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Kultur

Realer Horror

Die Kinostarts der Woche

  Realer Horror | Die Kinostarts der Woche

Das Zeitgeschichtliche Forum widmet sich in einer Filmreihe den Utopien der DDR-Raumfahrt. Am Montag gibt es »Der schweigende Stern« von Kurt Maetzig zu sehen, dem ersten Science-Fiction-Film des DEFA-Studios für Spielfilme nach einer Vorlage von Stanislaw Lem. Am 6.2. folgt »Signale« von Gottfried Kolditz aus dem Jahr 1969. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

»Zu den Sternen – Science Fiction in der DDR«: ab 16.1., Zeitgeschichtliches Forum
 

Film der Woche: Seit Wochen gehen überall im Iran tausende Frauen auf die Straße, um gegen die Diktatur der Imams und ihres geistlichen Führers zu demonstrieren. Dabei gehen sie das Risiko ein, getötet oder eingesperrt und misshandelt zu werden. Die Übermacht des Systems, gegen das sie antreten, macht Ali Abbasis »Holy Spider« deutlich.
Basierend auf wahren Ereignissen, die rund zwanzig Jahre zurück liegen, erzählt der finstere Neo-Noir-Thriller vom Fall eines Serienmörders, der auf den Straßen der geistlichen Hauptstadt Mashhad Prostituierte tötet. Nachts gibt sich Saeed Azimi (Mehdi Bajestani) als Freier aus, lockt die von der Drogensucht und dem Leben auf der Straße gezeichneten Frauen auf sein Motorrad, um sie in seiner Wohnung zu erdrosseln. Er sieht sich als Prophet Allahs, gesandt, um die Straßen vom sittlichen Verfall zu reinigen. Tagsüber ist Saeed ein unbedarfter Familienvater, der allerdings deutliche Züge einer posttraumatischen Belastungsstörung aus seinem Kriegseinsatz mit sich trägt.
Neun Frauen hat Saeed bereits getötet, als die Kriminalreporterin Arezoo Rahimi (Zar Amir-Ebrahimi) in Mashhad eintrifft. Die Polizei tappt weiterhin im Dunkeln. Die Einwohnerinnen der Stadt leben in Angst. Von den Männern befürworten nicht wenige das Vorgehen des Täters. Die junge Reporterin trifft auf eine Mauer des Schweigens, auf Verachtung und Missgunst, als sie beginnt, selbst zu ermitteln und dabei auch ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt.
Drastisch und brutal schildert der in Dänemark lebende und aus dem Iran stammende Regisseur Ali Abbasi (»Border«) den Fall. Während die Taten ungefiltert effektvoll schockieren, ist die Hilflosigkeit, mit der die weibliche Protagonistin den patriarchalischen Strukturen gegenübersteht, der eigentliche Horror. Der Mörder ist ein geachteter Bürger und trägt seinen Glauben vor sich her, eine Instanz, der sich in der iranischen Gesellschaft alles unterzuordnen hat. »Meine Absicht war es nicht, einen Serienmörderfilm zu drehen«, sagt Regisseur Abbasi. »Ich wollte vielmehr einen Film über eine Serienmörder-Gesellschaft machen. Es geht um einen in der iranischen Gesellschaft tief verwurzelten Hass auf Frauen, der nicht unbedingt religiös oder politisch motiviert ist, sondern einen kulturellen Ursprung hat.«
Dennoch steht Abbasis Film knietief in der Genretradition. Zwielichtige Gassen und lange Schatten in einer drogengeschwängerten Halbwelt halten die Spannung hoch. Abbasis gnadenlose Inszenierung nimmt dem Zuschauer jede Sicherheit. Zu verdanken ist das auch den Darstellerinnen und Darstellern. Zar Amir-Ebrahimi (»Morgen sind wir frei«) überzeugt als willensstarke Rahimi und erhielt in diesem Jahr verdientermaßen den Preis als beste Darstellerin in Cannes. Mehdi Bajestani als Saeed pendelt einnehmend zwischen dem liebevollen Umgang mit der Tochter und wahnhafter Brutalität. »Holy Spider« geht tief unter die Haut und ist nichts für Zartbesaitete. Die alltägliche Realität für die Frauen im Iran ist aber wohl noch wesentlich grausamer.

