Neun Jahre liegt der letzte Film von Wong Kar-Wai (»The Grandmaster«) zurück. Damit das Warten auf ein neues Werk des Großmeisters nicht zu lange wird, veröffentlicht Plaion Film (ehemals Koch Media) seine Werke als aufwändig gestaltete Box-Sets und auch auf der großen Leinwand gibt es ein Wiedersehen: Die Kinobar zeigt im September seine vier wichtigsten Werke, die von 1994 bis 2000 mit dem Kameramagier Christopher Doyle entstanden.
»Verneigung vor Wong Kar-Wai«, ab 29.9., Kinobar Prager Frühling
Film der Woche: Deutschland – Wirtschaftswunderland. Lange Zeit wurde der Aufschwung nach dem Krieg als Lohn harter Arbeit deutscher Familienunternehmen dargestellt. Dabei waren es vor allem billige Lohnarbeiter aus dem Ausland, die arbeiteten, während Konzernbosse den Lohn einstrichen. Ende der Fünfziger kamen sie zu Tausenden in die BRD. Griechen, Italiener und vor allem Türken folgten dem Ruf nach einem sicheren Einkommen, um die Familien in der Heimat zu unterstützen und baldmöglichst nachzuholen. Heute lebt die dritte und vierte Generation der Migranten in Deutschland. Wie ihre Eltern und Großeltern damals alles hinter sich ließen, um im Westen einen Neuanfang zu wagen, welche Hürden sie überwinden mussten, den harten, entbehrungsreichen Kampf um Achtung und Arbeiterrechte – all das ist vielfach in Vergessenheit geraten, weil es in der Geschichtsschreibung des Landes schlicht nicht vorkommt und man die Gastarbeiter ohnehin lieber mit einem Rückflugticket in die Heimat versorgt hat, als sie nicht mehr gebraucht wurden. Aber viele waren längst hier heimisch geworden und hatten ihre ganz eigene Kultur erschaffen, Deutsch-Türkische Popstars, die Berge von Kassetten umsetzten. Cem Kaya (»Remake, Remix, Rip-Off«) zeigt die Musikkultur und ihre Stars und wie sie bis in die Gegenwart wirkt. Eine faszinierende Zeitreise durch ein unentdecktes Kapitel deutscher Geschichte – bunt, laut und grundsympathisch.
»Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod«: ab 19.9. in der Schaubühne Lindenfels, ab 13.10. im Cineding
Für eine dystopische Welt braucht es manchmal nicht viel. Es genügen einige Bilder, wie in der Eröffnungsszene von »Wir könnten genauso gut tot sein«, dem Langfilmdebüt und Berlinale-Teilnehmer von Regisseurin Natalia Sinelnikova.
Ein Paar in Anzug und Bluse rennt, zwischen sich ihr Kind, durch einen Wald. Beide Erwachsene tragen schwere Äxte in ihren Händen, die im scharfen Kontrast zu ihrer feinen Abendgarderobe stehen. Schnell vermittelt sich das Gefühl einer feindlichen Umgebung, einer Welt am Rande des Abgrunds. Vor der hat sich eine Gruppe Menschen in ein Hochhaus geflüchtet. Sie sind die wenigen Glücklichen, ausgewählt von einem Komitee, dessen Zusammensetzung lange unklar bleibt.
Anna ist Sicherheitsfrau in diesem Hochhaus, eine von allen geschätzte Frau, bis eines Tages ein Hund verschwindet und unter den Hausbewohnern Angst und Paranoia um sich greifen. Was folgt, erinnert an Filme mit ähnlichen Versuchsanordnungen wie die J.G.-Ballard Verfilmung »High Rise«. Im Angesicht der äußeren Bedrohung bröckelt die Fassade der schönen neuen Welt. Plötzlich sieht sich Anna mit einem wütenden, golfschlägerschwingenden Mob konfrontiert.
