Soli-Kino für die Ukraine gibt es im April gleich mehrfach: Das Dok Leipzig zeigt den Dokumentarfilm »No Obvious Signs« über die psychischen Folgen des Krieges und den Kurzfilm »Deep Love« in der Kinobar. Die Cinémathèque kooperiert mit dem Ukrainian Film Festival Berlin und zeigt die Coming of Age-Geschichte »Stop-Zemila« und »The Earth is as Blue as an Orange«, der zeigt, wie Kino auch im Krieg Kraft geben kann. Und das Luru zeigt die Musikdoku »Moustache Funk«. Die Einnahmen werden gespendet.
1./12.4. Cinémathèque in der Nato, 1.4. Kinobar Prager Frühling, Luru Kino in der Spinnerei
Film der Woche: Frankreich, 1963: Anne bereitet sich auf ihre Abschlussprüfungen vor, nach deren Bestehen sie Literatur studieren will. Die Zwanzigjährige stammt aus einfachen Verhältnissen und hat es mit Intelligenz, Fleiß und Talent schon jetzt weit gebracht. Als ihre Periode ausbleibt, bestätigt ihr Arzt ihr, dass sie schwanger ist. Eine höchst brisante Situation, denn für eine Mutterschaft, die ihre Zukunftspläne zerstören würde, ist die Studentin noch nicht bereit. In Frankreich besteht allerdings, wie in den meisten Ländern jener Zeit, ein umfängliches Abtreibungsverbot mit harten Strafen. Anne wählt schließlich verzweifelt einen lebensgefährlichen Weg, den viele Frauen auch heute noch immer weltweit beschreiten. Regisseurin Audrey Diwan hat den autobiografischen Roman von Annie Ernaux in einen intimen, außergewöhnlichen Film verwandelt. Dabei lässt sie das Publikum ihrer Protagonistin durch entsprechende Kameraeinstellungen und das beengende 4:3-Bildformat stets ganz nahe sein und blendet auch dann nicht weg, wenn es schlimm wird – Annes Orientierungslosigkeit, Angst und physische Schmerzen werden so immersiv spürbar. Maßgeblichen Anteil an der maximalen Wirkung des Gewinners der letztjährigen Filmfestspiele von Venedig hat bei alledem Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei, die ihrer ebenso verletzlichen wie starken Figur durch minimalistische Blicke und Gesten alle notwendigen Nuancen verleiht.
PETER HOCH
»Das Ereignis«: ab 31.3., Passage Kinos
Laura fühlt sich fehl am Platz unter all den Intellektuellen, die die Moskauer Wohnung mit ihren Gesprächen beleben. Ihr einziger Anker ist Irina. Wenn die Professorin sie anblickt, hat Laura das Gefühl, als gäbe es niemanden sonst in ihrem Leben. Aber Irinas Leben ist ebenso voll von anderen Menschen wie ihre Wohnung. Daher hat sie auch keine Zeit mit Laura die Petroglyphen zu besichtigen. Also fährt die finnische Archäologiestudentin kurzerhand alleine mit dem Zug nach Murmansk, um die prähistorischen Zeichnungen zu sehen. Zumindest wünscht sie sich bald allein zu sein, denn sie teilt ihr Abteil mit dem unflätigen Russen Ljoha, der säuft und raucht und übergriffig wird. Frustriert verlässt sie das Abteil, doch es ist eine lange Reise bis ans Ende des Landes und sie muss sich notgedrungen mit ihrem Mitreisenden arrangieren. Während die Landschaft an ihnen vorbeizieht, stellt sie fest, dass Ljoha ebenso unsicher ist wie sie und unter der rauen Oberfläche ein entwaffnend ehrlicher Typ steckt. Wer hier allerdings die große Liebesgeschichte wittert, der wird sie in der Adaption des Romans »Hytti nro 6« von Rosa Liksom nicht finden. Der finnische Regisseur Juho Kuosmanen erzählt mit viel Charme und trockenem Humor von zwei unterschiedlichen Menschen, die gemeinsam einsam durch die Nacht fahren. Die Reise wert ist vor allem Hauptdarstellerin Seidi Haarla, die Laura vielschichtig und grundsympathisch verkörpert.