»Holy Spider«: ab 12.1., Passage-Kinos, Schauburg

 

 

Mit der bittersüßen, musikalischen Liebesgeschichte »The Broken Circle« schufen Charlotte Vandermeersch und Felix van Groeningen basierend auf dem Theaterstück von Johan Heldenbergh das Drehbuch zu einem der emotional kraftvollsten Filme des vergangenen Jahrzehnts. Mit »Acht Berge« adaptierten sie nun den gleichnamigen Roman von Paolo Cognetti erneut als Gemeinschaftsprojekt und führten auch erstmals gemeinsam Regie. Über mehrere Jahrzehnte hinweg erzählt der Roman von der Freundschaft zweier Jungs, deren Wege sich in einem kleinen Bergdorf im italienischen Aostatal kreuzen. Pietro kommt aus der Stadt, Bruno ist das letzte Kind in der entlegenen Siedlung. Trotz ihrer Gegensätze werden sie Freunde. Doch ihr Heranwachsen zu Männern lässt sie auseinander driften. Während es Pietro in die Welt zieht, bleibt Bruno dem Leben in den heimischen Bergen treu. Das Schicksal führt sie schließlich wieder zusammen. Ganz getragen von der mächtigen Naturkulisse und den zwei überzeugenden Hauptdarstellern Luca Marinelli (»Martin Eden«) und Alessandro Borghi (»Suburra«) erzählt »Acht Berge« von unterschiedlichen Lebenswegen und Konzepten, dem Verlust von und dem sturen Festhalten an Idealen. Ist es besser, sich selbst treu zu bleiben, oder die Veränderung zu suchen? Einfühlsam führen Vandermeersch und Groeningen zweieinhalb Stunden durch zwei Leben, die sich gegenseitig bereichern. Eine Beziehung mit Höhen und Tiefen. Es sind die großen Themen – Familie, Freundschaft und Verlust – verhandelt im Kleinen einer Beziehung zwischen zwei Menschen. Bei den Filmfestspielen in Cannes gab es dafür den Großen Preis der Jury. Die »Acht Berge« zu erklimmen, ist ein Kraftakt, aber die Aussicht von der Spitze ist wahrhaftig und wundervoll.

»Acht Berge«: ab 12.1., Passage-Kinos, Regina Palast

 

Es ist eine schöne Herbstnacht im französischen Alpenstädtchen Saint-Jean-de-Maurienne, in der Clara von einem fröhlichen Partyabend mit Freundinnen nach Hause geht und plötzlich von einer unbekannten Person mit Benzin bespritzt und angezündet wird. Die Polizei kann am nächsten Tag nur noch ihre verkohlte Leiche finden und bemüht sich in den folgenden Wochen darum, den Fall aufzuklären. Doch es gibt lediglich schwache Indizien und sämtliche Verdächtigen aus Claras Umfeld scheinen unschuldig zu sein. Das beunruhigt und bewegt auch die zuständigen Kommissare Yohan und Marceau, denn je mehr Zeit verstreicht, desto aussichtsloser wird es, den Mörder oder die Mörderin zu verhaften. Gleich zu Filmbeginn erfährt das Publikum dann auch durch einige Texttafeln: »Fast 20 Prozent aller Morduntersuchungen bleiben ungelöst. Dieser Film erzählt von einem dieser Fälle.« Die Hoffnung, einen klassischen Krimi zu sehen, ist damit eigentlich sogleich begraben und auch die Inszenierung ist betont sachlich gehalten. Spannend und vor allem aufwühlend und dramatisch ist »In der Nacht des 12.« aber trotzdem, schildert Regisseur Dominik Moll (»Lemming«) die von wahren Ereignissen inspirierte Geschichte doch vor allem als engagierte Ermittlungsarbeit, Kampf gegen bürokratische Windmühlen und ernüchternde Abbildung einer Welt, in der manch schreckliche Tat einfach ungesühnt bleibt. PETER HOCH

