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Kultur

Leipziger Hip-Hop: Der Sprung über den Szene-Tellerrand

Auf Spurensuche in der Leipziger Hip-Hop-Szene

  Leipziger Hip-Hop: Der Sprung über den Szene-Tellerrand | Auf Spurensuche in der Leipziger Hip-Hop-Szene

Der meiste Hip Hop findet in Leipzig buchstäblich im Untergrund statt. Während sich in anderen deutschen Großstädten längst eine Infrastruktur etabliert hat, entstehen viele hiesige Projekte in Eigenproduktion. Aber: Das Bild wandelt sich. Eine Spurensuche.

DK Dando

Ein Zimmer irgendwo in Neuschönefeld: Aus den Boxen schepperrn Hip-Hop-Beats, in der Ecke steht ein ramponiertes Skateboard. Besuch beim Rap-Duo DK Dando. DK Dando bestehen aus dem Rapper Ritter Dando und dem Produzenten D.K.Denz. Die beiden machen zusammen Musik, seit sie 19 sind. »D.K.Denz hat sich gefreut, dass es einen Rapper für seine Beats gibt und ich hab mich gefreut, dass ich Beats habe«, meint Ritter Dando. Aus der Kooperation sind mittlerweile fünf EPs und ein Album entstanden. Die beiden Musiker sind in Leipzig aufgewachsen, ihren Songs merkt man die starke Verbundenheit zur Stadt an. Ritter Dando rappt über »Scherben auf der Sachsenbrücke«, eine »sonderbare Nacht in Sommerfeld« und andere vermeintliche Alltagsgeschichten. Hört man genauer hin, entdeckt man aber überall kleine Anspielungen auf das Zeitgeschehen. »Papa hat gestern gesagt, dass vor über 30 Jahren am Lindenauer Markt seine Bude schon bezahlt war für unter 100 Mark«, heißt es zum Beispiel im Song »Lindex«. Seine Texte soll man »mit einem Augenzwinkern« sehen, meint Ritter Dando.

»Wenn eine Szene bedeutet, dass sich jeder kennt, dann würde ich schon sagen, dass es eine Hip-Hop-Szene in Leipzig gibt«, sagt Ritter Dando. Die Rapperinnen seien aber über die ganze Stadt verstreut. Eine wichtige Anlaufstelle für Hip-Hop sei früher die Alte Damenhandschuhfabrik in Plagwitz gewesen, die aber 2018 schließen musste. Ansonsten ist das Conne Island wichtig für die beiden. »Es gibt auch noch ‚Open Mic am Dienstag‘, die machen regelmäßig Cypherrunden in verschiedenen Locations«, erzählt D.K.Denz.

Anfang des Jahres haben DK Dando ihre EP »Auf der Mauer« veröffentlicht und sind selbst überrascht von dem positiven Feedback: »Vor vier Jahren war das eine eingeengtere Hörerschaft, mittlerweile hören das auch Leute außerhalb von Leipzig«, meint Ritter Dando. »Und gerade haben uns Leute aus Trier gefragt, ob wir bei denen ein Konzert spielen wollen.«

 

Der Noie, Dr. Dorax, Kulmbach

Ein Treffen mit den beiden Rappern DerNoie und Dr. Dorax ist eine echte Herausforderung, da beide ausschließlich mit Maske auftreten und deshalb im Vorfeld unklar ist, wer die Personen unter den Sturmhauben sind. Da hilft es, wenn man sich vorab auf ein Erkennungsmerkmal, in diesem Fall eine farbige Mütze, verständigt hat. 

Es geht den beiden Musikern darum, dass die Musik und nicht ihre Persönlichkeiten im Vordergrund steht. DerNoie hat vor fast zehn Jahren, Dr. Dorax vor etwa fünf Jahren angefangen zu rappen. »Wir haben uns mit Freunden getroffen, fünf Stunden einen Beat laufen lassen, jeder hat einen Text geschrieben und dann haben wir alle unsere Parts mit einem Headset-Mikro eingerappt«, erinnert sich DerNoie. Richtig professionell werden die Aufnahmen aber erst 2018, als die beiden Rapper über einen Freund Beats bekommen, »von einem Typ, der Kulmbach heißt«.

