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Editorial

Editorial 8/22

Das neue Heft ist da!

  Editorial 8/22 | Das neue Heft ist da!

In unserer August-Ausgabe schauen wir, wo sich Menschen in Sachsen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie einsetzen. Warum das wichtig ist, schreibt Chefredakteur Benjamin Heine, der selbst aus der sächsischen Provinz kommt, im Editorial und verrät, was das Heft sonst noch bereithält.

»Hallo, mein Name ist Benjamin –«

[Die ganze Gruppe murmelt] »Hal-lo-Ben-ja-min.«

»– und ich … ich …« [Schlucken] »Ich komme aus der sächsischen Provinz.«

[Sachter, aufmunternder Applaus, mitfühlendes und zustimmendes Kopfnicken]

»Und das ist nicht alles. Der Wiege Sachsens entstieg ich dereinst und … und« [Schluchzen] –

[Verständnisvolle Blicke, aufmunternde Gesten]

»Du musst hier heute noch nicht mehr ­sagen, Benjamin. Du legst dein Tempo selbst fest.«

»Nein, nein, ich bin so weit, ich möchte darüber sprechen, ich kann darüber sprechen.« [Einatmen. Ausatmen. Tiefes Einatmen.] »Mein Name ist Benjamin und ich komme aus der sächsischen Provinz. Der Wiege Sachsens entstieg ich dereinst, wuchs im Neubaugebiet auf und ich … ich habe mehrere Jahre meiner Jugend … mehrere Jahre meiner Jugend auf Dorffußballplätzen und im Dresdner Rudolf-­Harbig-Stadion verbracht. Im K-Block.« [Erleichterung, suchende Blicke in die Runde] »So, jetzt ist es raus.«

»NAAEEIIIINNNN!!!!«

»Das gibt’s doch nicht!!!«

»Das kann er doch nicht … das darf doch nicht –« [Tumultartige Szenen in der Gruppe, angewiderte Blicke, aber auch hilflose Blicke zur Gruppenleiterin, Schnapp­atmung an allen Ecken und Enden, einer rutscht vom Stuhl, ihm ist schwarz geworden vor Augen] …

Mit anderen Worten: Wir kennen sie, die Blicke aus den großen Städten hinab in die Provinz, die ostdeutsche, die sächsische. Das fassungslose Kopfschütteln und rat­lose Schulterzucken über all die Leute, die immer und immer wieder diese dummdreiste Partei ankreuzen, die nun wirklich keine Alternativen bietet. Über all die Leute, die sich von denen nicht distanzieren. Über all die Leute, die einfach ihre Ruhe haben wollen, und die, die in Ruhe gelassen werden wollen. Und ja, das ist nicht dasselbe. Die Frage ist aber immer: Was würde ich tun? Wie würde ich mich verhalten, wenn ich in der Kleinstadt wohnte und bei jedem Gang zum Bäcker oder Baumarkt oder sonst wohin wüsste: Jeder Dritte wählt hier eine rechtsextreme Partei? Tür auf, »Guten Tag« und dann immer schön: Der nicht, die nicht, der ja. Der nicht, der nicht, die ja. Und irgendwann merkst du: Halt mal, »der nicht« bin ja schon ich selbst! Also nur noch: die nicht, der ja. Die nicht, der ja. Und »die nicht« wählt CDU.

Es gibt Leute, die das ausblenden können, und es gibt Leute, die das nicht ausblenden können – und trotzdem nicht schreiend wegrennen. Die bleiben und etwas tun. Gegen Rechtsextremismus, vor allem aber für ein demokratisches Miteinander. Um diese Leute geht es in unserer aktuellen Titelgeschichte, für die die Kommunalwahlen im Juni und Juli Ausgangspunkt waren – die glimpflich ausgegangen sind, wie allenthalben zu vernehmen ist. Was die Ergebnisse und die Wahlbeteiligung über den Zustand der Demokratie in Sachsen sagen und welche Initiativen daran etwas verbessern wollen, erfahren Sie auf S. 20ff.

Der Rest des Heftes ist aber auch ziemlich gut – glauben Sie mir, ich hab schon alles gelesen! Mal so als Beispiel: Unsere Redakteurin Franziska Reif schrieb mir kurz nach ihrem Interview mit ­Reise­leiter Harald Seyfahrth (S. 30ff.) einen ersten Eindruck vom Gespräch: »Es ist möglich, binnen Sekunden vom Klubhaus in Linde­nau 1978 über Abfindungen für den Rat des Bezirkes nach der Wende und das Rotlichtmilieu in den Neunzigern zur Feuerzangenbowle (dem Film) und Andreas ­Reimann zu kommen, ohne dass man hinterher sagen könnte, wie das alles miteinander zusammenhängt.«

Portätzeichnung von Benjamin Heine
Chefredakteur Benjamin Heine

Und, was soll ich sagen – auch dafür gilt das grebesche Wort: »Das ist Sachsen, das ist Sachsen, sonniges, sonniges Sachsen!«

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen schöne Ferien und egal, wo Sie sind: Marokko-Gefühle! Marokko-Gefühle!

Benjamin Heine

chefredaktion@kreuzer-leipzig.de


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