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Kultur

Biete Wohnung – suche Sex

Rezension: Die Oper kommentiert humorvoll die Wohnungsnot

  Biete Wohnung – suche Sex | Rezension: Die Oper kommentiert humorvoll die Wohnungsnot

Foto: Mieter- und Bietertausch in »Don Giovanni«, Foto von Tom Schulze

Don Giovanni ist Vermieter. Er wohnt ganz oben, nah am Licht, um hier aber der Nacht zu huldigen. Er wälzt sich aus seiner samtschwarzen Liebeshöhle ins Wohnzimmer, in dem nur ein Sessel vor Hi-Fi-Anlage und Bar steht. Er legt eine Platte auf und unten im Orchester startet die Ouvertüre: Prost! Schnell noch Hemd und Smoking an, Dobermann-Maske über. Während sich die namenlose Frau aus der Höhle davonschleicht, bekommt Giovanni Dobermann schon wieder Appetit und hat Fährte aufgenommen: Donna Anna unter der Dusche.

Wo sie dann auch gestellt wird, wie vermutlich vor ihr schon 90 Mieterinnen aus Persien, 100 aus Deutschland, 640 aus Italien und 1.003 aus Spanien. Wie viele trugen Mietschulden quasi in Naturalien ab? Leporello, der für diese Dates Pizza liefert, führt genau Buch, verrät es aber nicht. Und weil die Sache so gut läuft, muss Giovanni auch nicht renovieren, obwohl das dringend nötig wäre: Die Elektrik fällt gelegentlich aus, Wasserflecken an der Decke in anderen Wohnungen erzählen von Rohrbrüchen oder übergelaufenen Wannen. Aber solange Wohnungsnot in Sevilla herrscht, zieht auch Zerlina, Studentin vom Land, noch ins ehemalige Außen-WC auf halber Treppe ein – und sich für Giovanni aus.

Im Finale vor der Pause kommen andere Dober-Männer zur Party. Auch sie Vermieter, Anwälte, Neureiche, auch sie machen hauptberuflich oder nebenbei in Immobilien und damit Jagd auf leichte Beute. Donna Anna, ebenfalls eingeladen, macht gute Miene. Sie – von einem »Unbekannten« (Giovanni hinter der Dobermann-Maske) unter der Dusche zum Sex genötigt – wohnt im Haus im Erdgeschoss, mit dem Vater und demnächst wohl auch mit ihrem Verlobten Don Ottavio. Die drei sind hier von Anfang an die Verlierer, alter Adel, der sich gerade noch so die Innenstadt leisten kann. Ihre Party-Masken sagen viel: Ottavio kommt als Erdhörnchen, Anna als schöner Pfau mit gestutzten Federn.

Neben den perfekten Kostümen von Irina Bartels ist die Bühne von Étienne Pluss als riesiges Puppenhaus detailverliebt und kongenial: Wo Sängerinnen normalerweise abgehen und wir im Publikum uns die Handlung im Off denken müssen, wird sie hier im angrenzenden Zimmer weitergespielt, greift später in die Haupthandlung auf den Punkt wieder ein. Man könnte denken, Mozart hätte hier an der Inszenierung mitgeschrieben, die in ihrer Ästhetik an Wes Anderson oder Quentin Tarantino erinnert, indem Humor und eineindeutige Bilder ohne Scheu ins Spiel gebracht werden. Regisseurin Katharina Thoma jongliert mit Original und Interpretation, wie es besser nicht geht.

Die Musik klingt immer flüssig, strebt vorwärts, muss sich nicht behaupten, sondern begleitet die Szene souverän, auch wenn es an ein paar Stellen musikalisch klappert. Jonathan Darlington stellt sein Dirigat angenehm uneitel in den Dienst eines Gesamtkunstwerkes. Alle Akteurinnen und Akteure zeigen in jedem Moment eine stimmige Figur, entwickeln aus ihr einen Ton, der die Rolle auch musikalisch weiterdenkt. Am Ende, wenn der Vermieter, der ganz oben wohnt, im Keller einquartiert ist, was für ihn die Hölle bedeutet, ist es auch ein Appell für mehr sozialen Wohnungsbau – zu diesem Zwecke wird in den letzten Takten noch ein richtiger Teufel an die Wand gemalt: die luxussanierte Eigentumswohnung.

■ »Don Giovanni«, 5., 26.3., 17 Uhr, Oper


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