Lya steht im schwarzen Hidschāb mitten im Innenhof der Hochschule für Graphik und Buchkunst. An sich gepresst einen silbergrauen Rucksack. Verloren blickt sie in das menschenvolle Atrium. Irgendeiner macht eine blöde Bemerkung, hier würde gleich alles in die Luft gehen. Sie ignoriert ihn. Da kommt das erlösende Angebot von Clara und Kasper, sich zu ihnen zu setzen. So begegnen sich drei vollkommen unterschiedliche Erstis, die alle das selbe Ziel vor Augen haben: Schauspieler zu werden – denn Regisseur Marco Gadge hat die HGB für seinen Debütfilm »Julia muss sterben« kurzerhand in eine Schauspielschule verwandelt.
Hier treffen drei Schauspielschüler bei einem Vorsprechen aufeinander, freunden sich an und verbringen einen turbulenten Tag miteinander. Clara pendelt irgendwo zwischen brillant und Borderline. Kasper weiß noch nicht so recht, wohin mit sich. Im Mittelpunkt steht aber Lya. Sie riskiert alles, um hier zu sein. Sie hat ihren Vater, ein Pflegefall, um den sie sich seit neun Jahren kümmern muss, mit Schlaftabletten ruhig gestellt, nur um zu diesem Vorsprechen zu gelangen. Er hätte es niemals erlaubt, ebensowenig wie ihr großer Bruder. Nur ihre kleine Nichte Alina begreift, was Lya die Schauspielerei bedeutet. Aber bis dahin geschehen allerlei Absurditäten wie eine vermeintliche Geiselnahme und es gilt nebenbei noch, die Schauspielschule zu retten. Schließlich sind wir hier in einer Komödie.
Ende August wurde »Julia muss sterben« in 17 Drehtagen in und um die HGB herum abgedreht. Bis dahin war es ein langer Weg. Jahrelang drehte Marco Gadge Kurzfilme, gewann Publikumspreise rund um die Welt. Sein letzter Short »Irgendwer« schaffte es sogar in die Vorauswahl für den Oscar. Doch nach zwölf kurzen war der Wunsch da, endlich auch mal einen Langfilm zu inszenieren. Die Idee dazu trug der Leipziger schon lange mit sich herum. Doch Geldgeber für eine Komödie abseits von Schweiger und Schweighöfer zu finden, ist gar nicht so einfach, stellte Gadge fest. »Ich hab mich schon mit den Kurzfilmen um Förderung bei der Mitteldeutschen Medienförderung beworben, bin aber immer wieder gescheitert. So war es auch, als ich mein erstes Treatment zu meinem Langfilm einreichte.«
Auch die Gespräche mit einem Produzenten scheiterten, so dass sich Gadge schließlich entschied, es selbst anzupacken. »Ich habe mich mit Mike Brandin, der bereits meine Kurzfilme produziert hatte, zusammengesetzt und wir haben uns gedacht: Wir machen das jetzt einfach.« Gadge entwickelte das Drehbuch und ging auf die Suche nach Schauspielern. Parallel entwickelte er mit Brandin einen Finanzierungsplan und reichte das Buch erneut bei der MDM ein. Am zweiten Drehtag dann die Erlösung: Die MDM fördert das Debüt mit dem Höchstsatz, 200.000 Euro. Damit kann man zwar noch keinen Film drehen, sagt Gadge, aber es war ein wichtiger Schritt ins Leben für »Julia«.
»Auch ohne die sichere Finanzierung war die Stimmung am Set super«, erzählt Gadge. »Hilfreich war da sicherlich unser Biersponsor.« In der HGB herrschte kreatives Chaos. »Die Hochschulleitung gab uns alle Freiheiten, so dass wir am Ende sogar auf dem Dach drehen konnten.« Vor dem Panorama der Leipziger City spielt sich eine Schlüsselszene des Films ab, in der Clara Lyas Vater mit einer Waffe bedroht – umringt von einem Rudel Schauspielschüler und -lehrer. »Wir hatten ein riesiges Ensemble. 30 Schauspieler, die alle mitgemacht haben. Es gab keine Komparsen. Wer nichts zu tun hatte, steckte unter der Burka.«
Gadge liebt das Spiel mit den Tabus. »Während des Drehs haben mich Schauspieler immer wieder gefragt: Geht das? Kann man das machen? Es ist erstaunlich, wieviel Angst wir haben, die Gefühle und Befindlichkeiten anderer auf gar keinen Fall zu verletzen. Ich denke, Humor ist das einzige, was uns noch retten kann.« Dabei driftet »Julia muss sterben« niemals in Brachialhumor ab, sondern setzt sich klug mit Vorurteilen und Klischees auseinander. »Im Film treffen viele unterschiedliche Perspektiven aufeinander. Am Ende steht aber der Zusammenhalt.«
> TV-Premiere (14.5., 23.50 Uhr, ARD) und anschließend in der ARD-Mediathek
Foto: Der Filmverleih GmbH.