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Kultur

Dokumentarisch Divers

Die Kinostarts der Woche

  Dokumentarisch Divers | Die Kinostarts der Woche

Es geht erfreulich dokumentarisch zu, bei der diesjährigen Queeren Filmwoche in Leipzig. In »Narcissism – The Auto-Erotic Images« spricht Toni Karat auf einem alten Dachboden mit unterschiedlichsten Personen und ohne Tabus über Liebe in all ihrer Diversität, wie gelebte queere Familie in der heutigen Zeit aussieht, zeigt »Mutter Mutter Kind – Let’s do this differently« von Annette Ernstund und der Gewinnerfilm der Goldenen Taube beim Dok Leipzig, »Anhell69«, begleitet junge queere Menschen aus Medellín, die gegen ein repressives Umfeld kämpfen.

»Queere Filmwoche«: 12.–18.1., Kinobar Prager Frühling, UT Connewitz


Film der Woche: Inisherin, eine gottverlassene irische Insel in den 1920ern. Wer hier geboren ist, wird hier begraben. Deshalb streben nur wenige der Inselbewohner nach Größerem. Während Siobhan den eintönigen Alltag leid ist und von einem Leben auf dem Festland träumt, ist ihr einfach gestrickter Bruder Pádraic zufrieden. Gegen Mittag spaziert er mit seinem Esel zum Haus von Colm, um mit ihm gemeinsam in den örtlichen Pub zu wandern, wo die beiden in der Regel den Rest des Tages verbringen. Doch eines ganz gewöhnlichen Morgens hat Colm auf einmal keine Lust mehr auf die Gesellschaft von Pádraic und kündigt ihm die Freundschaft. Der konsternierte Pádraic kann das nicht begreifen und lässt nicht locker, auch als Colm zu drastischen Maßnahmen greift. Nach seinem zweifach oscarprämierten Drama »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« kehrt Martin McDonagh in seine irische Heimat zurück. »The Banshees of Inisherin« konzentriert sich voll auf seine zwei Hauptfiguren, kongenial verkörpert von Colin Farrell und Brendan Gleeson, mit denen er bereits sein Debüt »Brügge sehen...und sterben« inszenierte. Daneben glänzen Kerry Condon und Barry Keoghan, deren Figuren der tragischen Komödie Konturen verleihen. So offenbaren sich in dem scheinbar kleinen Kosmos der Inselbewohner Menschen mit Träumen und Hoffnungen und dem Drang nach Freundschaft und Verständigung. Das macht das achtfach Golden-Globe-nominierte Drama universell und zeitlos und darüber hinaus zu einem absoluten Vergnügen für Freunde des schwarzen Humors.

»The Banshees of Inisherin«: ab 5.1., Schauburg, Kinobar Prager Frühling, Passage-Kinos

 

 

Nachdem Elisabeth von ihrem Ehemann verlassen wurde, muss die zweifache Mutter zum ersten Mal im Leben selbst für ihren Unterhalt sorgen. Sie erhält einen Job bei der nächtlichen Radiotalkshow von Vanda, muss die Anrufer vorab checken und überprüfen, wie interessant ihre Geschichten sind. Dabei macht sie die Bekanntschaft mit einer jungen Obdachlosen, mit der sie Mitleid hat und die sie schließlich in ihre Mansardenwohnung einziehen lässt. Auch Elisabeths Teenagerkinder sind bald Feuer und Flamme für die sympathische Talula, aber das Drogenproblem der 18-Jährigen wird die Familie in den folgenden Jahren immer wieder vor harte Prüfungen stellen. Mikhaël Hers hat »Passagiere der Nacht« im Jahrzehnt der 1980er angesiedelt und die Stimmung und Befindlichkeit im Paris jener Zeit atmosphärisch und facettenreich eingefangen. Sein Film wirkt aufgrund seiner opulenten Erzählweise und den zahlreichen Details fast wie eine überbordende Romanverfilmung, beruht aber auf einem originären Drehbuch. Das hat Hers zusammen mit zwei Co-Autorinnen sehr authentisch angelegt, so dass hier am Ende das spannende und lebensechte Porträt einer typischen französischen Kleinfamilie mit ihren Problemen herausgekommen ist. Charlotte Gainsbourg ist zwar der publikumswirksame Star dieses Films, doch die junge Noée Abita in der Rolle Talulas reißt mit ihrem entwaffnenden Charme und ihrem einfühlsamen Spiel den Film an sich. FRANK BRENNER

»Passagiere der Nacht«: ab 5.1., Passage-Kinos, Schaubühne Lindenfels

 

