Nur wenige Minuten vom Hallenser Marktplatz entfernt befindet sich das Stadtcenter Rolltreppe. Betritt man die zur Großen Steinstraße gerichtete Eingangstür des Einkaufszentrums, fallen hinter der Bäckerei Lampe zwei kleine gegenüberliegende Ladenflächen auf. Auf den Glasfassaden prangt bereits der giftgrüne Schriftzug RE:ENCHANTED BODIES. Zwei Tage vor der Vernissage ist hier viel los, die Künstlerinnen bauen gerade ihre Arbeiten auf. Auf den Böden liegen Kabel, einige Monitore hängen bereits an den fliederfarbenen Wänden.
In die Vergangenheit blicken
Die Ausstellung soll Weiblichkeit im Kontext kapitalistischer Körperpolitik beleuchten und dabei der Gewaltgeschichte des weiblichen Körpers auf den Grund gehen. Neben Kunstobjekten, Videoarbeiten und Performances wird es an zwei aufeinanderfolgenden Samstagen auch Aktionstage mit Vorträgen, Lesungen und Diskussionen geben. Dabei werden etwa die Hexenverfolgungen und die antifeministische Incel-Szene thematisiert sowie rechtliche Handlungsmöglichkeiten für Betroffene von sexualisierter Gewalt aufgezeigt.
Die beiden in Leipzig lebenden Kuratorinnen Janika Jähnisch und Hanna Thuma studieren Kunstwissenschaften an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle. Die Ausstellung ist ihr Masterprojekt. Der Name RE:ENCHANTED BODIES (übersetzt: wieder:verzauberte Körper) geht auf die feministische Theoretikerin Silvia Federici zurück. »Federici will einen Gegenentwurf zum kapitalistischen Individualismus schaffen, eine Kultur des Miteinanders etablieren und dadurch eine Wiederverzauberung der Welt erreichen«, erklärt Thuma
Das Thema Gewalt am weiblichen Körper, insbesondere Femizide, beschäftigt die beiden schon seit einiger Zeit. »Der Fall Myriam Z., welche 2020 in Leipzig von ihrem Ex-Freund ermordet wurde, war ausschlaggebend für eine tiefere Auseinandersetzung mit der Thematik«, erzählt Jähnisch. Die wesentlichen Fragen, die sie sich stellt, seien: Wie kann man gewaltfrei miteinander leben? Wie kann eine positive Wiederaneignung (Verzauberung) der gewalterfahrenen (entzauberten) Körper gelingen?
Kunst und Aktivismus vereinen
Zentrales Merkmal der Ausstellung ist es, Kunst und politischen Aktivismus zusammen zu denken. Deswegen wollten Jähnisch und Thuma nicht nur bloße Objekte ausstellen. Das Projekt sollte auch einen stark partizipativen Anteil haben. »Wir wollen eine Ausstellung, die spricht«, sagt Thuma. Es sei wichtig, sich nicht nur theoretisch mit dem Thema zu beschäftigen, sondern auch selbst zu agieren.
Dieser Ansatz zeigt sich auch in den Arbeiten von Alexandra Ivanciu und Jolanta Nowaczyk. Die in Leipzig und Prag lebenden Künstlerinnen beschäftigen sich mit dem Zugang zu reproduktiven Rechten, insbesondere Schwangerschaftsabbrüchen.
Ein Teil ihres Projekts ist es, in Apotheken zu gehen und die Pille danach zu kaufen. Diese wollen sie an Organisationen spenden, welche Personen in Ländern unterstützen, in denen der Zugang zur Notfallverhütung nicht gegeben ist, so etwa in Polen. Dabei haben sie sich gefilmt.
Die Videos sollen Besucherinnen und Besucher dazu anregen, es ihnen nachzutun. Hierfür haben sie extra eine kleine Stadtkarte mit verschiedenen Apotheken in Halle angefertigt. Ivanciu, die gerade zum Aufbauen gekommen ist, betont aber: »Mir ist bewusst, dass Notfallverhütung nur ein kleiner Schritt ist. Das Problem ist eigentlich viel breiter. Es fängt bereits mit der Sexualerziehug an und geht dann über Verhütung bis hin zu Schwangerschaftsabbrüchen«.Dennoch sei es ihr wichtig, andere zum Handeln anzuregen, indem sie Kunsträume für ihren Aktivismus vereinnahmt.
Rolltreppe statt Museum
Die Ladenflächen im Einkaufszentrum als Ausstellungsräume haben für das Projekt eine besondere Bedeutung. Die Kuratorinnen wollen sich bewusst von dem Ort Museum lösen, um mit der Kunst im Alltag sichtbar zu sein. »Wir wollen Menschen die Möglichkeit geben, sich mit Kunst zu beschäftigen, ohne sich bewusst dafür zu entscheiden. Dadurch wollen wir ein breiteres Publikum erreichen«, erklärt Thuma. Die Innenstadt mit ihrer Laufkundschaft sei dafür perfekt geeignet.
Schon während des Aufbaus sei Thuma bereits mehrmals spontan angesprochen worden. »Die meisten sind lediglich interessiert gewesen. Es hat aber auch schon kritische Stimmen gegeben. Ein Mann hat beispielsweise angemerkt, es gäbe auch Gewalt an männlichen Körpern«. Jähnisch und Thuma sei es wichtig, mit den Menschen in die Diskussion zu gehen und aufzuzeigen, dass speziell die Gewalt an weiblichen Körpern eine ganz eigene lange Geschichte hat, die sowohl mit unserem Gesellschafts- als auch Wirtschaftssystem zusammenhängt. Daneben möchten sie während der Ausstellungstage eine »wiederverzauberte Welt« erschaffen, indem die Räume zum gemeinsamen Erinnern, Kennenlernen und dem gegenseitigen Austausch genutzt werden. So wollen sie im Sinne Federicis einen Ort der Fürsorge und des füreinander Daseins etablieren.
> Die Ausstellung läuft vom 4.-13. Mai im Einkaufszentrum Rolltreppe. Der Eintritt ist frei.
> Mehr Infos und das Programm gibt es hier.
Foto: Anna Mysiak.