distanziert. Oft werfen sich die Verlorenen nur Sprachfetzen zu, die unbeachtet versickern oder in der musikalischen Untermalung von Alexander Nemitz untergehen.

Zwischen Verletzlichkeit und Härte irren Taylor und Ronny, dessen Rolle Felix Axel Preißler übernimmt, aneinandergeklammert durch ihr Leben, das ihnen so kalt gegenübersteht, wie das farbwechselnde Neongestänge auf der Bühne. Ihre Mutter, in deren Rolle Anna Keil mit verknöcherten Händen auf der Bühne leidet, hat den Kontakt zur Außenwelt längst aufgegeben. Gefesselt ans Zentrum der Szenerie träumt sie sich zurück in eine Revolution, die sie nie erlebt hat. Mit dem palmenbeschatteten Ausweg vor Augen, nehmen die Figuren ihr erniedrigendes Dasein hin. Die Ahnung, dass alles ein Betrug sein könnte, legt sich immer schwerer um die verletzten Gestalten, bis die Hoffnung in Gewalt umschlägt. 

Titelbild: Rolf Arnold, Schauspiel Leipzig


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