»Abteil No. 6«: ab 31.3., Passage Kinos
Als Bankräuber und Ausbrecherkönig ziert Walter Stürm die Gazetten. Charmant und selbstverliebt windet er sich scheinbar aus jeder noch so misslichen Lage heraus. Eine gute Gallionsfigur für die Bewegung der jungen Schweizerinnen und Schweizer, die gegen das Establishment protestieren. Der Staat geht mit aller Härte gegen die Aufständischen vor, die Verhältnisse in den Gefängnissen sind desolat. Als Stürm mal wieder geschnappt wird und einsitzt, beschließt die Anwältin und Aktivistin Barbara Hug sein Mandat zu übernehmen. Zwischen Hug und Stürm entwickelt sich bald mehr als eine »rein geschäftliche Beziehung«. In den stürmischen Zeiten der frühen Achtziger Jahre passt ein Querulant wie Walter Stürm perfekt hinein. Oliver Rhis (»Schwarze Schafe«) zeichnet das Bild eines Außenseiters und nimmt sich einige Freiheiten bei der Interpretation der Geschichte. Joel Basman legt viel schauspielerische Energie in seine Verkörperung. Marie Leuenberger spielt die Anwältin zwischen Selbstzweifeln und Kampfeswillen. Hinzu kommt viel Zeitkolorit der wilden Achtziger zwischen Punks und Spontis, das auch kurz die deutsche Szene jener Zeit streift. Doch die Erzählung bleibt trotz zwei Stunden Lauflänge zu oberflächlich. Man bekommt kein Gefühl für den Menschen Stürm und entwickelt folglich wenig Verständnis für dessen Anziehungskraft auf Hug. Der gut ausgewählte Soundtrack und die Atmosphäre einer Ära des Umbruchs lohnen noch am ehesten die Zeitreise.
»Bis wir tot sind oder frei«: ab 31.3., Regina Palast, Schauburg
»Nur langsam kehren die Männer von der Front zurück und in den Städten sind es die Frauen, die zwischen den Trümmern räumen. Zum Kochen gibt es sowieso nicht viel…« Deutschland, 1946. Das Nazi-Regime ist gestürzt, doch die Befreiung hat Spuren hinterlassen. Die Trümmer liegen auf den Straßen und in den Seelen. Wie kann es weitergehen? Das fragt sich auch Charlotte Schumann. Die junge Frau ist schwanger von einem Kriegsheimkehrer, doch der will weder sie noch das Kind. In ihrer Verzweiflung meldet sich Charlotte für einen »Fräuleinkurs« an. Die Schauspielerin Gloria Deven soll ihre Schülerinnen lehren, wie sie einen Mann für sich gewinnen. Doch der ehemalige Filmstar verfolgt andere Pläne. Trauma, Schuld und sexueller Aufbruch – Regisseur und Drehbuchautor Oliver Kracht will vieles ansprechen und nimmt sich dafür gute zwei Stunden Zeit. In starken Momenten wirkt seine Auseinandersetzung wie ein flirrendes Gewebe von Assoziationen rund um das Thema Macht und Weiblichkeit. Das stilisierte Nachkriegsszenario wird durchmischt mit historischem Bildmaterial von Hitlers Machtergreifung bis zum NSU. Diese Montagen entwickeln eine brodelnde Kraft, Hirsch gelingt es aber nicht, sie konsequent zu kanalisieren. In die Mitte seines Themengeflechts pflanzt er lieber eine Story um Freundschaft, Verführung und Verrat in den eigenen Reihen, die aber zu konstruiert und vage bleibt, um vor dem gezeigten Hintergrund einen wirklichen Erkenntniswert zu bieten.
KARIN JIRSAK
»Trümmermädchen – Die Geschichte der Charlotte Schumann«: ab 31.3., Cinémthèque in der Nato
Weitere Filmtermine der Woche
10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?
D 2015, Dok, R: Valentin Thurn, 107 min
Passage-Kinos, 04.04. 18:00 (Lecker Kino, anschl. Gespräch mit Valentin Thurn)
Dokumentarfilm des Regisseurs von »Taste the Waste«, der die industrielle, globale und die ökologische, regionale, traditionelle Landwirtschaft gegenüberstellt.
