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Kultur

Sommer auf dem Dach

Die Kinostarts der Woche

  Sommer auf dem Dach | Die Kinostarts der Woche

Die Cinémathèque muss in diesem Sommer ihr Areal im lauschigen Freisitz des Conne Island räumen, denn der wird frisch gemacht für die nächste Halftime. Deshalb zieht das »2cl Sommerkino« auf das Dach der Moritzbastei und schrumpft zum »1cl Sommerkino« – aber der gewohnt exzellenten Filmauswahl tut das keinen Abbruch. So wird das Programm am Donnerstag stilecht eröffnet mit Charlie Chaplins »Der große Diktator«, es gibt die Highlights des letztjährigen Dok Leipzig noch einmal zu bewundern, sowie ausgewählte Publikumslieblinge der letzten Monate.

»1cl Sommerkino auf der Moritzbastei«: 14. Juli - 14. August, Website

Film der Woche: Die Pandemie hat auch im Film ihre Spuren hinterlassen. Dabei ist der Versuch einer filmischen Auseinandersetzung mit dem Tod, der Einsamkeit oder auch der Absurdität der Situation, die uns alle über zwei Jahre beschäftigt hat, derzeit noch unbeholfen. Sie hat aber auch die Drehbedingungen maßgeblich beeinflusst und manch ein Regisseur machte aus der Not eine Tugend. Bei der Berlinale waren das gleich zwei Filme im Hauptprogramm: Das spannende Gangsterkammerspiel »The Outfit« (s. kreuzer 05/22) und »Meine Stunden mit Leo«. Ein Hotelzimmer, zwei Personen – mehr braucht die Komödie nicht, um auf Touren zu kommen. Also, abgesehen von einem pointierten Drehbuch aus der Feder von Stand-up Comedian Katy Brand und zwei furchtlosen Darstellern: Der wundervollen Emma Thompson und dem Newcomer Daryl McCormack (»Peaky Blinders«). Nancy Stokes und Leo Grande begegnen sich in dem Hotelzimmer. Schnell wird klar, dass Nancy ihn herbestellt hat und »Leo Grande«, nun ja, ein Künstlername ist. Für die ältere Lehrerin ist es das erste Mal, dass sie einen Callboy gebucht hat und sie fühlt sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Leo ist Profi und weiß, welche Knöpfe er drücken muss, damit sich Nancy entspannt. Doch der ist mehr nach Reden zumute und so entspinnt sich eine witzige, ehrliche und höchst charmante Auseinandersetzung über Liebe und körperliche Bedürfnisse, bei der vor allem die zweifache Oscarpreisträgerin Emma Thompson Spiel- und Risikofreude beweist.

»Meine Stunden mit Leo«: ab 14.7., Cineplex, Passage-Kinos, Regina-Palast

Im Jahr 2054 sind Flora und Fauna quasi ausgestorben, Menschen haben einen Chip im Brustbein und den Glauben an Bilder längst verloren. Ben lebt mit seiner Freundin Cherry und seinem Freund Fini in einer Dreiecksbeziehung inmitten dieser Dystopie. In einem Antiquariat findet er das Foto einer Giraffe und das Weltbild der Freunde kippt. Kann das echt sein? Die drei Antihelden entdecken auf einem Roadtrip, was die Menschheit an Artenvielfalt und Biodiversität verloren hat. Bisher haben sie nichts vermisst, was sie nicht kannten, doch das ändert sich nun. Sie unternehmen eine Zeitreise ins Jahr 2020, um die Menschen (vor den Bildschirmen) zu warnen. Marten Persiel hat mit »Everything will change« ein Science-Fiktion-Drama mit Doku-Elementen gedreht. Leider ist das gewagte Konzept nicht stimmig. Im Doku-Teil lässt Persiel zwölf Expertinnen und Experten zu Wort kommen, von denen man erst im Abspann erfährt, wer sie sind. Der immensen Fülle ihrer Botschaften fehlt ein roter Faden, sie bleibt Nebenprodukt der eigentlichen Storyline trotz hochinteressanter Fakten. Neben der ohnehin komplizierten filmischen Struktur überlädt das den Film. Aber es gehört Mut dazu, so radikal mit filmischen Konventionen zu brechen. Die Idee, statt einer düsteren Prognose eine Zeitreise in den natürlichen Reichtum zu unternehmen, ist erfrischend. Eine Erinnerung an unsere Verantwortung für die Welt von Morgen. SARAH NÄGELE

»Everything will change«: ab 14. Juli, Passage-Kinos

China inmitten der Kulturrevolution: Ein abgekämpfter Mann durchquert die Wüste. Sein Ziel: Das Kino eines kleinen entlegenen Dorfes. Die Menschen strömen aus dem Theater. Die Vorstellung ist vorbei. Draußen steht schon das Motorrad bereit, beladen mit den Filmrollen. Der Mann, Zhang Jiusheng, beobachtet, wie eine Vagabundin, das Waisenmädchen Liu, eine der Rollen stiehlt. Er nimmt die Verfolgung auf, durch die Wüste bis in den nächsten Ort, um dem Vorführer, »Mr. Movie« Fan Dianying, die fehlende Rolle auszuhändigen. Zhang Jiusheng ist allerdings nur hierher gekommen, um den Vorfilm zu sehen, eine Nachrichtenrolle, in der seine Tochter als strebsame Arbeiterin zu sehen ist. Es ist die einzige Chance, ihr für eine Sekunde nahe zu sein. Doch Liu hat ihre ganz eigenen Gründe, an das wertvolle Zelluloid zu kommen. Sind die Ziele der Allgemeinheit wirklich wichtiger als das Leid der Armen? Diese Frage stellt sich der Protagonist von Zhang Yimous (»Hero«) neuem Werk im Laufe der Handlung. Dass der Zuschauer sich eine eigene Antwort bilden kann, ist bemerkenswert, für einen Film, der die chinesischen Zensurbehörden passierte. Bei der Berlinale 2019 war die Uraufführung noch kurzfristig abgesagt worden. »Technische Probleme« war der fadenscheinige Grund. Nun ist der Film auf der Streaming-Plattform MUBI zu sehen und kommt vorher in unsere Kinos. Ein Glück, denn auf der Leinwand entfalten sich die großen Landschaftsporträts am besten. Raum für eine eigene Interpretation der Geschichte bleibt auch in der nun vorliegenden Fassung.

