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Kultur

Trotz allem ein lebendiger Ort

Trauerbegleiterin Ursula Weißig bietet im Trauercafé am Südfriedhof Betroffenen Hilfe an

  Trotz allem ein lebendiger Ort | Trauerbegleiterin Ursula Weißig bietet im Trauercafé am Südfriedhof Betroffenen Hilfe an  Foto: Leon Joshua Dreischulte

So gut wie jeder Mensch muss sie im Laufe seines Lebens erfahren: Trauer. Vor allem der Verlust eines geliebten Menschen löst bei uns großen seelischen Schmerz aus und beeinflusst unsere Psyche zutiefst. Trauer kann Depressionen nach sich ziehen, weshalb eine sogenannte Trauerbewältigung eine wichtige Rolle dabei spielt, den belasteten Menschen dabei zu helfen, den Schmerz des Verlustes zu überwinden. Psychotherapie, Selbsthilfegruppen und sogar Hypnose werden verwendet, um Trauernde zu entlasten. Es gibt jedoch auch sogenannte Trauerbegleiter und -begleiterinnen, die sich in Einzelgesprächen mit den Menschen zusammensetzen und sich zum Ziel setzen, die Bürde des Trauerns abzumildern. Eine solche Trauerbegleiterin – die 77-jährige Leipzigerin Ursula Weißig – treffen wir zum Gespräch an einem sehr besonderen Ort: dem Trauercafé am Südfriedhof, das Weißig selbst mit in die Wege geleitet hat. 

»Nachdem ich ein Seminar in Berlin absolviert habe, als Trauerbegleiterin, so richtig mit einem Zertifikat, habe ich mir gedacht: Damit muss ich ja noch irgendetwas anfangen. Ich war damals 69 Jahre alt. Den Südfriedhof kannte ich seit meiner Kindheit, und dann bin ich auf Herrn Paul zugegangen, der der Vorsitzende ist in der Paul-Benndorf-Gesellschaft (2008 gegründeter Leipziger Verein, der die Erhaltung und Pflege historischer Friedhofsanlagen unterstützt und fördert, Anm. d. Red.), und habe ihn gefragt, ob er sich das vorstellen könnte, einen Friedhof mit einem Trauercafé. Und wir haben es dann im November 2014 eröffnet. Am Anfang waren wir vielleicht sechs Leute, mehr nicht. Und da hat auch jeder nur an einem Tag alleine hier Dienst gemacht, Kaffee gekocht und Kuchen mitgebracht und aufgeschnitten. Da waren auch noch nicht so viele Leute da. Das hat sich alles erst rumgesprochen.« 

Das Trauercafé besitzt einen kleinen Vorraum mit einem Tisch für zwei Personen, dahinter befindet sich ein größerer Raum, der ein bisschen wirkt wie ein Wohnzimmer: schickes Teeservice, kleine Blümchen und eine Leseecke. Es wirkt sehr einladend und auch wenn bei unserem Besuch niemand an den Tischen sitzt, wirkt der Ort trotz seines Namens sehr lebendig.  

Aber was unterscheidet ihn abgesehen von der Lage auf einem Friedhof eigentlich von einem gewöhnlichen Café? »Die Preise (eine Tasse Kaffee kostet 70 Cent, ein Stück Kuchen 80 Cent, Anm. d. Red.) und dass Sie hier alles ehrenamtliche Mitarbeiterinnen haben, die das wirklich mit Herz machen und auch immer wieder gerne den Kuchen backen. Jede hat ihre eigene Spezialstrecke. Da wird alles abgesprochen, nicht dass dann zwei Quarkkuchen oder zwei Apfelkuchen da stehen, sondern dass man sogar die Vielfalt hat.« 

