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Kultur

Diskurs draußen

Die Kinostarts der Woche

  Diskurs draußen | Die Kinostarts der Woche

Nach dem Eklat um »Ukraine on Fire« im vergangenen Jahr (s. kreuzer 10/22) war zumindest für uns bis kurz vor Redaktionsschluss des aktuellen Hefts offen, ob die Globale in ihrem 20. Jahr stattfinden würde. Doch die Finanzierung steht und ebenso das Programm, das in diesem Jahr eine Woche später am 3. August startet und bis Ende Oktober zahlreiche Dokumentar- und einige Spielfilme auf die mobile Leinwand unter anderem im Clara-Zetkin-Park und am Richard-Wagner-Hain bringen wird.

Zu sehen gibt es die gewohnte Mischung aus politischen Porträts wie »Lumumba« vom oscarnominierten Dokumentaristen Raoul Peck (»I am not your negro«), historischen Dokus etwa über Ernst Busch und unabhängigen Arbeiten wie »Das andere Leben« der KO-Filmkooperative Berlin/Jena/Leipzig, der einer »einseitigen, meist negativen Darstellung der DDR« den »sozialistischen Staat als eine real existierende Alternative zu Armut, Vereinzelung und Krieg« gegenüberstellt. Diskutiert werden kann das im Anschluss an die Vorführung am 9. August mit den Filmemachern und Filmemacherinnen von der Kommunistischen Organisation

»GlobaLE – Globalisierungskritisches Filmefestival«: 3.8.–31.10., diverse Orte

Film der Woche: Es ist ein einprägsames Bild. Drei Jungen stehen in einer Dusche und gießen sich mit einer Schale abwechselnd Wasser über den Kopf. Das Drama entsteht durch den Kontext. Die Jungen leben in einem Internat in den Bergen von Ostanatolien. Sie sind Kurden, die mit harter Hand zu aufrechten Türken erzogen werden sollen. Weil sie sich um die Wasserschale gestritten haben, müssen sie sich mit kaltem Wasser abduschen. Bei Außentemperaturen von Minus 34 Grad, während nebenan der Badezimmerpräfekt steht und sie anschreit.

Regisseur Ferit Karahan ist selbst Kurde und war auf einer ähnlichen Schule wie der im Film gezeigten. In Interviews hat er wiederholt daraufhin gewiesen, mit »Brother’s Keeper« auch eigene Erfahrungen zu verarbeiten. Vermutlich erklärt sich so die besondere Sensibilität seiner Aufnahmen. Das Changieren zwischen Wut und Empathie für die Schüler, aber eben auch die Lehrer, die oft genug zu drakonischen Maßnahmen greifen, um die Ordnung zu erhalten. Den Rest erledigt ein durchweg überzeugender Cast.

Ein Tag nach dem Vorfall unter der Dusche öffnet der junge Memo seine Augen nicht mehr. Sein bester Freund Yusuf bringt ihn ins Krankenzimmer. Doch dort gibt es nur Aspirin. Während draußen der Schnee fällt und die Wege unpassierbar macht, verschlechtert sich die Gesundheit des kleinen Memo und zwingt Lehrer und Schüler zu einem Blick in den Abgrund. »Brother’s Keeper« ist ein bemerkenswerter Film von zärtlicher Wucht. Josef Braun

»Brother’s Keeper«: ab 27.7., Passage-Kinos

In einer Teenagerclique kursiert gerade ein seltsamer mystischer Gegenstand: Eine Keramikhand soll es dem Berührendem ermöglichen, Geister verstorbener Menschen in sich aufzunehmen, die dann durch ihn sprechen. Mia hat vor nicht allzu langer Zeit ihre Mutter durch eine Tablettenüberdosis verloren. Ihr Vater ist ihr bei der Trauerarbeit keine allzu große Hilfe, stattdessen findet sie Trost bei ihrer besten Freundin Jade und deren Familie. Als die Freundinnen ebenfalls an den Ritualen mit der Geisterhand teilnehmen, erscheint Mia schließlich ihre verstorbene Mutter.

Das Langfilmdebüt der beiden durch Youtube-Clips bekannt gewordenen australischen Zwillingsbrüder Danny und Michael Philippou erfindet das Horrorgenre natürlich nicht neu, ist aber für ein Erstlingswerk erstaunlich clever gemacht und tiefgründiger als erwartet. Denn die beiden Filmemacher entfalten darin einen interessanten Diskurs über Leben und Tod, beschäftigen sich mit Trauerbewältigung, der Notwendigkeit, loslassen zu können, und tangieren sogar das Thema Sterbehilfe kurz. Von diesen inhaltlichen Aspekten abgesehen gelingt es den Philippou-Brüdern aber auch sehr überzeugend, eine spannende Gruselatmosphäre aufzubauen, die das Publikum effektvoll in den Bann zieht, ohne dass das Regieduo dabei häufig auf die dankbaren, aber doch recht platten Jump-Scares zurückgreifen müsste, die heutzutage oft eingesetzt werden. Frank Brenner