Bei dem Produzenten und Beatmaker Kulmbach laufen die Fäden zusammen – und das bei einer stetig wachsenden Anzahl an Rapperinnen. DerNoie, Dr. Dorax und ich besuchen ihn in seiner WG, von dort aus versorgt er die Leipziger Rapperinnen mit Beats.
Ein Mikrofon steht einsatzbereit neben dem Schreibtisch, in der Ecke liegen große Schaumstoffrollen, die bei Bedarf aufgehangen werden können, um den Raumklang zu verbessern. Kulmbach produziert seit sechs Jahren Beats, die er regelmäßig auf Soundcloud und YouTube veröffentlicht. Seine Musik ist beeinflusst von Boombap und der Filmmusik von italienischen Horror-Filmen aus den Siebizger Jahren. Gitarre und Bass kann der Leipziger auch spielen. Neben seinem Laptop liegt ein kleines Notizbuch, komplett voll mit musikalischen Ideen und kryptischen Notizen. »Das brauche ich mittlerweile, um einen Überblick über die ganzen Beats zu behalten«, meint er.

Für die im vergangenen Jahr veröffentlichte Kollabo-EP »Radikale Entschleunigung« von DerNoie und Dr. Dorax produziert Kulmbach die Beats, in der Folge melden sich immer mehr Leipziger Rapperinnen bei ihm. Er sei selbst davon erstaunt gewesen, berichtet Kulmbach: »Mir war nicht so bewusst, dass die Stadt voll ist mit Künstlern. Seit ich DerNoie und Dr. Dorax kenne, merke ich, dass es in Leipzig überall MCs gibt.« Der Begriff MC stammt aus den Siebziger Jahren, der Gründerzeit des Hip-Hop. MC bedeutet Master of Ceremonies, da die Rapperinnen ursprünglich das Begleitprogramm für DJs gestalteten und per Ansagen durch den Abend führten.

DerNoie, Dr. Dorax und Kulmbach sind sich einig: Es gibt jede Menge Hip-Hop in Leipzig, aber viele Projekte bleiben unbemerkt. »Es passiert großteils alles im Untergrund, wenig tritt nach außen, was auch super schade ist«, meint DerNoie. Aber woran liegt das? »Ich glaube, es gibt keine einheitliche Bewegung«, meint Kulmbach. DerNoie sieht auch die Strukturen in der Stadt als einen Faktor: »Leipzig ist einfach nicht so der Standort für Hip-Hop. In Städten wie Berlin oder Köln gibt es eine ganz andere Infrastruktur in Sachen Vertrieb, Labels und Veranstaltungen.« Die drei wundert das, denn die Nachfrage nach Hip-Hop sei hoch in Leipzig. »Aber es gibt einfach keinen Ort, den man direkt mit Hip-Hop assoziiert«, meint Dr. Dorax.

 

7030 Records

Damit Hip-Hop in Leipzig besser repräsentiert ist, haben die beiden Rapper MCE und Timsline 2018 das Hip-Hop-Label 7030 Records gegründet. Die beiden Rapper sind fest in Connewitz verwurzelt, »7030« ist eine Anspielung auf die alte DDR-Postleitzahl des Leipziger Südens. MCE trägt auch Maske, aber aus einem anderen Grund: Er fürchtet Übergriffe aus der rechtsextremen Szene, da er sich mit sehr deutlichen Worten gegen Nazis positioniert. Ihr Label haben die beiden Musiker vor allem deshalb gegründet, weil sie eine entsprechende Infrastruktur für Hip-Hop bisher vermisst haben. »Frankfurt ist zum Beispiel zahlenmäßig nicht größer als Leipzig, aber die haben unfassbar viele Labels, Plattenfirmen, Presswerke und auch Hip-Hop-Journalist:innen«, sagt MCE. Sein Label-Partner stimmt ihm zu: »Vergleichbare Strukturen fehlen in Leipzig, aber wir versuchen das zu ändern.« Neben dem Vertrieb von Platten und Merch bucht und organisiert das Label Veranstaltungen in Leipzig und darüber hinaus. Mehrere andere Personen arbeiten zusammen mit den zwei Rappern hinter den Kulissen.