»Eine Sekunde«: ab 14. Juli, Luru-Kino in der Spinnerei, Regina-Palast

Weitere Filmtermine der Woche

8. Kurzfilmwanderung Leipzig
Zum achten Mal zieht die Kurzfilmwanderung durch den Stadtteil Grünau und wirft kurze Filme zum Thema »Alltage« an Häuserwände.
Schönauer Stelen, 15. und 16. Juli, 21 Uhr

Alles in bester Ordnung
D 2022, R: Natja Brunckhorst, D: Corinna Harfouch, Daniel Sträßer, Joachim Król, 100 min
Regisseurin Natja Brunckhorst wirft einen warmherzigen Blick auf die Phänomene der modernen Konsumgesellschaft. Eine feinsinnige Komödie über das Zuviel und das Zuwenig.
Regina-Palast, 17. Juli, 17 Uhr (Der Sonntagsfilm um 5)

Dschungelzeit
DDR/VIE 1988, Dok, R: Jörg Foth, Tran Vu, 95 min
Der Einsatz deutscher Fremdenlegionäre im Indochinakrieg und die Desertion und Rückkehr eines Legionärs nach Deutschland mit Hilfe der SED in die soeben gegründete DDR. Mit Kurzfilm »Red Aninsri; Or, Tiptoeing on the Still Trembling Berlin Wall« (THAI 2020) – Rahmenprogramm zur Ausstellung »Where is my karaoke? Still we sing« im D21 Kunstraum.
Luru-Kino in der Spinnerei, 17.7., 20 Uhr

Kälber mit zwei Köpfen
D 2022, R: Benjamin Kramme, D: Andreas Hammer, Jennifer Sabel, Dominique Horwitz
Bitterböse Komödie über die absurde Grausamkeit von »Konversionstherapien« und ein Statement gegen die Diskriminierung von queeren Menschen.
Kinobar Prager Frühling, 15.7., 20 Uhr (im Rahmen des CSD), 17.7., 17:30 Uhr (im Rahmen des CSD)

Léon – Der Profi
F 1994, R: Luc Besson, D: Jean Reno, Gary Oldman, Natalie Portman, 103 min
Luc Bessons Kultfilm mit Jean Reno als schweigsamer Killer und Natalie Portman in ihrem ersten Leinwandauftritt – neu geschnitten und digital restauriert.
Kinobar Prager Frühling, 17.7., 19 Uhr (Best of Cinema, Director's Cut, OmU)

Mein fremdes Land
D 2021, Dok, R: Marius Brüning, 94 min
Ein von deutschen Adoptiveltern aufgewachsener Bolivianer sucht in dieser Dokumentation nach seinen Wurzeln.
Passage-Kinos, 17.7., 13 Uhr (EinBLICK)

Men
GB 2022, R: Alex Garland, D: Jessie Buckley, Rory Kinnear, Paapa Essiedu, 100 min
Der britische SciFi-Autorenfilmer Alex Garland (»Ex Machina«) bewegt sich mit seinem neuen Film auf feministischen Horrorpfaden.
Cineplex, 16.7., 22:30 Uhr (Preview)
Passage-Kinos, 18.7., 21 Uhr (Freaky Monday, OmU)

Niemand ist bei den Kälbern
D 2021, R: Sabrina Sarabi, D: Saskia Rosendahl, Rick Okon, Godehard Giese, 116 min
Sprödes Drama über eine vom Mecklenburg-Vorpommerner Landleben gefrustete Mittzwanzigerin.
Ost-Passage-Theater, 20.7., 20 Uhr

Warum Frauen Berge besteigen sollten
Dok, R: Renata Keller
Dokumentation über die Historikerin Dr. Gerda Lerner, die als Erste über ein frauengeschichtliches Thema promovierte und Frauengeschichte auf die Stundenpläne vieler Universitäten brachte. Im Rahmen von »Die vergessene Hälfte« mit Einführung durch Nane Pleger.
Stadtbibliothek, 14.7., 17 Uhr (mit Einführung)

Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt
D 2017, Dok, R: Patrick Allgaier, Gwendolin Weisser, 130 min
Über 300.000 Zuschauer reisten bereits mit Patrick Allgaier und Gwendolin Weisser um die Welt. Dafür gab es den Preis der Deutschen Kinogilde bei der Filmkunstmesse.
Pauluskirche Grünau, 22.7., 21 Uhr (im Garten, im Rahmen des Grünauer Kultursommers)

Titelbild: Filmstill aus »Meine Stunden mit Leo«, Copyright Wildbunch Germany


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