»In der Nacht des 12.«: ab 12.1., Schauburg

 

Weitere Filmtermine der Woche

Queere Filmwoche

Es geht erfreulich dokumentarisch zu, bei der diesjährigen Queeren Filmwoche in Leipzig. In »Narcissism – The Auto-Erotic Images« spricht Toni Karat auf einem alten Dachboden mit unterschiedlichsten Personen und ohne Tabus über Liebe in all ihrer Diversität, wie gelebte queere Familie in der heutigen Zeit aussieht, zeigt »Mutter Mutter Kind – Let’s do this differently« von Annette Ernstund und der Gewinnerfilm der Goldenen Taube beim Dok Leipzig, »Anhell69«, begleitet junge queere Menschen aus Medellín, die gegen ein repressives Umfeld kämpfen.
12.–18.1., Kinobar Prager Frühling, UT Connewitz


Das Filmriss Filmquiz

Wieviele Cameos hatte Marvel-Meister Stan Lee? Wann wurde der erste Tonfilm uraufgeführt? Welche Horrorserie kommt auf die meisten möderischen Auftritte? Die beliebte Rateshow rund ums Thema Film geht in eine neue Staffel. Mit frischen Fragen, Filmausschnitten und Spielen und natürlich reichlich Preisen zu aktuellen Kinoproduktionen. Dazu servieren wir euch kurzweilige Clips und witzige Facts aus der Filmgeschichte. Hier zahlt es sich aus, Kinonerd zu sein. Das Filmriss Filmquiz mit André Thätz und kreuzer-Redakteur Lars Tunçay.

18.1., 20 Uhr, Moritzbastei
 

Shortbus
USA 2006, R: John Cameron Mitchell, D: Sook-Yin Lee, Paul Dawson, Jay Brannan, 102 min
Ein schwules Pärchen mit Beziehungsproblemen, eine Therapeutin, die noch nie einen Orgasmus hatte, und eine Domina, die sich eigentlich nach einer festen Beziehung sehnt – diese unterschiedlichen Personen treffen im New Yorker Szene-Club Shortbus aufeinander. Hier wird offene Liebe praktiziert und jeder Einzelne von ihnen erhofft sich in dieser Atmosphäre, für eine gewisse Zeit seinen Problemen davonzulaufen.
Passage-Kinos, 13.01. 20:00 (Psychoanalyse trifft Film)
 

Ghost Fleet – Der wahre Preis für unseren Fisch
USA 2018, Dok, R: Jeffrey Waldron, Shannon Service, 90 min
Dokumentation über eine Aktivistengruppe, die indonesischen Fischern aus der Sklaverei heraushelfen will.
Cineding, 12.01. 19:00 (OmU, Preview)13.01. 19:00 (OmU, Preview)14.01. 19:00 (OmU, Preview)
 

Thunivu
IND 2023, R: H. Vinoth, D: Ajith Kumar, Manju Warrier, Samuthirakani Pandiyaraj, 140 min
Indischer Actionthriller über eine Serie ungewöhnlicher Banküberfälle.
Cineplex, 12.01. 19:30 (OmeU)14.01. 12:30 (OmeU)15.01. 14:00 (OmeU)
 

Co:memorate
D 2022, Dok, R: Judith Schein, Birgit Said, Alexander Kramer, Antonio Quarta, 45 min
Der Dokumentarfilm zeigt alltägliche Orte, an denen rassistische Gewalt verübt wurde. Auf diesem Weg möchten die Filmschaffenden an Taten und Opfer, vor allem aber an Menschen, an Lebensgeschichten und Spuren erinnern, die allzu schnell im Alltag verwischen.
Kinobar Prager Frühling, 19.01. 17:00 (Premiere, mit den Filmschaffenden und Zeitzeugen)
 

