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Kultur

Wo der Teufel mit dem Biber wettet

In Bad Düben wird neues Theater erprobt, das große Fragen stellt

  Wo der Teufel mit dem Biber wettet | In Bad Düben wird neues Theater erprobt, das große Fragen stellt

Bad Düben spielt seit zehn Jahren Theater. Das erste Stück hieß »Die große Suche«, dann »Die große Dürre« und »Die große Reise«. Jetzt: »Die große Wette«. Immer sind es große Fragen, die hier verhandelt werden und über das traditionelle Stadttheater hinausgehen: Was spielen wir? Warum und für wen spielen wir? Wo fängt eine Inszenierung an, wo hört sie auf? Was bedeutet der Stoff, aus dem die Träume sind?

»Die große Wette« spielt an sechs Orten, beginnt und endet auf einem ehemaligen NVA-Kasernengelände, wo Leander Haußmann einst die Filmkomödie »NVA« gedreht hat. Es ist ein Parcours der unterschiedlichen Perspektiven: von lost Place bis Auenlandschaft. Einmal geht der Weg durch den Kasernenkeller. Eine Art Geisterbahn. Gebaute Albträume in Johannas Kopf, die hier die Hauptrolle spielt (Jojo Walzebuck) und als Figur Schillers »Jungfrau von Orleans« zum Vorbild hat. Um sie wetten Biber und Teufel wie in Goethes »Faust«. Das Wappentier der Muldestadt steht für Natur und Demut, der Teufel für Ausbeutung, Egoismus, Krieg. Er wettet, dass er Johanna vom rechten Weg abbringen kann. Was in den sechs Stationen dann die Handlung bestimmt. (Autorin: Henriette Lippold). Die sehenswerten Kostüme (Helene Werner) zeigen Mittelalter, durchwirkt mit heutigen Accessoires. Mittelalter passt gut, denn es war eine Zeitenwende, in der sich Wissen gegen Glauben durchsetzen konnte. Mit dem Krieg in der Ukraine, Fake-News und digitalen Blasen wagen wir die Rolle rückwärts. Zu Schiller und Goethe kommt Brechts »Galileo« hinzu.

Das Publikum besteht vor allem aus Bürgern der Stadt, die gut gelaunt und stolz auf das sind, was Freunde und Nachbarn hier leisten. Alle engagieren sich für eine gemeinsame Sache. Beleben den vielzitierten ländlichen Raum, der an Überalterung und Abwanderung leidet und kaum noch öffentliche Orte kennt. Einzelhändler haben aufgegeben, das Kino ist zu, Gaststätten sowieso. Land-schafft-Theater, so der vielsagende Theatername, bedeutet neues Miteinander, Begegnung, Zukunft. Jung und Alt agieren zusammen, ein paar Profis mit vielen Laien, Vereinen, Chören, Musikern. Bemerkenswert, welche Energie entsteht, wenn sich insgesamt 160 Mitspieler in ihre Rollen werfen. Kabinettstückchen inklusive. Der Henker, der aus seiner schwarzen Kutte aussteigt, und darunter ein nachtblaues Ballkleid mit Federboa trägt, will »Henkerin« sein und stellt die patriarchale Ordnung der Dinge in Frage.

Vorhang auf, Vorhang zu – dazwischen ist Theater. Das gilt hier nicht. Theater ist Ausprobier- und Kommunikationsraum. Kein Musentempel mit ebensolchem Portal fürs Publikum, während diejenigen, die hier arbeiten, durch den Bühneneingang auf der Rückseite müssen. Der rote Teppich ist matschiger Waldboden. Schauspieler treten nicht in die Kulissen ab, sondern laufen mit ihren Requisiten vorneweg zum nächsten Spielort. Hinterher gibt’s Bier und Bratwurst. Abenteuer. Volksfest.

Erinnerung, Verklärung, gehören hinterher auch dazu. Proben vorher auch. Theater ist Prozess und kein Ergebnis, das üblicherweise auch im Zentrum der Kritik steht. Diese Maßstäbe greifen hier nicht. Land-schafft-Theater ist ein paar Monate lang wie Karneval, eine fünfte Jahreszeit. Regisseur Stefan Kaminsky nennt sie: »Wir!«

Was ist der Stoff, aus dem die Träume sind? Der große Satz von Shakespeare. Hier als Frage. Gerade nach Corona. Aus welchem Stoff muss ein Theater in Zukunft sein, damit es die Leute sehen wollen und es als Raum für das »Wir!« funktioniert? Taugt das Stadttheater noch? Das Zombietheater, das es manchmal nur noch ist? In Bad Düben ist zu sehen, wie es gehen kann. Das Land-schafft-Theater zeigt es mit diesem Stück und eindrücklich in der Figur eines Ritters, den Pierre Pokrant spielt. Er tritt auf und sitzt auf seinem Pferd, das ein Spezialrollstuhl ist, den Pokrant mit den Augen steuert. Er hat Muskeldystrophie. Vor vier Jahren hat Pokrant bereits mitgespielt und ein Lied gesungen: »Time, what about Time« – wieviel Zeit bleibt mir noch? Er zeigt uns den Ernst seiner Lage. Diese Offenheit ist mutig, weil sie uns mit seiner und unserer Endlichkeit konfrontiert. Wir spüren, was ein Verlust dieses »Wir!« bedeutet.

 

26. und 28.August, sowie 2. und 3. September, 17.30 Uhr, Alte Heidekaserne, Bad Düben. Weitere Infos gibt es hier.


Foto: Stefan Petraschewsky. 


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