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Kultur

Am Anfang war das Brot

Viel zu viele viel zu pathetische Zeilen zum Ende von Fettes Brot – aber die Überschrift ist gut!

  Am Anfang war das Brot | Viel zu viele viel zu pathetische Zeilen zum Ende von Fettes Brot – aber die Überschrift ist gut!

Das neue Video von Fettes Brot hat bisher knapp 310.000 Aufrufe bei Youtube. Die Hälfte davon geht auf mein Konto, sag ich mal. Und ich hab das Video erst letzte Woche entdeckt. Was da los, Digga?

Bevor ich so richtig weit aushole – kulturhistorisch, autobiografisch, das volle Programm –, erst mal der Blick in Text, Musik und Video: »Brot weint nicht«. Nach Jahren also mal wieder Fettes Brot, weil ich gehört habe, dass sich das Trio auflöst, was mir zunächst ein Schulterzucken entlockt oder ein Achselzucken, da sind sich die Gelehrten der Biologie ja bis heute uneins. Was ich damit sagen will: Das angekündigte Band-Ende hat mich nicht ganz kalt gelassen, ich gucke ja immerhin das neue Video an, aber heh: Ich bin erwachsen und kein Take-That-Teenie.

Also Klick aufs heilige Dreieck, das wir am Walkman noch richtig runterpressen mussten, am Discman schon nur noch drückten und seit Jahren nur noch sanft berühren, quasi streicheln. Ob Sie das als Fortschritt im Sinne von weniger Gewaltausübung im Alltag verbuchen oder als Verweichlichung der Menschheit, überlasse ich ganz Ihnen. Aber klar muss uns allen sein: Eins von beidem stimmt. Play also, und wie immer erst danach: Vollbild. Großstadtbaustellendystopie, Björn Beton, König Boris und ein rotes Tuch. Der Vorhang fällt, Doktor Renz dahinter und los – die Hiphop-Polizei kann gleich mal die ersten Strafzettel verteilen. Denn erstens ist das mindestens mal Sprech-G e s a n g und zweitens: Band-Sound. Das sind doch echte Instrumente! Das geht doch nicht. Leude! Vor allem aber sind es diese drei Typen mit diesen drei Stimmen – ich schaue mich ungläubig um – weil ich ganz sicher bin!, weil ich weiß!, weil ich es spüre! –, dass es jetzt und hier neunzehnsechsundneunzig ist und ich in meinem Kinderzimmer hüpfe. Mag ja sein, dass Brot nicht weint, aber Scheiße, verdammte! FETTES BROT LÖSEN SICH AUF! Und damit meine ich nicht die Band, die ich seit ein paar Jahren, seit »Bettina, zieh dir bitte etwas an« vermutlich, aus den Augen verloren habe (zu Recht, wie mir die neueren Songs später verraten werden), sondern die Band, die mein zehnjähriges Ich – und jetzt wird es pathetisch – zur Spielwiese namens deutsche Sprache gebracht hat. Jawohl! Aber interessant. Das war mir bis eben gar nicht klar. Ist aber trotzdem die Wahrheit. Kafka und überhaupt die Bücher kamen später – vor Spilker, Koppruch, Regener zwar, aber definitiv erst nach Rektor Donz, KB-Baby und Flash Müller. Am Anfang war das Brot.

Ich könnte heulen, »Papa und Papa und Papa trennen sich.« – Und was passiert jetzt mit uns, den Scheidungskindern? Man muss ein Herz aus Beton haben, um diese Band aufzulösen!

Bereits im Jahr 2001 heimste sie für »Schwule Mädchen« fünf Gendersterne deluxe ein. Auch eine der wichtigsten Maximen des (Diskurs-) Pops und damit des 21. Jahrhunderts als solchem – das von-lowtzowsche »Im Zweifel für den Zweifel« – hat die Band vorweggenommen, als sie schon 1996 (mit James Last!) »Jein« einspielte, das wie »Westerland« und »Wonderwall« die gute Hälfte einer Generation verbindet. Mitten in dem plaudernden Song um allerlei Fragen, die weder mit Ja, noch mit Nein beantwortet werden können, heißt es: »Ich mach hier nur noch meine Strophe fertig« – dieses Lied hatte das Schreiben seiner selbst im Text! Mein zehnjähriges Ich ging »in die Luft wie’n Hubschrauber«! Und kicherte über die an allen Ecken lauernden Kalauer, von denen hier zumindest einer genannt sei, weil er Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ermöglicht, stilsicher auf Distanz zu gehen, wenn Sie mal wieder in einem hippen Laden frech weggeduzt werden: »Für Sie immer noch Herr Vorragend!«

Am 10. April kommen Fettes Brot letztmals nach Leipzig. Ich schmier schon mal »’n ganz klein bisschen Franzbranntwein« aufs Tanzbein. Oder lass ich’s lieber sein?

> 10.4., 20 Uhr, Arena (verlegt vom Haus Auensee)


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