Vor allem aber ist die zertifizierte Trauerbegleiterin Ansprechpartnerin für Menschen, die einen Verlust erlitten haben. Diese können Ursula Weißig bei Gesprächsbedarf besuchen – aber die 77-Jährige geht auch von selbst auf die Menschen zu: »Wenn jemand zu uns kommt, der wirklich eine tiefe Trauer hat, dann setze ich mich mit der Person hier nach vorn in den kleinen Raum. Hier ist eigentlich die Pärchenecke, mit einer blauen und einer roten Tasse. Ich unterhalte mich mit ihr, wenn ich Zeit habe. Manchmal ist aber zu viel los, dann machen wir einen Termin an einem anderen Tag miteinander aus.«  

Bevor Weißig Trauerbegleiterin wurde, war sie in vielen anderen Bereichen tätig. Zunächst machte die 1945 Geborene nach dem Abitur eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, wechselte dann zu gesunden Kindern in die Kinderkrippe – und ging später ins Verlagswesen. Nach der Wende und der Auflösung ihres Verlags arbeitete sie im Vertrieb eines Sanitätshauses. Mit einer anschließenden Ausbildung als Hospiz-Mitarbeiterin landete sie im ambulanten Hospizdienst. »Ich wollte den Leuten helfen, aber ein Sterbender, der nimmt einen Fremden absolut nicht gerne an. Ich habe gemerkt, dass es die Angehörigen sind, die von den Sterbenden gebraucht werden – und dass diese Angehörigen oft jemanden brauchen. Und da habe ich oft nicht mit den Sterbenden, aber viel mit den Angehörigen gesprochen. Dadurch ist die Trauerbegleiterin entstanden.«  

Wenn Ursula Weißig mit einer trauernden Person spricht, gibt es einen geregelten Ablauf, dem sie folgt. Für sie macht es zudem einen Unterschied, unter welchen Umständen die betrauerte Person gestorben ist: »Wenn hier jemand reinkommt, da bin ich ganz sachlich und frage nach Namen und Telefonnummer, mehr nicht. Wir treffen uns immer hier und dann erkundige ich mich erst einmal: ›Wie alt war der oder die Verstorbene? Wo haben Sie sich kennengelernt?‹ Und so weiter. Und dann frage ich: ›Hatte er eine Krankheit, hatte er die schon lange?‹ Das muss ich wissen. Jede Trauer hat einen Anfang. Sie beginnt mit dem Schock, wenn man die Todesnachricht erhält. Den hat jeder. Aber der ist bei demjenigen, der es schon länger wusste, dass es zu Ende geht, nicht ganz so tief wie bei denen, denen es plötzlich passiert.«  

Unabhängig davon, wie groß der Anfangsschock ist, ist der bewusste Umgang mit der eigenen Trauer sehr wichtig für die seelische Gesundheit betroffener Menschen. »Die Trauerbegleitung hat einen sehr großen Einfluss – wenn der Trauernde sich helfen lassen will. Wenn er das nicht will, wird es ganz schwierig. Es gibt auch trauernde Frauen oder Männer, an die Sie nicht herankommen und wo Sie das auch merken«, sagt Ursula Weißig. Unaufgearbeitete Trauer könne – unabhängig davon, ob sie begleitet wird oder nicht – zu Depressionen führen, zu Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken oder gar zum Suizid: »Das habe ich schon alles erlebt.« Und eben deshalb gibt es Orte wie das Trauercafé – als Anlaufstelle für betroffene Menschen. Aber nicht nur, dank der moderaten Preise und schönen Atmosphäre des Cafés: »Es ist einfach eine Begegnungsstätte derjenigen, die hier unterwegs sind auf dem Friedhof. Manche trauern ja gar nicht. Die sind einfach nur hier, weil das ein schöner Park ist.«

 

> Trauercafé am Westeingang des Südfriedhofs (Nähe »Blumen Kaiser«), Sa/So 14–17 Uhr  

> Gesprächsnachmittag mit Ursula Weißig, jeden ersten Mittwoch des Monats ab 15 Uhr, Tel. 03 42 03/55 60 27 

> Volkstrauertag am 13.11., Totensonntag am 20.11. 


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