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Stadtleben

Schuldspruch für Hausbesetzer

Angeklagte wegen Hausfriedensbruch in der Ludwigsstraße verurteilt

  Schuldspruch für Hausbesetzer | Angeklagte wegen Hausfriedensbruch in der Ludwigsstraße verurteilt

Am 21. November fand der zweite und letzte Verhandlungstag in dem Prozess zur Hausbesetzung in der Ludwigstraße 71 wegen Hausfriedensbruches statt. Dieser endete mit einem Schuldspruch für die beiden Angeklagten.

Vor inzwischen zwei Jahren wurde im Leipziger Osten am 21. August die Hausnummer 71 in der Ludwigstraße besetzt. Vor dem Haus fanden sich während der Besetzung jeden Abend zahlreiche sympathisierende Menschen ein, um gemeinsam zu essen, zu diskutieren, zu tanzen und bei einer bevorstehenden Räumung zu unterstützen. Es wurde eine Versammlung einberufen, um mit Anwohnenden zu besprechen, wie eine zukünftige Nutzung des Hauses aussehen könnte, wie sich die Angeklagte Lisa H. in ihrem Schlussstatement erinnert. Doch es kam anders und nach knapp zwei Wochen wurde das Haus am frühen Morgen des 2. Septembers geräumt. Im Haus war zu diesem Zeitpunkt niemand mehr. Allerdings wurden zwei Personen, in der Nähe von der Polizei aufgegriffen, die sich nun bereits zu einem zweiten Verhandlungstermin im Amtsgericht einfinden müssen.

Direkt beim Betreten des Gebäudes wird man von einer einschüchternden Atmosphäre empfangen. Im Foyer stehen mehrere Beamte und mustern die Eintretenden. Vor dem Saal 200, in dem die Verhandlung stattfindet, sind es noch mehr Polizisten. Es werden die Taschen kontrolliert und von allen Anwesenden der Personalausweis kopiert. Anspannung liegt in der Luft. Es ist klar, dass mit potenziell gewaltbereiten Linkradikalen gerechnet wird.

 Nach und nach kommen etwa 20 Personen herein und füllen bald sämtliche Sitzplätze in dem Verhandlungssaal. Alle sind aus Solidarität mit den zwei Angeklagten gekommen. Denn wie beim ersten Verhandlungstermin gab es auch dieses Mal einen Aufruf in linken Kreisen, im Gericht unterstützend dabei zu sein. Und ganz allmählich wird die Stimmung lockerer. Leise wird getuschelt und gelacht. Es wird deutlich, dass die Seite der Angeklagten jetzt in der Überzahl ist und egal, wie es ausgeht, hinter ihnen stehen wird.

Viel Neues erfährt man an diesem zweiten Verhandlungstag nicht. Denn am 8. November wurden bereits Zeuginnen verhört, darunter der Hausbesitzer Udo Heng. Dieser hatte sich während der Besetzung zunächst zu Gesprächen bezüglich des Mietens oder Verkaufens des Hauses bereit erklärt, dieses Angebot aber wenige Tage später zurückgezogen. Laut einem Bericht auf La-presse.org machte er vor Gericht deutlich, dass er sich und sein Eigentum bedroht sah und die Hausbesetzung ablehnte. Er berichtete außerdem, dass er seitdem nicht mehr in dem Haus gewesen sei und auch nicht klar wäre, was in Zukunft damit passieren werde. Die unterste Etage hatte er von seinem Hausverwalter zumauern lassen.

Dieser ist der erste Zeuge am Verhandlungstag und relativiert sogleich seine Tätigkeit als Hausverwalter. Bevor er mit der Verschließung des Gebäudes beauftragt worden sei, sei er noch nie in diesem Haus gewesen. Gefundenes Fressen für Rita Belter, die Verteidigerin von Lisa H., da dies beweise, dass Herr Heng gelogen habe, als er von längerfristiger Zusammenarbeit gesprochen hatte.

