Montagnachmittag erreicht die „Tandemgruppe 3“ der überregional organisierten Mut-Tour Leipzig für einen kurzen Zwischenstopp: Die sechs Teilnehmenden wollen auch hier ein Zeichen für mehr Offenheit im Umgang mit Depression setzen und luden zum Gespräch ein.
Drei Tandemfahrräder parken vor der Terrasse des Vereinshauses von Durchblick e.V. in der Mainzer Straße, unübersehbar geschmückt mit Bannern, auf denen „Mut-Tour“ und „Für mehr Mut und Wissen im Umgang mit dem Thema Depression“ steht. Im angrenzenden Garten der psychologischen Beratungs- und Aktionsstätte laden Tische mit Kaffee und Kuchen zum Verweilen ein. Nicht nur Mitarbeitende von Durchblick e. V., sondern auch Mitglieder des Netzwerks für Sehbeeinträchtigte und blinde Personen „Zwinkerndes Auge“ sind gekommen, um die Tandem-Fahrenden zu begrüßen und sich auszutauschen.
Das Thema Depression steht hier zwar offiziell im Mittelpunkt, aber wer deshalb nur bedrückte oder lethargische Menschen erwartet hat, liegt grundsätzlich falsch. Im Gegenteil: Bei der Mut-Tour müssen die Fahrenden alles selbst organisieren und dabei auch mal die gewohnte Komfort-Zone verlassen: „Wir sind komplett autark unterwegs“, erzählt Franziska Radczun, die als Tourleitung mit dabei ist. „Und auch wenn es hier um das Thema Depression geht, fahren wir mit viel Leichtigkeit herum. Es ist nicht jeder Tag grau und wir haben hier auch jede Menge Spaß“.
Mit dem dazu passenden Motto „Macht Spaß! Macht Sinn! Macht Mit!“ touren verschiedene Tandem-Teams bereits seit dem 18. Juni mit insgesamt 260 Teilnehmenden durch Deutschland. Jede und Jeder kann sich der Tour anschließen, allerdings muss man vorher an einem Aktionswochenende teilgenommen haben. Die Tour hilft Betroffenen, aktiv zu werden und gibt ihnen die Möglichkeit, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. So geht es auch Gerd Krämer, der schon mehrmals als Mitfahrer dabei war und persönlich viel daraus zieht: „Es ist ein achtsamer Umgang mit sich und seiner Umgebung“, erzählt er. Für den 66-jährigen sei es vor allem wichtig, selbst zu der Krankheit stehen zu können. Außerdem wünscht er sich, dass sich mehr Leute für das Thema psychische Erkrankungen öffnen.
Auch wenn in den letzten Jahren immer mehr Menschen öffentlich über ihre Depression sprechen und die Berichterstattung darüber zugenommen hat, fällt es vielen Betroffenen noch schwer, zu der Krankheit zu stehen. Grund dafür sind die mit Depressionen verknüpften Stigmata in unserer Gesellschaft: „Der kann nichts, der muss sich zusammenreißen, der ist nicht belastbar“, zählt Krämer einige Beispiele auf. Solche Stigmatisierungen können langfristig zu einem negativeren Selbstbild und sozialem Rückzug führen und Betroffene somit daran hindern, sich Hilfe zu suchen, wie verschiedene Studien zeigen.
Depression sichtbarer zu machen und negative Vorurteile abzubauen, ist neben der Selbsthilfe das Hauptanliegen der Mut-Tour. Für jeden Zwischenstopp gibt es, wie heute in Leipzig, Gesprächsrunden, denen sich alle anschließen können. Für Franziska Radczun, Gerd Krämer und die vier anderen Tandem-Fahrerinnen geht es am Montagabend noch weiter Richtung Markleeberg, wo sie ihre Zelte aufschlagen werden.
> Eine Übersicht der Stopps und mehr Infos zu dem Projekt gibt es hier.
Foto: Mut-Tour.