Der schweigende Stern
DDR/PL 1960, R: Kurt Maetzig, D: Jan Fethke, Wolfgang Kohlhaase, Günter Reisch, 90 min
Das Zeitgeschichtliche Forum widmet sich in einer Filmreihe den Utopien der DDR-Raumfahrt. Am Montag gibt es »Der schweigende Stern« von Kurt Maetzig zu sehen, dem ersten Science-Fiction-Film des DEFA-Studios für Spielfilme nach einer Vorlage von Stanislaw Lem. Am 6.2. folgte »Signale« von Gottfried Kolditz aus dem Jahr 1969. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.
Zeitgeschichtliches Forum, 16.01. 19:00 (Zu den Sternen – Science Fiction in der DDR)
 

Nasim
D 2021, Dok, R: Ole Jacobs, Arne Büttner, 90 min
Nasim (38) stammt aus Afghanistan und kommt im Februar 2020 als Geflüchtete aus dem Iran über die Türkei nach Moria, dem größten Geflüchtetenlager der EU.
HGB-Galerie, 17.01. 18:00 (OmU)
 

Lonesome
AU 2022, R: Craig Boreham, D: Josh Lavery, Daniel Gabriel, Anni Finsterer, 95 min
Casey flieht vom Land in die Großstadt Sidney und lernt dort Tib kennen und lieben.
Cineplex, 16.01. 20:15 (OmU)
 

Mission Ulja Funk
D/LUX/PL 2021, R: Barbara Kronenberg, D: Romy Lou Janinhoff, Jonas Oeßel, Hildegard Schroedter, 92 min
Die 12-jährige Ulja entdeckt, dass ein Asteroid in Weißrussland einschlagen wird, und macht sich mit ihrem Freund Henk auf eine abenteuerliche Reise. Ausgezeichnet mit dem »Goldenen Spatz«.
Passage-Kinos, 14.01. 15:00 (in Anwesenheit der Regisseurin und der Hauptdarstellerin, Premiere für Kids)
 

Wir könnten genauso gut tot sein
D/RUM 2022, R: Natalia Sinelnikova, D: Ioana Iacob, Pola Geiger, Jörg Schüttauf, 93 min
Eine Geschichte über die Zugehörigkeit, das Ringen um Wahrheit und die Macht der Angst.
Ost-Passage-Theater, 18.01. 20:00
 

Modern Times
(USA 1936)
Ein großer Klassiker: Fabrikarbeiter Charlie Chaplin im Kampf mit einer Maschine und um sein Liebesglück. Vertont wird von David Timm an Orgel und Konzertflügel.
Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli, 20.01. 19:30
 

Mutter
D 2022, R: Carolin Schmitz, D: Anke Engelke, 87 min
Acht Originalstimmen von Frauen, die durch die Darstellung von Anke Engelke in einer inszenierten Figur zusammengeführt werden und ein vielschichtiges Bild von Mutterschaft beschreiben.
Passage-Kinos, 16.01. 18:30 (Premiere mit Regisseurin Carolin Schmitz)
 

Rock N Rolla
USA 2008, R: Guy Ritchie, D: Gerard Butler, Tom Wilkinson, Mark Strong, 114 min
Stereotypes britisches Gangsterkino von Guy Ritchie, gewohnt stilsicher und temporeich inszeniert. Plottechnisch geht es um irgendwas mit Geld und Waffen.
Moritzbastei, 19.01. 20:00 (Moritzkino)
 

Schattenspiele
D 2022, 65 min
Multimediales Film- und Theaterprojekt von Mitgliedern Leipziger Selbsthilfegruppen (Libelle)
Nato. 15.01. 15:00 (mit Gespräch), 17:00 (mit Gespräch)


Titelfoto: Filmstill aus »Holy Spider«, Copyright: Alamode Filmverleih.


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