Anschließend werden noch zwei Polizisten, die bei der Räumung im Einsatz waren, befragt. Beide betonen, wie viel Zeit seit dem Einsatz vergangen sei. Ob sie einen Bericht angefertigt haben und wer die beiden Angeklagten angesprochen hat, wissen sie nicht mehr. Einer will sich an eine Person mit Irokesen-Haarschnitt erinnern. Aber sicher sei er sich nicht. Der andere erzählt, wie die beiden Angeklagten plötzlich bei einem anderen Hauseingang der Ludwigstraße »aufgeploppt« seien. Das einzig auffällig sei gewesen, dass sie schmutzig gewesen seien.

Die entscheidenderen Beweise wurden bereits bei der ersten Verhandlung vorgetragen. So bezieht sich der Staatsanwalt in seinem Plädoyer auf die etwa 80 DNA-Spuren, die in dem Haus gefunden wurden. Davon konnten zahlreiche, zum Beispiel an einer Zahnbürste oder in einem Schlafsack, den Angeklagten zugeordnet werden. Daher sei der Tatvorwurf des Hausfriedensbruches erwiesen. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen in Höhe von 14 Euro pro Person.

Als nächste hat Rita Belter das Wort und plädiert für einen Freispruch. Sie kritisiert die Auswertung der DNA-Spuren wegen einer »absoluten Bagatelle«. Laut ihr ist es fraglich, ob der Tatbestand wirklich erfüllt ist. Denn handelte es sich bei dem Haus wirklich um befriedetes Besitztum? »Vermutlich haben bereits vorher Obdachlose in dem Haus geschlafen, denn das Haus war offen und keine Fenster vorhanden«, sagt Belter. »Außerdem hat sich der Eigentümer nicht um das Haus gekümmert. Und man hat das Recht gegen den Verfall zu demonstrieren.«

So sieht es auch Christian Mucha, der Verteidiger von Joris J. Für ihn handelt es sich bei leerstehenden Häusern um Spekulationsobjekte, die nicht durch den Paragraphen 123 StGB von Hausfriedensbruch betroffen seien. »Der Versuch der Nutzbarmachung sollte nicht strafrechtlich verfolgt werden«, sagt er und wird dabei vom Klatschen der Zuhörerinnen unterstützt.

Die letzten Worte haben die beiden Angeklagten. Sie lesen abwechselnd Abschnitte aus ihrer gemeinsam vorbereiteten Rede vor. Sie gehen auf die angespannte Lage auf dem Leipziger Wohnungsmarkt und ihr am Gemeinwohl orientiertes Nutzungskonzept für das Haus ein. Joris J. sagt schließlich: »Egal ob wir schuldig gesprochen werden oder nicht, der schlimmste Teil liegt bereits hinter uns.« Damit bezieht er sich auf die DNA Entnahmen, das Abfotografiert werden und „das Eindringen in den privaten Raum«. Beide bedanken sich für die Solidarität, die sie während und nach der Besetzung des Hauses gespürt haben. Mit den Worten Lisa H.s »Unsere Solidarität gegen ihre Repression!« endet ihr Statement, unter Beifall und Stampfen der Besucherinnen.

Als schließlich das Urteil verkündet wird, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen in Höhe von 14 Euro, ertönt ein Chor der Besucherinnen. Es wird skandiert: »Mieten verweigern, Kündigung ins Klo, Häuser besetzen sowieso.« Der Richter Müller bittet um Ruhe und droht bei der nächsten Unterbrechung mit einer Räumung des Saales. Wie auch der Staatsanwalt begründet er seinen Schuldspruch vor allem mit den DNA-Spuren. Auch betont er, dass trotz des Leerstandes der Eigentümer über sein Eigentum verfügen dürfe und dieses strafrechtlich geschützt werden müsse.

Innerhalb einer Woche können die Angeklagten Berufung einlegen. Ob das in Anspruch genommen wird, ist noch nicht klar.


Titelfoto: Ludwigstraße im Sommer 2020. Nele Rebmann.


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