Sie sind schick gekleidet, die vielen mittelalten Männer an der Moritzbastei. »Ganz schön krass«, denke ich, »für ein Nachwuchs-Jazzfestival«. Aufklärung liefern ein Schild und ein Investigativ-Gespräch. »Nukmed Night« sagt das Schild, »Festabend der Gesellschaft für Nuklearmedizin«, sagt ein (wahrscheinlich) Nuklearmediziner. »Klingt auch funky«, denke ich, »doch das zahlt die Redaktion sicher nicht«. So widerstehe ich dem Drang, mich einen Abend lang als Nuklearmediziner auszugeben, und gehe stattdessen in den Keller. Denn wo sollte er sonst gespielt werden, der gute alte, neue Jazz?
Dort beginnt der Abend mit Applaus fürs Gewandhaus. Die Erklärung: Man dachte, die erste Band bringe ein Vibraphon mit, die Band nahm an, es gäbe eins vor Ort. Ein klassischer »Aha-Moment« beim Soundcheck, erzählt Torsten Reitler, Programmbeauftragter der Moritzbastei. Ersatz fand man schließlich bei den Kollegen von nebenan. Warum er die Geschichte erzählt? Junger Jazz sei aufregend, darauf wolle er hinaus.
Den musikalischen Auftakt gibt die Band mit dem Vibraphon, das Quintett »Appaloosa« aus Nürnberg: Etwas vorsichtig beginnen das Saxofon und Vibraphon, doch so zurückhaltend bleibt es nicht lange. Sekunden später liefern Schlagzeug und Kontrabass Stoff, als wäre es Hip-Hop und kein Jazz (es bleibt Jazz), als trüge der Schlagzeuger keine Schiebermütze, sondern einen Bucket-Hat (er trägt einen Bucket-Hat). Auch sonst scheint die Musik erstaunlich reif und divers im Klang, erscheint als raffinierte Komposition abseits einfacher Liedformen.
Die zweite Band des Abends präsentiert sich elektrifiziert. Stillsicher im Blaumann gekleidet, öffnen »Arthur Kohlhaas Feedback Loop« mittels Delay und Synthesizer den Raum, machen ihn künstlich größer als die Moritzbastei. Dazu lösen sich virtuose Passagen mit Klangwelten ab, zu denen die Musiker teils gar nicht mehr an den Instrumenten, sondern nur noch an den Effekten spielen. Das Ergebnis: Musik zwischen Spiritual Jazz und Videospiel, wie ein Matrixbruch und vertonte Medienkunst. Nur einmal spricht der namensgebende Saxofonist, um die Band vorzustellen: Es gebe ein EP (stilsicher auf Kassette), man spiele jetzt noch kurz zu Ende und treffe sich dann an der Bar.
Eine Umbaupause lässt durchatmen. »Eine Sängerin in der nächsten Band, das bedeutet mehr Ruhe und Form«, denke ich und liege falsch. Über einen Klangteppich aus Bass, Klavier und Schlagzeug singt, spricht, schnalzt und atmet die Sängerin »KOOB« im blauen Regenmantel. Der Auftritt hat Performance-Charakter, mal geht es um den Wahnsinn der Konsumgesellschaft, mal über verschlossene Türen, vor denen man steht. Musikalisch entsteht ein Wechselspiel aus ruhigen und wilden Passagen, mal Harmonie, mal Geräuschkulisse.
Was ist er also, der junge Jazz? An diesem Abend eine Musik, die vor einfachen Schemata flieht, die mal rennt und oft abrupt anhält. Und den Keller etwas größer macht, als er ist.
> Noch zwei weitere Tage (Freitag, 21.4 und Samstag, 22.4.) findet das Futurum Festival in der Moritzbastei statt. An beiden Abenden spielen jeweils drei Nachwuchs-Bands und liefern jungen Jazz jeglicher Spielart.> Mehr Infos zum Programm gibt es auf www.futurum-festival.de
Foto: Künstlerin Koop. Copyright: Torsten Reitler.