Überzeugend beschwört Sinelnikova das dystopische Moment. Doch die Dialoge wirken häufig wie aus dem Theater und auch der Handlung fehlt es an Schwung. So bleibt am Ende der Eindruck, dass man das alles schon mal überzeugender gesehen hat.
JOSEF BRAUN
»Wir könnten genauso gut tot sein«: ab 29.9., Cinémathèque in der Nato
Universitätsprofessor Ingwer Feddersen hat sich ein Sabbatjahr genommen, um sich um seine Eltern zu kümmern, die noch immer im friesischen Brinkebüll wohnen. Mutter Ella ist aber mittlerweile dement und Vater Sönke zunehmend körperlich beeinträchtigt. Während Ingwer an die Orte seiner Kindheit zurückkehrt, werden Erinnerungen wach an Tage im Schankraum des Wirtshauses der Eltern, an Spielen in den Feldern oder das Geschwätz der Leute, die sich über die seltsamen Familienverhältnisse der Feddersens den Mund zerrissen hatten. Lars Jessen hat in seinen bisherigen Filmen »Am Tag als Bobby Ewing starb« oder »Dorfpunks« bereits bewiesen, dass er ein überzeugendes Bild von Land und Leuten im hohen Norden zeichnen kann. Hier hat er sich nun eines Romans von Dörte Hansen (»Altes Land«) angenommen, die oftmals von Auslassungen und viel Interpretationsspielraum geprägt sind. Jessen hat die Ereignisse aus den 1970/80er Jahren und des Jahres 2020 virtuos ineinander verschachtelt und lässt sein Publikum erst nach und nach in die komplexe Familienstruktur der Feddersens eintauchen. Die Atmosphäre, die er dabei in »Mittagsstunde« geschaffen hat, ist der aus der Romanvorlage dabei sehr ähnlich. Mit Hilfe von famosen Darstellerleistungen zieht er den Zuschauer in ein niveauvolles Charakterdrama hinein, das keiner vordergründigen Spannungsmomente bedarf, um fesselnd zu unterhalten.
FRANK BRENNER
»Mittagsstunde«: ab 23.9., Passage-Kinos
Weitere Filmtermine der Woche
13. Lateinamerikanische Tage
Die Ruhe und Weite des argentinischen Films, das pulsierende Kino Brasiliens, Charakterdramen aus Chile, brachialer Sozialrealismus aus Mexiko – Das Kino aus Lateinamerika unter einen Festivalhut zu bringen, ist ein wahres Kunststück. Trotzdem stellt sich der Verein Sudaca seit fast zwei Jahrzehnten dieser Herausforderung – zuerst mit Cinebrasil und den Argentinischen Filmtagen, im Oktober zum 13. Mal mit den Lateinamerikanischen Tagen. Eine Woche mit 20 Filmen, die es zeitnah auf kreuzer-leipzig.de zu entdecken gibt.
5.–15.10., Cineding, Schaubühne Lindenfels, Mühlstraße 14
Sudan: Frauen im Widerstand & Irans stille Revolution. Frauen kämpfen um ihre Freiheit
Zwei Dokumentarfilme aus Frankreich und Großbritannien.
Frauenkultur, 29.09. 19 Uhr (mit Einführung)
Kalle Kosmonaut
D 2022, Dok, R: Tine Kugler, Günther Kurth, 99 min
Die Allee der Kosmonauten führt nicht zu den Sternen. Wer hier im Nordosten Berlins in den Plattenbauten aufwächst, dessen Weg ist eher in andere Richtungen vorgezeichnet. So wie Kalle, den die Dokumentarfilmemacher Tine Kugler und Günther Kurth über ein Jahrzehnt begleitet haben.
Cineplex, 29.09. 20 Uhr (Globale)
Landraub – Die globale Jagd nach Ackerland
A 2015, Dok, R: Kurt Langbein, 95 min
Boden lässt sich nicht vermehren. Ackerland wird immer wertvoller und seltener. Jedes Jahr gehen etwa 12 Millionen Hektar Agrarfläche durch Versiegelung verloren, immer weniger Ackerfläche steht für die Ernährung jedes einzelnen Menschen zur Verfügung und mittlerweile haben insbesondere europäische Investmentfonds und Banken die Äcker der Welt als Geschäftsfeld entdeckt. »Landraub« porträtiert die Investoren und die Opfer dieser Entwicklung.