MCE und Timsline sind sich einig, dass sich in der Leipziger Hip-Hop-Szene gerade eine Menge bewegt. »Bisher hatte man das Gefühl, dass es bei vielen Leuten wenig den Drang gab, über den Szene-Tellerrand hinauszukommen. Das ändert sich gerade stark«, erzählt MCE. »Dadurch, dass Leipzig wächst, ist das bundesweite Interesse gestiegen. Es gibt aber auch mehr Leute, die über die Stadtgrenze hinaus bekannt werden wollen – und damit auch Erfolg haben.« Als Beispiel nennt MCE den Rapper HeXer, mittlerweile beim Label Arjuna unter Vertrag, deren Eigentümer sich im Dunstkreis von Kool Savas bewegen. Aber auch in anderen Stadtvierteln würden interessante neue Rapper auf den Plan treten, wie etwa Shabo209 aus Grünau.

 

Flausen und MC Dauerwelle

Newcomer sind auch die beiden Rapperinnen Flausen und MC Dauerwelle. Die beiden haben 2019 angefangen, eigene Songs zu schreiben. Nach einigen Auftritten in Leipzig und Halle arbeiten Flausen und MC Dauerwelle gerade an mehreren Projekten. Flausen wird dieses Jahr eine Solo-EP veröffentlichen, die »Wörter zum Takt« heißen soll. Zusätzlich ist eine EP zusammen geplant. Federführend bei der Produktion ist auch hier wieder Kulmbach, der seine Beats zu beiden Projekten beisteuert. Kennengelernt haben die beiden Rapperinnen Kulmbach über DenNoien: »Nach einem Konzert von DemNoien habe ich ihn angequatscht, ob er jemanden kennt, der Beats hat. Und dann hat er mir direkt Kulmbach empfohlen«, erinnert sich Flausen. »Durch Kulmbach hat sich alles viel mehr zusammengefügt«, erzählt Flausen. »Davor hatten wir bloß lose Texte, durch ihn sind daraus dann echte Songs geworden.«

In einer männerdominierten Szene finden es die beiden hilfreich, zusammen aufzutreten und sich gegenseitig bei Unsicherheit zu unterstützen. »Es tut uns gut, zusammen auf der Bühne zu stehen«, meint Flausen. Und ihre Mitstreiterin ergänzt: »Wir werden vielleicht eher zu Veranstaltungen wie dem feministischen Kampftag in Halle eingeladen. Aber wir stehen ja auch hinter diesen Inhalten und wollen sie nach außen tragen.« Obwohl sie relativ neu in der Szene sind, haben sich nach jedem Auftritt neue Möglichkeiten für Konzerte ergeben, berichten die Rapperinnen.

Mit den Labels »Female Rap« oder »Female MCs« können die beiden wenig anfangen. »Der Begriff ‚Female Rap‘ wirkt so, als gäbes es ein Genre, in das alle weiblichen Personen reinpassen«, so Flausen. »Dabei machen wir ja auch komplett verschiedene Mucke.« Den Musikerinnen ist aufgefallen, dass sich der Hip-Hop in Leipzig aktuell massiv verändert.  »Gerade machen sich auch Leute aus der Queer- und LGBTQBIA+-Szene breit und zeigen sich. Das finde ich richtig gut, das hat lange gefehlt«, erzählt MC Dauerwelle. Als Beispiele nennt sie die beiden Flintas Revulva und Plaeikke. Beide Flintas sind seit mehreren Jahren aktiv und haben bereits mehrere EPs und Alben veröffentlicht.

 

Alles nur eine Frage der Zeit

Leipzig boomt wie keine andere deutsche Großstadt und das macht sich auch im hiesigen Hip-Hop bemerkbar. Die Stadt besitzt schon heute eine so große Anzahl an Rapperinnen, dass es schwerfällt, den Überblick zu behalten. Auch wenn die Künstlerinnen heute noch über die ganze Stadt verstreut sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich professionelle Strukturen etablieren. Dem gebürtigen Leipziger Morlockk Dilemma ist es Anfang der 2000er Jahre bereits gelungen, als Rapper deutschlandweit Erfolg zu haben. Er bleibt sicher nicht der Einzige, dem der Sprung über den »Szene-Tellerrand« gelingt.

Einen Überblick über alle Protagonistinnen der Reportage gibt es in der Bildergalerie:

 

Titelfoto: Timsline (links) und MCE (rechts) bei einem Konzert von 7030 Records. Copyright 7030 Records.


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1 Kommentar(e)

Anton Goldpuder 05.05.2022 | um 21:42 Uhr

Interessanter Einblick in die Szene!