Adam
MAR/F 2019, R: Maryam Touzani, D: Lubna Azabal, Nisrin Erradi, Douae Belkhaouda, 101 min
Cineding, 07.04. 19:00 (OmU)
Die Beziehung zweier Frauen unterschiedlicher Herkunft. Schöner kann man im Kino von weiblicher Solidarität und der Einsamkeit Alleinerziehender nicht erzählen.
Banff Centre Mountain Film Festival
Werk 2, 06.04. 19:30
Im kanadischen Banff treffen sich seit 1976 Alpinisten, Filmemacher und Abenteurer von Rang und Namen. Die Abenteuerkurzfilme und -dokus des Banff Mountain Film Festivals sind wieder auf Welttournee und bei einem zweistündigen Filmabend zu sehen.
Bergen
TRK 2022, R: Mehmet Binay, Caner Alper, D: Farah Zeynep Abdullah, Erdal Beşikçioğlu, Tilbe Saran, 146 min
Cineplex, 31.03. 20:00 (OmU), 01.04. 20:00 (OmU), 02.04. 20:00 (OmU), 03.04. 16:50 (OmU), 20:00 (OmU), 05.04. 20:00 (OmU), 06.04. 20:00 (OmU)
Filmbiografie über die türkische Arabesken-Sängerin Bergen, die von ihrem Ehemann ermordet wurde.
Das Leben an deiner Seite
D 2022, Dok
Passage-Kinos, 07.04. 20:00 (Premiere)
Ein Dokumentarfilm über Schicksalsschläge, Erfolgsmomente, viel Herz & Engagement. Entstanden mit der Elternhilfe für krebskranke Kinder.
expandDement, aber noch da
D 2019, Dok, R: Cosima Jagow-Duda, 29 min
Grassi-Museum für Völkerkunde, 06.04. 19:00 (anschl. Gespräch)
Überraschende Einblicke in eine geschützte Demenzsation. Am 6. April mit anschließendem Gespräch mit der Neurologin Maximiliane Hantel vom Leipziger Klinikum St. Georg.
Don't Look Up
USA 2021, R: Adam McKay, D: Timothée Chalamet, Leonardo DiCaprio, Jennifer Lawrence, 145 min
Luru-Kino in der Spinnerei, 01.04. 21:00 (OmU), 05.04. 21:00 (OmU)
Starbesetzte Netflix-Komödie um ein Team von Wissenschaftlern, die die Menschheit vor dem Einschlag eines Kometen warnen müssen.
Grüne Tomaten
USA 1991, R: Jon Avnet, D: Kathy Bates, Jessica Tandy, Mary Stuart Masterson, 130 min
Cinestar, 05.04. 19:30 (Best of Cinema)
Cineplex, 05.04. 20:00 (Best of Cinema)
Regina-Palast, 05.04. 20:00 (Best of Cinema)
Anrührendes Drama um zwei Frauen, die in den USA der 1930er ein Café eröffnen, in dem Schwarze und Weiße zusammen bedient werden.
Jujutso Kaisen 0
J 2022, R: Sung-ho Park, 105 min
Cineplex, 31.03. 20:00 (Anime-Night, OmU), 02.04. 16:45 (Anime-Night)
Cinestar, 01.04. 22:15 (OmU), 02.04. 22:50, 03.04. 20:30 (OmU)
Anime um einen Jungen auf der Suche nach einem Schamanen, der ihn von einem Fluch befreien soll.
Krime Story. Love Story.
PL 117, R: Michal Wegrzyn, D: Cezary Lukaszewicz , Michal Koterski , Piotr Witkowski
Cineplex, 02.04. 17:00 (OmeU, Polnisches Kino)
Ein Auftragskiller verliebt sich in dieser Krimi-Liebes-Tragikomödie in die Tochter seiner Zielperson.
Moustache Funk
UKR 2020, Dok, R: Oleksandr Kovsh, 73 min
Luru-Kino in der Spinnerei, 31.03. 19:00 (OmeU, Spendenscreening für die Ukraine)
Dokumentation über die Vokal- und Instrumentalensembles in der Sowjetunion der 1970er-Jahre, darunter »Smerichka«, »Svityaz«, »Arnica«, »Kobza«, »Muster der Wege«, »Marsch«, »Glocken«, »Wasserfall« und andere.
