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Kultur

»In der Vergangenheit habe ich mich versteckt«

Mit ihrem neuen Album »6abotage« betritt die Wahlberlinerin Dillon künstlerisch neues Terrain

  »In der Vergangenheit habe ich mich versteckt« | Mit ihrem neuen Album »6abotage« betritt die Wahlberlinerin Dillon künstlerisch neues Terrain

Längere Pausen oder Zeiten der Abstinenz sind für Kunst- und Kulturschaffende oft ergiebiger und wertvoller, als das von außen zuweilen erscheinen mag. Denn sie bieten Raum für Reflexion, Einkehr und Neuorientierung. Die Wahlberlinerin Dillon, die im Jahr 2011 mit ihrem Debüt »This Silence Kills« und darauf enthaltenen Evergreens wie »Thirteen Thirtyfive« und »Tip Tapping« sowohl die Kritik als auch das Publikum begeisterte, kann davon ein Lied singen. 

Denn nach ihrem letzten Album »Kind« aus dem Jahr 2017 und der EP »When Breathing Feels Like Drowning« aus dem Jahr 2019 war es still geworden um die Deutsch-Brasilianerin, die im Alter von vier Jahren mit ihrer Mutter nach Köln gezogen ist. Eine kleine Tournee, dann der Lockdown, nur noch eine Handvoll Konzerte. Kamen da nicht mal irgendwann Langeweile oder Entzugserscheinungen auf? »Anfangs definitiv nicht. Ich habe kurz vor dem Lockdown mein erstes Kind bekommen und war da mit meinen Gedanken dementsprechend erst mal ganz woanders.«  

In dieser neuen Lebensphase kam ihr dann die Kollaboration mit dem Produzenten Alexis Troy entgegen, der mit seinen Soundskizzen die Fundamente der neuen Songs lieferte. Während sie in der Vergangenheit den Großteil ihrer Songs am Piano schrieb, konnte sie nun auch mal Demos von Alexis beim Stillen hören und daraus eigene Ideen weiterspinnen. Getroffen haben die beiden sich innerhalb der vier Jahre währenden Zusammenarbeit genau einmal. Doch Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung waren auch virtuell schnell hergestellt. 

Die Zusammenarbeit mit Troy macht sich in den neuen Songs soundästhetisch deutlich bemerkbar: Denn war ihre Musik in der Vergangenheit zumeist um die für sie lange so markanten Pianopassagen herum aufgebaut, kommt der Sound auf »6abotage« deutlich Beat- und Hiphop-lastiger daher. Sie sei dankbar dafür, dass die Songs nicht aus dem Nichts, sondern auf Grundlage von Troys Skizzen entstanden, was für sie »befreiend und inspirierend« zugleich gewesen sei. Durch die Zusammenarbeit mit Alexis habe sie sogar auf einen Teil von sich selbst zugreifen können, »der künstlerisch noch zu erforschen war«. Große Worte, doch welchen Teil meint sie damit? »Vor allem einen Teil von mir, der lasziver und sexueller ist. In der Vergangenheit hatte ich noch mehr das Gefühl, mich verstecken zu müssen, bin zumeist komplett in Schwarz gekleidet auf die Bühne gegangen«, erinnert sich Dillon. »Jetzt zeige ich mich mit kurzen Haaren, halbnackt in Farbe. Das hätte ich mich in der Vergangenheit nicht getraut, einfach weil ich generell ein sehr schüchterner und introvertierter Mensch bin.« Die Interpretation, dass »6abotage« dadurch intimer sei als vorherige Alben, weist sie von sich: »Nein, jedes Album ist auf seine Weise intim. Das würde ich niemals hierarchisieren, genauso wenig wie man es als Eltern mag, Kinder miteinander zu vergleichen.« 

Die neu gewonnenen Freiheiten versteht sie dabei selbst als Ergebnis eines »erfolgreichen Protests«, der innerhalb der neuen Songs artikuliert werde. Dieser richte sich »gegen Vorurteile, Einsamkeit, auch gegen Frauenfeindlichkeit und das Patriarchat. Und nicht zuletzt gegen die Privilegien der westlichen Welt«. Als genuin politisch versteht Dillon ihre Musik aber nicht: »Nicht, weil ich nicht politisch bin. Sondern weil ich nicht die richtigen Wörter dafür habe.« Kurz überlegt sie dann, um daraufhin wieder den Fokus auf den Protest zu richten: »Allein die Tatsache, dass ich als Frau, als Solokünstlerin im Musikbusiness so lange durchgehalten habe, ist ein Protest. Denn ich habe mich immer geweigert, Sachen zu machen, die von anderen Leuten an mich herangetragen wurden, mir aber nicht gefallen haben.« Hat sie dafür Beispiele? »Von Labelseite habe ich im Zuge der Pandemie-bedingt schlechten Ticketvorverkäufe gehört, dass ich einfach mal mehr auf Social Media posten solle – als wenn das das wahre Problem wäre. Da frag ich mich manchmal echt: ›Ey Leute, was geht bei euch?‹« Zumal der Austausch mit deutlich erfolgreicheren Künstlerinnen aus ihrem Umfeld ihr einmal mehr vor Augen geführt habe, dass es sich bei den teils massiven Absatzschwierigkeiten von Konzerttickets nicht um ein individuelles, sondern vielmehr um ein strukturelles Problem gehandelt habe. 

Weise Worte – und doch bleibt zu hoffen, dass das von ihr umrissene Problem sich wieder auswachsen wird. Denn bei aller Intimität und Zerbrechlichkeit, die auch ihre Studioalben in sich tragen, entfaltet sich die Intensität ihrer Musik erst auf der Bühne in Gänze. Wer daran zweifelt, dem sei im Juni ein Realitätscheck im Täubchenthal empfohlen. 

> 9.6., 20 Uhr, Täubchenthal 


Foto: Promo.


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