Höflichkeit ist durchaus eine Tugend. Doch was geschieht, wenn ein Fabrikbesitzer, aufs allerhöflichste drei Mitarbeiterinnen entlässt, weil sie Teil einer anarchistischen Bewegung sind. Oder wenn zwei Schutzmänner einer alten Frau mit Engelszungen erklären, dass sie nun leider für zehn Tage ins Gefängnis müsse, weil sie ihre Gemeindesteuern nicht bezahlt habe. Willkommen in Saint-Imier, einem kleinen Schweizer Bergdorf im Jahr 1877, berühmt für seine Uhrenproduktion. In »Unruh« trifft hier der russische Kartograf und Anarchist Pyotr Kropotkin auf die Arbeiterin Josephine Gräbli, die in der Fabrik dafür zuständig ist, die titelgebende Unruh einzustellen, einen Mechanismus, der das Räderwerk einer Uhr zum Schwingen bringt. Regisseur Cyril Schäublin orientiert sich in seinem Film nur lose an seinen beiden Protagonisten. Sein Interesse gilt dem Dorfkosmos im letzten Drittel vor der Jahrhundertwende. Vor idyllischer Bergkulisse treffen anarchistische Ideen auf die beginnende Industrialisierung, Spaziergänger auf Fotografen, die Sammelbildchen verkaufen und Landschaftsaufnahmen schießen. »Unruh« gelingt das Kunststück mit langsamem Puls eine ganze Welt zu verhandeln. Viele Fragen werden dabei jedoch eher angerissen, als beantwortet und so schwebt auch etwas Rätselhaftes über diesem Film, dessen Regisseur bei der Berlinale in der Sektion Encounters den Preis für die Beste Regie gewann. JOSEF BRAUN

»Unruh«: ab 5.1., Cinémathèque in der Nato, Luru-Kino in der Spinnerei

 

 

Weitere Filmtermine der Woche

Alle reden übers Wetter 
D 2022, R: Annika Pinske, D: Anne Schäfer, Judith Hofmann, Marcel Kohler, 89 min
Die Geschichte einer ostdeutschen Bildungsaufsteigerin zwischen Alltag in der Metropole und Aufwachsen in der Provinz.
Cinémathèque in der Nato, 05.01. 21:00
 

Finite: The Climate of Change
GB 2022, Dok, R: Rich Felgate, 100 min
Doku über Klimaaktivisten, die sich im Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen und im englischen Pont Valley gegen die Zerstörung von Natur und Heimat durch den Kohleabbau engagieren.
Luru-Kino in der Spinnerei, 11.01. 19:00 (OmU)
 

Free Film Lab
Die Highlights des siebenwöchigen Guerilla-Filmprogramms von und für Menschen des Leipziger Ostens.
Ost-Passage-Theater, 11.01. 20:00 (Showtime 4)
 

Ghost Fleet – Der wahre Preis für unseren Fisch
USA 2018, Dok, R: Jeffrey Waldron, Shannon Service, 90 min
Dokumentation über eine Aktivistengruppe, die indonesischen Fischern aus der Sklaverei heraushelfen will.
Cineding, 12.01. 19:00, 13.01. 19:00 (Preview)


Girl Gang
CH 2022, Dok, R: Susanne Regina Meures, 97 min
Der Dokumentarfilm begleitet die 14-jährige Leonie, die als Teen-Fluencerin die Welt erobert.
Cinémathèque in der Nato, 09.01. 19:30 (mit Regiegespräch), 10.01. 19:00, 11.01. 19:00, 12.01. 19:00
 

Holy Spider
DK/D/S/F 2022, R: Ali Abbasi, D: Zar Amir-Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, 117 min
Die Jagd einer Kriminaljournalistin nach einem Serienkiller, der auf den Straßen der iranischen Stadt Mashhad Prostituierte tötet, um im Auftrag Allahs die Stadt zu reinigen, geht tief unter die Haut und ist nichts für Zartbesaitete.
Passage-Kinos, 08.01. 18:00 (OmU, Ausblick, anschließend Diskussion mit Jorinde Markert und Felix Bachmann)
 

Shortbus
USA 2006, R: John Cameron Mitchell, D: Sook-Yin Lee, Paul Dawson, Jay Brannan, 102 min
Ein schwules Pärchen mit Beziehungsproblemen, eine Therapeutin, die noch nie einen Orgasmus hatte, und eine Domina, die sich eigentlich nach einer festen Beziehung sehnt – diese unterschiedlichen Personen treffen im New Yorker Szene-Club Shortbus aufeinander. Hier wird offene Liebe praktiziert und jeder Einzelne von ihnen erhofft sich in dieser Atmosphäre, für eine gewisse Zeit seinen Problemen davonzulaufen.
Passage-Kinos, 13.01. 20:00 (Psychoanalyse trifft Film)


Titelfoto: Filmstill »The Banshees of Inisherin«, Walt Disney Deutschland.


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