Mulholland Drive
USA 2001, D: Naomi Watts, Laura Elena Harring, Justin Theroux, 147 min
Kinobar Prager Frühling, 07.04. 19:15 (Best of Cinema, OmU)
Ein typischer David-Lynch-Thriller: toll besetzt und gefilmt, hypnotisch, verschachtelt – und völlig rätselhaft bis zum Schluss.
No Obvious Signs
UKR 2018, Dok, R: Alina Gorlova, 64 min
Kinobar Prager Frühling, 01.04. 19:00 (mit Vorfilm)
Dokumentation, die hinter die Kulissen des Ukraine-Konflikts blickt, der seit 2014 wütet. Mit Vorfilm »Deep Love« (UKR 2019).
Phantastische Tierwesen – Triple
USA/GB 2016-22, R: David Yates, D: Eddie Redmayne, Katherine Waterston, Dan Fogler, Johnny Depp, Mads Mikkelsen, Jude Law
Cinestar, 05.04. 18:30, 18:45 (OF)
Regina-Palast, 05.04. 19:00
Alle drei Teile am Stück: »Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind« (USA/GB 2016),»...Grindelwalds Verbrechen« (GB/USA 2018) und »...Dumbledores Geheimnisse« (USA/GB 2022).
Rebel Dykes
GB 2021, Dok, R: Harri Shanahan, Siân A. Williams, 89 min
Kinobar Prager Frühling, 04.04. 18:00 (OmU)
London in den Achtzigern: Als Punk auf Feminismus traf.
Stop-Zemlia
UKR 2021, R: Kateryna Gornostai, D: Maria Fedorchenko, Arsenii Markov, Yana Isaienko, 122 min
Cinémathèque in der Nato, 05.04. 19:00 (Kinofokus auf die Ukraine. Solidarität mit ukrainischen Filmemacherinnen, mit Einführung und Gespräch, OmU)
Ost-Passage-Theater, 06.04. 20:00 (OmeU)
In der turbulenten Zeit vor dem Schuljahresabschluss verliebt sich Masha auf eine Art und Weise, die sie aus ihrer Komfortzone zwingt. Eine zutiefst persönliche Geschichte über Selbstfindung und die dafür erforderliche Geduld.
Tage im Mondschein
D 2021, Dok, R: Soniya Frotan, Viktoria Lukina, 30 min
Frauenkultur, 01.04. 18:00 (anschl. Gespräch mit der Regisseurin Soniya Frotan)
Soniya Frotan war im Mai 2021 in Kabul und Parwan unterwegs und traf Frauen, die jedes Klischee sprengen und zahlreiche Widersprüche und Gegensätze leben und aushalten müssen.
Verliebt, Verlobt, Verloren
D 2015, Dok, R: Sung-Hyung Cho, 93 min
Zeitgeschichtliches Forum, 04.04. 19:00 (Reihe »Starke Frauen«)
Der Dokumentarfilm wirft einen Blick auf die Geschichte koreanischer Gastarbeiter in der DDR aus der Perspektive ihrer Nachkommen.
Victoria
D 2015, R: Sebastian Schipper, D: Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski, 134 min
Passage-Kinos, 01.04. 20:00 (Psychoanalyse trifft Film mit Dr. Simone Berrouschot)
Eine atemlose Nacht in Berlin, gedreht in einem Take. Vielfach ausgezeichnetes Bravourstück des deutschen Kinos. Mit psychoanalytischer Betrachtung durch Frau Dr. Simone Berrouschot.
Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann
GB/USA 2020, Dok, R: Jerry Rothwell, 82 min
Passage-Kinos, 02.04. 16:45 (zum Weltautismustag), 03.04. 12:45
Kinobar Prager Frühling, 02.04. 17:00 (zum Weltautismustag mit anschl. Gepräch), 05.04. 16:00
Preisgekrönter Dokumentarfilm, der die Welt von Menschen aus dem autistischen Spektrum erforscht.
Zuhurs Töchter
Kinobar Prager Frühling, 31.03. 15:00 (Transgender Day of Visibility)
Drei Jahre lang haben die Filmemacher Laurentia Genske und Robin Humboldt zwei syrischen Trans-Schwestern mit der Kamera begleitet. Ein berührender Film über Toleranz.
Titelbild: Filmstill aus »Das Ereignis«, Copyright 2021 PROKINO Filmverleih GmbH