Die Berlinale steuert auf ihre Zielgerade zu und es zeichnen sich erste Bärengewinner ab: Von ganzem Herzen gönnen möchte man die Hauptpreise des Festivals Christina Petzolds Drama »Roter Himmel«, der die Beziehung von vier Figuren vor dem Hintergrund der Waldbrände in Brandenburg schildert und dabei augenzwinkernd einfühlsam von der Fehlbarkeit des Menschen erzählt. Zuletzt gewann Petzold mit »Barbara« den Silbernen Bären für die beste Regie. Es wäre mal wieder an der Zeit. Ebenfalls aussichtsreicher Bären-Kandidat ist »Past Lives« von Celine Song, der in seiner über drei Jahrzehnte erzählten koreanisch-amerikanischen Liebesgeschichte auch eine universelle Geschichte von Migration erzählt. Stark auch Emily Atefs »Irgendwann werden wir uns alles erzählen«, eine Adaption des gleichnamigen Romans der Leipzigerin Daniela Krien. Ansonsten hinterlässt der Wettbewerb einen gemischten Eindruck, mit Ausreißern nach oben (»20.000 Especies de Abejas«) und unten (»Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste«). Wer die begehrten Bären erhält, erfahren wir am Samstagabend, bevor die 73. Ausgabe dann mit dem Berlinale Publikumstag am Sonntag endet.
73. Internationale Filmfestspiele Berlin: 16.–26.2., veschiedene Orte, www.belinale.de
Film der Woche: »Das Tagebuch der Anne Frank« ist wohl das bekannteste und zugänglichste Werk zur Judenverfolgung im deutschen Nationalsozialismus. Die Aufzeichnungen von Anne, die sich mit ihrer Familie von 1942 bis zu ihrer Entdeckung 1944 im geheimen Teil eines Hinterhauses mitten in Amsterdam versteckt hielt, sind authentisches, erschütterndes Zeugnis eines der schlimmsten Abschnitte der Menschheitsgeschichte. Ihr Schicksal wurde mehrfach verfilmt. Der israelische Regisseur Ari Folman, der 2008 mit seinem Animadok »Waltz with Bashir« über den Libanonkrieg aufwühlte, hat in seinem neuen Trickfilm, der auch Jugendliche behutsam an die Materie heranführt, nun einen frischen Ansatz gefunden: Protagonistin ist vor allem Kitty, die imaginäre Freundin, an die Anne ihre Tagebucheinträge einst richtete. 2019 erwacht sie eines Nachts im Anne-Frank-Haus in der Amsterdamer Prinsengracht 263 zu unsichtbarem Leben, beobachtet zunächst die zahllosen internationalen Besucherinnen und Besucher und wird dann gemeinsam mit dem Filmpublikum an die Hand genommen, um alles über Annes tragisches Schicksal zu erfahren. In der Gegenwartshandlung zeigt Folman unterdessen, dass der Satz »Geschichte wiederholt sich« keine leere Floskel ist, indem er einen Bogen zur aktuellen Flüchtlingsthematik spannt, das Publikum aber immerhin mit einem vorsichtig hoffnungsvollen Ende aus dem Kino entlässt. PETER HOCH
»Wo ist Anne Frank?«, ab 23.2., Passage-Kinos, Schaubühne Lindenfels
Weitere Filmtermine der Woche
Kurzfilmreihe Kultura: UA
Im Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum ersten Mal. Die Schaubühne Lindenfels zeigt ihre Solidarität mit ukrainischen Regisseurinnen und Regisseuren mit einer Filmreihe. »Kultura: UA« wirft einen Blick auf die Lebensrealität der Menschen mit preisgekrönten Festivalfilmen. Im Februar gibt es drei ukrainische Kurzfilme zu sehen: »Salt for the Sea«, »Broken« und »In Joy and Only in Joy«.
Schaubühne Lindenfels, 24.02. 19 Uhr
Das Piano
AU/F 1993, R: Jane Campion, D: Holly Hunter, Harvey Keitel, Sam Neill, 121 min
Eine stumme Europäerin trifft Ende des 19. Jahrhunderts in Neuseeland ein, um ihren zukünftigen Mann zu treffen. Mit sich führt sie neben ihrer Tochter ein Klavier, das zum Katalysator einer Affäre mit einem indigenen Nachbarn wird. Intensiv dargestelltes Kammerspiel über die Selbstfindung einer Frau. Gewann die Goldene Palme in Cannes.
Schaubühne Lindenfels, 23.02. 19:00 (OmU)
Only Lovers Left Alive
GB/D/GR/F 2013, R: Jim Jarmusch, D: Tom Hiddleston, Tilda Swinton, Mia Wasikowska, 118 min
Jim Jarmuschs traumhaft-düstere Reflexion über die Unsterblichkeit. Exquisit besetzt und wunderbar moody.
Schaubühne Lindenfels, 24.02. 20:00 (OmU)
Fessle mich!
E 1989, R: Pedro Almodóvar, D: Victoria Abril, Antonio Banderas, Loles León, 101 min
Der psychisch labile Ricky entführt eine Frau und hält sie gegen ihren Willen fest: Er hofft darauf, dass sie sich in ihn verlieben wird. Gelungenes, chauvinistisch-abstoßendes bis witzig-erotisches Drama.
Schaubühne Lindenfels, 25.02. 20:30 (OmU)
Crimes of the Future
CDN/GR/F 2022, R: David Cronenberg, D: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristen Stewart, 107 min
Die seltsame, surrealistische Zukunftsvision um eine radikale Körperkultur ist Cronenberg pur.
Cineding, 25.02. 21:00 (OmU)
Er flog voraus – Karl Schwanzer
A 2022, Dok, R: Max Gruber, D: Nicholas Ofczarek, 73 min
Semidokumentarischer Porträtfilm über den österreichischen Architekten Karl Schwanzer.
Passage-Kinos, 26.02. 13:00 (EinBLICK)
La Croisade
F 2021, D: Louis Garrel, Laetitia Casta, Joseph Enge, 67 min
Abel und Marianne stellen fest, dass ihr 13-jähriger Sohn die Habseligkeiten der Familie verkauft, um ein Umweltprojekt in Afrika zu unterstützen.
Institut Français, 27.02. 19:00 (Aktuelles französisches Kino, OmeU)
Mobile Suit Gundam: Cucuruz Doan’s Island
J 2022, R: Yoshikazu Yasuhiko, 109 min
Langfilm der Animeserie »Mobile Suit Gundam« von Yoshiyuki Tomino um mächtige Mech-Kämpfer.
Cinestar, 28.02. 17:00 (Anime-Night, OmU), 20:00 (Anime-Night, DF)
Cineplex, 28.02. 18:00 (Anime-Night, OmU), 20:00 (Anime-Night, DF)
Nosferatu. Eine Sinfonie des Grauens
D 1922, R: F. W. Murnau, D: Max Schreck, Greta Schroeder, Gustav von Wangenheim, 94 min
Murnaus Klassiker des Vampirfilms, begleitet vom Musikduo SeBoom.
Cinémathèque in der Nato, 23.02. 20:30 (Film & Musik)
Schattenkind
D 2022, Dok, R: Jo Müller, 89 min
Dokumentarfilm über den Fotografen Andreas Reiner.
Passage-Kinos, 26.02. 12:45
Titelbild: Filmstill aus »Wo ist Anne Frank?«, Copyright Purple Whale Films