Cineplex, 05.10. 20 Uhr (OmU, Globale)
Schätze unter Verschluss – Das System Freeport
D 2021, Dok, R: Martin Gronemeyer, Michaela Kirst, 53 min
Immer mehr Kunstwerke, aber auch Werte wie Gold oder Oldtimer werden in zollfreien Hochsicherheitslagern aufbewahrt. Was steckt hinter solchen »Freeports«?
Passage-Kinos, 06.10. 20:30 Uhr (OmU, Globale)
Anders essen – Das Experiment
D 2019, Dok, R: Kurt Langbein, Andrea Ernst, 88 min
Kurt Langbein und Andrea Ernst haben einen Acker mit genau den Getreide- und Gemüsesorten, Früchten, Ölsaaten und Gräsern bepflanzen lassen, die für jede Person tagtäglich auf dem Teller landen. Ein Selbstversuch dreier Familien soll zeigen, ob sich unser Verhalten soweit ändern ließe, um dauerhaft auf unserem Planeten zu leben.
Kinobar Prager Frühling, 05.10., 18 Uhr (mit Urte Grauwinkel und anschl. Gespräch)
The End of Meat: Eine Welt ohne Fleisch
D 2017, Dok, R: Marc Pierschel, 94 min
Der unerkannte Einfluss des Fleischkonsums: Wie können wir uns bewusster ernähren, welche Rolle haben Tiere in einer zukünftigen Gesellschaft?
Kinobar Prager Frühling, 04.10., 16 Uhr (zum Welttierschutztag)
The North Drift
D 2022, Dok, R: Steffen Krones, 94 min
Eine deutsche Bierflasche, die auf einer unerreichbaren Insel der Lofoten angeschwemmt wird, regt die Neugier des Filmemachers Steffen Krones an. Wie weit reist Müll tatsächlich? Zusammen mit einem Team aus Wissenschaftlern entwickelt er eine GPS-Boje, die sie auf der Elbe aussetzen.
Passage-Kinos, 07.10. 20:00 (Weitblick – Die unbequeme Filmreihe, in Anwesenheit des Regisseurs)
The Body as Archive
D 2016, Dok, R: Michael Maurissens, 49 min
Der Körper des Tänzers als Archiv der Bewegung.
4fT-Studios, 01.10. 19:00 (4fT Tanzplattform Leipzig, vorab Festivaleröffnung im Hof)
Bis das Blut gefriert & Schloss des Schreckens
Zwei britische Horrorklassiker: »The Haunting« (1964) von Robert Wise und Jack Claytons »The Innocents« (1961).
Luru-Kino in der Spinnerei, 05.10. 20:00 (Horror-Doppel mit Donis)
Das Leben gehört uns
F 2011, R: Valérie Donzelli, D: Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm, César Desseix, 100 min
Ein junges Paar kämpft um das Leben seines Kindes. Starkes französisches Drama, das mit seiner emotionalen Aufrichtigkeit und künstlerischen Kraft direkt ins Herz trifft.
Passage-Kinos, 29.09. 18:00 (Filme vom Abschied)
In Liebe lassen
F/B 2021, R: Emmanuelle Bercot, D: Catherine Deneuve, Benoît Magimel, Gabriel Sara, 122 min
In diesem Sterbedrama mit Catherine Deneuve und Benoît Magimel begleitet eine Mutter ihren erwachsenen Sohn durch die letzten Monate seines tödlichen Krebsleidens.
Passage-Kinos, 06.10. 18:00 (Filme vom Abschied)
Dunia
EG 2005, R: Jocelyne Saab, D: Hanan Turk, Mohamed Mounir, Fathy Abdel Wahab:, 112 min
Durch den Bauchtanz entdeckt Dunia die Lust am eigenen Körper. Ein mutiges Drama, das in seinem Ursprungsland für politische Aufregung sorgte.
