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Editorial 02/2022

Das neue Heft ist da!

  Editorial 02/2022 | Das neue Heft ist da!

An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Februar-Ausgabe. Chefredakteurin Juliane Streich geht der Frage nach, was mit den Sachsen eigentlich nicht stimmt und berichtet von einer Anekdote, die ein Teil der Antwort sein könnte.

Während ich darüber nachdenke, was mit den Sachsen eigentlich nicht stimmt, fällt mir diese Situation ein: Sommer in Chemnitz in einer Zeit, in der es noch Festivals gab. Ich sitze im mehr als vollen Shuttlebus vom Kosmonautfestival am Rande der Stadt zum Hauptbahnhof. Mit mir im Bus: Hunderte (gefühlt Tausende) junge Menschen aus der ganzen Republik. Die meisten jünger als ich, so viel jünger, dass einige darüber reden, ob sie morgen Schule schwänzen sollten, weil das Festivalwochenende zu wild war. Als der Bus losfahren will, macht der Busfahrer die unvermeidliche Ansage durchs Mikro, dass sich die Tür erst dann schließen werde, wenn die Menschen den Türbereich freiräumen würden. Der ganze Bus lacht. Schallendes Gelächter – aber nicht wegen der Unmöglichkeit, die Tür freizuräumen, sondern wegen des Dialekts des Busfahrers. Der versteht den Witz nicht, wiederholt sein Anliegen erneut im breitesten Sächsisch, wieder Lachen. Ich befürchte fast, dass nun erst recht alle nicht die Tür freiräumen, einfach weil sie mehr hören wollen von dem Mann mit der lustigen Sprache. Doch irgendwann gehts los und ein paar Ansagen und Lacher später kommt das Ziel, an dem alle in den ICE die Regionalbahn steigen, um Sachsen hinter sich zu lassen. Keine Ahnung, ob der Busfahrer irgendwann verstanden hat, was die jungen Menschen so erheitert. Ich hoffe nicht. Denn die Kränkung sitzt tief. Ich kenne Studierende aus dem Erzgebirge, die in ihren ersten Semestern keinen Ton sagten aus Angst, ausgelacht zu werden. Eine Berliner Freundin bemerkte mal völlig ironiefrei, dass sie nie etwas mit einem Typen haben würde, der Sächsisch spricht, weil sie immer sofort denke, er sei dumm. Diese Demütigungen sind nicht die einzige Erklärung und auch keine Entschuldigung, aber doch nicht ganz unwichtig bei der Frage, was mit den Sachsen eigentlich nicht stimmt.

DIE Sachsen, das kann man so nicht sagen, wenden jetzt wachsame Leserinnen ein. Is klar. Es gibt immer solche und solche. Und natürlich gibt es auch Sachsen, mit denen sehr viel stimmt – über einige, ob Axel Steier, der Menschen rettet, oder coole Comiczeichnerinnen berichten wir in diesem Heft. Ein wichtiges Indiz, um solche und solche zu unterscheiden: Die Sachsen, die verneinen, dass mit den Sachsen was nicht stimmt, sondern im Gegenteil sogar behaupten, dass die Sachsen etwas Besonderes, Besseres, ja gar das Höchste sind, was ein Mensch auf Erden werden könne (S. 23), mit denen stimmt auf jeden Fall was nicht. Was genau das ist und wie es so weit kommen konnte, dass Sachsen immer ganz vorne mit dabei ist, wenn es um Stolz auf die eigene Herkunft und Heimat geht, hat der Kollege Tobias Prüwer auseinandergenommen. Lesen Sie das, um Ihre Landsmänner (nennen wir sie ruhig Männer) besser zu verstehen. Spoiler: Es hat auch mit Kränkung zu tun.

Immer schon anders als der Rest von Sachsen war Connewitz. Anders als der Rest der Welt vielleicht sogar, um mal doch ein bisschen sächsischen, nein: Leipziger Größenwahn zuzulassen. Und nach unserer letzten Ausgabe war Connewitz in Aufruhr. Als Ärgernis wurde die Aussagen des Roten Salons wahrgenommen. Das hätte mich auch gewundert, gar erschüttert, wenn es da nicht Gegenreaktionen gegeben hätte. Einige haben wir in der »Post an den kreuzer« veröffentlicht, die diesmal mehr als doppelt so lang ist wie sonst.

Begrüßen möchte ich noch Max Baitinger, der uns und Sie von nun an mit seiner Comic-Serie »Hallimasch« beglückt, und dann ist es auch schon an der Zeit, mich zu verabschieden, hier aus dem Büro der Chefredaktion. Als ich vor knapp einem Jahr den Anruf bekam, ob ich als Chefredakteurin beim kreuzer einspringen will, hab ich gerne Ja gesagt, denn es ist halt ein tolles Magazin von tollen Leuten – und da ist man natürlich gerne dabei. Obwohl das eine große Ehre und auch ein großer Spaß war, will ich nun wieder andere Dinge tun, vor allem lieber Texte schreiben als E-Mails. Aber ich bleibe dem kreuzer treu, tun Sie das auch!

Ein Hoch auf unsern Busfahrer

JULIANE STREICH

chefredaktion@kreuzer-leipzig.de

PS: Solidarische Grüße gehen raus an die Unizeitung luhze, die sich juristisch mit der Immobilienfirma der United Capital rumschlagen muss. Kritischer Journalismus – keep on fighting!


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