Am internationalen Frauentag hat die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienst zum Streik aufgerufen. Auf der Kundgebung warnten die Streikenden vor einer Überlastung des Kita- und Schulsystems, sollten nicht bald eine gerechte Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen zustandekommen.
»Frauenrechte sind Menschenrechte!«, skandiert Doreen Siebernik von der Gewerkschaft Erziehung- und Wissenschaft (GEW) am Morgen des 8. März vor dem Volkshaus an der Karl-Liebknechtstraße. Die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes haben ihren Warnstreik, der im Zuge der Tarifverhandlungen von Verdi abgehalten wird, ganz bewusst auf den internationalen Frauentag gelegt. »Der weit überwiegende Teil der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst sind Frauen, die unter extrem anstrengenden Bedingungen ihre wichtige Arbeit verrichten. Personalmangel ist insbesondere dort leider längst nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Gleichzeitig arbeiten viele der Kolleginnen in Teilzeit, was die finanziellen Sorgen in der aktuellen Situation weiter verschärft. Entsprechend ist es uns ein Anliegen, am Internationalen Frauentag auf die besondere Situation der Beschäftigten aufmerksam zu machen«, erläutert Verdi-Landesbezirksfachbereichsleiter Paul Schmidt.
Auch die GEW fordert eine gerechte Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für die Berufsgruppe des öffentlichen Dienstes. Damit schließen sich die Erzieherinnen der Kitas und Horte, die Sozialarbeiterinnen in den Jugendämtern und Freizeiteinrichtungen sowie die pädagogischen Beschäftigten anderer sozialer Einrichtungen den Forderungen von Verdi nach 10,5 Prozent mehr Lohn und mindestens 500 Euro mehr im Monat an, um weiter Druck auf die öffentlichen Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen bis zur nächsten Verhandlungsrunde Ende März aufzubauen.
Siebernik verkündet während der Kundgebung einige Forderungen, die sich sowohl an die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen als auch an die Gesellschaft richten: die Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit; internationale Solidarität mit Frauen im Iran und Afghanistan und Aufhebung der veralteten Rollenbilder für Frauen. Sie weist zudem auf den Gender-Pay-Gap hin: Frauen bekamen 2022 in Deutschland im Schnitt 18 Prozent weniger Gehalt. Das hat das Statistische Bundesamt berechnet. Rechnet man das in Tage um, haben Frauen seit dem 1. Januar 66 Tage lang – bis zum 7. März – unentgeltlich gearbeitet. »Der Gender-Pay-Gap ist nicht länger hinnehmbar«, sagt Siebernik. »Wir haben immer noch deutlich mehr Männer in den Chefetagen. Doch wir wollen an der Stelle, dass Gleichberechtigung herrscht, wir wollen Durchlässigkeit schaffen und Frauen in den Führungsetagen.«
Eine Gruppe aus Erzieherinnen und Erziehern einer Leipziger Kita, die anonym bleiben möchte, da sie Angst um ihren Arbeitsplatz hat, demonstriert trotz Schneefall an diesem Morgen für ihre Rechte. Sie sind Teil der GEW und haben sich dem Streik nicht nur um ihrer selbst willen angeschlossen: »Das hier machen wir nicht nur für uns, sondern insbesondere für unsere Azubis, ohne die es nicht geht. Sie verdienen eine hochwertige Ausbildung und dazu gehört ein fairer Lohn. Dieser kann auch als Anreiz gesehen werden, um sich für diesen beruflichen Bereich zu entscheiden. Wir haben mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen, der sich mittlerweile auf unsere Arbeitsbedingungen auswirkt«, sagt eine der Streikenden.
Über das bisherige Angebot der Arbeitgeber sind viele Streikteilnehmerinnen und -teilnehmer empört. »Wir hätten nach diesem Angebot nur 5 Prozent mehr Lohngehaltssteigerung verteilt auf 27 Monate, sprich weniger als 2,5 Prozent Lohnerhöhung pro Jahr. Außerdem eine Einmalzahlung von 1500 Euro. Das ist viel Geld, aber eben nur einmal und dann nie wieder. Dazu kommt, dass die Arbeitgeber:innen so dreist sind, dieses Geld in Prozente umzuwandeln, es mit in die Gehaltserhöhung einrechnen und denken, wir bemerken es nicht. Das ist ein mieser Trick“, fasst Siebernik im Namen aller Anwesenden zusammen.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Gruppe der Erzieherinnen und Erzieher verkündet: »Wir laufen gemeinsam mit unserem Team in die Stadt zu der 16 Uhr Kundgebung. Wir wollen richtig Krach machen, um gesehen und gehört zu werden.« Eltern und Kinder bitten die Anwesenden um Verständnis. »Es ist uns natürlich bewusst, dass Streiks im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen immer mit Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger verbunden sind. Die Alternative wäre jedoch viel schlimmer: Ein ‚Weiter so!‘ würde den Personalmangel weiter zuspitzen«, gibt Paul Schmidt zu Denken. Da werden auch die vom Oberbürgermeister versprochenen Rekordinvestitionen der Stadt Leipzig und der fleißige Bau von Kitas und Schulen nicht weiterhelfen, solang das Personal nicht richtig vergütet wird.
Am Nachmittag versammelten sich mehrere Tausend Personen auf dem Marktplatz, um an der Kundgebung des Feministischen Streiks Leipzig teilzunehmen. Clara Zetkin war es, die 1910 die Einführung eines internationalen Frauentages forderte. 1921 beschloss die Zweite Internationale Konferenz Kommunistischer Frauen, den 8. März als Gedenktag einzuführen.