Passage-Kinos, 29.09. 20:00 (Interkulturelle Wochen, mit Einführung)
Europa Passage
D 2022, Dok, R: Andrei Schwartz, 94 min
Über einen Zeitraum von 5 Jahren hat Andrei Schwartz eine Gruppe von rumänischen Roma begleitet, die seit Jahren zwischen ihrer Heimat und Hamburg pendeln.
Passage-Kinos, 04.10. 18:30 (Premiere in Anwesenheit des Regisseurs)
(Flucht)perspektiven
D 2021
Zwei Kurzfilme über Syrien, den dortigen Konflikt und dessen Auswirkungen
Cinémathèque in der Nato, 29.09. 19:00 (Interkulturelle Wochen, mit Regiegespräch & Buchpräsentation)
Gens una sumus – Wir sind eines Geistes
Filmvorführung und Gespräche mit Zeitzeugen zur 14. Schacholympiade des Fide in Leipzig 1960. Anmeldung erwünscht.
Stadtgeschichtliches Museum/Neubau, 29.09. 18:00
Immer noch eine unbequeme Wahrheit
USA 2017, Dok, R: Bonni Cohen, Jon Shenk, 98 min
Der ehemalige US-Vizepräsident und Präsidentschaftskandidat Al Gore kämpft weiter gegen die Zerstörung unseres Planeten und warnt vor den drohenden Folgen der globalen Erwärmung.
Passage-Kinos, 29.09. 18:30 (anschl. Gesprächsrunde mit des Vereins Gemeinwohlökonomie)
In einem Land, das es nicht mehr gibt
D 2022, R: Aelrun Goette, D: Marlene Burow, Sabin Tambrea, David Schütter, 101 min
DDR, 1989: Eine junge Frau wird von einem Fotografen entdeckt und beginnt eine Modelkarriere bei der Modezeitschrift Sibylle. Recht klischeehaftes Drama nach wahren Begebenheiten.
Passage-Kinos, 07.10. 20:00 (in Anwesenheit des Filmteams)
Kurzfilme zum Welttag für menschenwürdige Arbeit
Acht Kurzfilme über Arbeit u. a. aus Ecuador, Spanien, Serbien und Deutschland.
Kinobar Prager Frühling, 07.10. 18:00
Mona Lisa And The Blood Moon
USA 2021, R: Ana Lily Amirpour, D: Jeon Jong-seo, Kate Hudson, Craig Robinson, 106 min
Das US-Debüt der iranischen Regisseurin Ana Lily Amirpour (»A Girl Walks Home Alone At Night«) ist ein von pulsierenden Techno-Beats und harten Heavy-Metal-Riffs beständig vorangetriebener Leinwandrausch.
Passage-Kinos, 03.10. 20:30 (Freaky Monday, OmU, Preview ab 6.10. im Kino)
Ponniyin Selvan: I
IND 2022, R: Mani Ratnam, D: Vikram, Jeyam Ravi, Kaarthi, Aishwarya Rai, 170 min
Actionreiche Verfilmung des Romans von Kalki Krishnamurthy.
Cineplex, 30.09. 19:00 (Indisches Kino im OmeU)02.10. 13:0003.10. 16:00 (Indisches Kino im OmeU)
Reservoir Dogs
USA 1992, R: Quentin Tarantino, D: Harvey Keitel, Tim Roth, Michael Madsen, 99 min
Quentin Tarantinos famoser Debütfilm frisch restauriert in 4k zurück auf der großen Leinwand.
Cinestar, 04.10. 19:30 (Best of Cinema)
Regina-Palast, 04.10. 20:00 (Best of Cinema)
Cineplex, 04.10. 20:00 (Best of Cinema)
Passage-Kinos, 06.10. 20:30 (Best of Cinema, OmU)
Foto: Filmstill aus »Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod«, Copyright Rapid Eye Movies