»Talk to Me«: ab 27.7., Regina-Palast

Clara (Penelope Cruz) und ihre Kinder sind eine eigeschworene Gemeinschaft. Mit Fantasie und Liebe macht die Mutter den Alltag ein wenig bunter. Wenn der Vater im Haus ist, herrscht Ordnung und Tristesse. Für Adri (Luana Giuliani) ist das Heranwachsen im Rom der Siebziger eine verwirrende Zeit. Während die Eltern zunehmend streiten, verliebt er sich in ein Mädchen aus dem Arbeiterviertel und gibt sich als Andreas aus – dabei steht in seinem Pass Adriana. Clara versucht weiter hilflos, den Optimismus aufrecht zu halten und kaschiert die blauen Flecken mit Make-Up. Adri verliert sich unterdessen immer mehr in Tagträumen, die Regisseur und Autor Emanuele Crialese in wunderbar arrangierten Tanzsequenzen inszeniert. Die kunstvoll gestalteten Bilder von Gergely Pohárnok sind in warme Farben getaucht. Die Kostüme und die Bildgestaltung geben ein traumgleiches Gefühl der Siebziger Jahre wieder, die für Clara eher Albtraum sind, gefangen in einer lieblosen Ehe. Penelope Cruz spielt sie einnehmend und das Auge der Kamera inszeniert sie bittersüß als Darstellerin in ihrem eigenen Leben. Lars Tunçay

»L'Immensità«: ab 27.7., Passage-Kinos

Der Wind peitscht gegen das Metall der Außenhülle. Regen schneidet sich scharf in die Gesichter der Crew, die verbissen gegen die Elemente kämpft, um dem Meer ein paar Fische abzuringen. Der Sturm wird stärker und droht die Station in Stücke zu reißen. Doch die steht wie ein Fels in der Brandung. Am Morgen danach ist Ruhe eingekehrt und die Sonne scheint über dem endlosen Meer, das 90 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, seit die Menschheit sich gegenseitig und schließlich die Natur zerstörten. Nur noch zwei Kontinente sind übrig und führen seit Jahrzehnten einen Krieg um die Vorherrschaft. Die Station ist der letzte Außenposten und Hüter einer Waffe, die den Krieg beenden und die Menschheit endgültig auslöschen könnte. Daher hat es sich Kommandeur Hendricks zur Aufgabe gemacht, den Posten mit allen Mitteln zu verteidigen. An seiner Seite sind aber nur noch die zweite Befehlshabende Cassidy (Kate Bosworth), der Soldat Sullivan (Lucien Laviscount) und Mechaniker Baines (Martin McCann). Als Zweifel über den Sinn der Mission aufkommen, riecht Hendricks eine Meuterei.

Die Prämisse des zweiten Langfilms von Tanel Toom ist vielversprechend, die Spannung in der Auftaktsequenz hoch. Aber beides ist irreführend. Denn dem estnischen Regisseur, dessen Kurzfilm »The Confession« 2011 für den Oscar nominiert wurde, geht es mehr um die Charakterisierung seiner Figuren. Die sind allerdings allesamt recht eindimensional, sodass auch die brauchbare Crew aus Kate Bosworth (»Superman Returns«), Lucien Laviscount (»Emily in Paris«), Martin McCann (»The Survivalist«) und Thomas Kretschmann, der aktuell mal wieder den Nazi im neuen »Indiana Jones« geben darf, nicht wirklich viel daraus machen können. Was in Erinnerung bleibt, ist vor allem das interessante Szenario, dass durch die überzeugende visuelle Gestaltung zum Leben erweckt wird.

»Last Contact«: ab 27.7., Passage-Kinos, Cineplex

Weitere Filmtermine der Woche

Filmreihe »Liebe« 
Filme des Medienprojekt Wuppertal
Lixer, 28.07., 20 Uhr (Kultursommers Kleinzschocher)

Sword Art Online: Progressive Scherzo Of Deep Night 
J 2022, R: Ayako Kouno, 101 min
Prequel der Animereihe »Sword Art Online – Progressive«.
Regina-Palast, 29.07., 13 Uhr, 30.07., 17 Uhr (Anime Special, OmU)

Kurzfilmwanderung Leipzig 
Eutrtizscher Markt, 28./29.07., 21 Uhr

Wer weiß, wohin? 
F/LIB 2011, R: Nadine Labaki, D: Nadine Labaki, Yvonne Maalouf, Claude Baz Moussawbaa, 110 min
Die Frauen um die Café-Besitzerin Amale zetteln in einem kleinen Dorf im Libanon einen Aufstand gegen die Männer an. Humorvoll-märchenhaftes Plädoyer für Toleranz.
Clara-Zetkin-Park, 03.08., 21 Uhr (OmU, Globale)

Captaine Thomas Sankara 
CH 2012, Dok, R: Christophe Cupelin
Dokumentarfilm über den Militäroffizier, Marxist, Revolutionär und Präsident von Burkina Faso.
Clara-Zetkin-Park, 04.08., 21 Uhr (Globale, OmU)

Das Parfum
F/D/E 2006, R: Tom Tykwer, D: Ben Whishaw, Dustin Hoffman, Alan Rickman, 147 min
Die Geschichte von Jean-Baptiste Grenouille, der mit einem außerordentlichen Geruchssinn zur Welt gekommen ist und nach dem ultimativen Duft sucht. Romanadaption nach Patrick Süskind.
Cinestar, 01.08., 19:30 Uhr
Regina-Palast, Cineplex, 01.08., 20 Uhr

Nachtkatzen 
CH 2022, R: Valentin Merz, D: Adrian Merz, Alain Labrune, Andoni De la Cruz, 100 min
Inmitten der Dreharbeiten zu seinem neuesten Fetisch-Film verschwindet der Regisseur Valentin plötzlich scheinbar spurlos. Der Fall nimmt schnell bizarre Züge an, denn ein spanisches Mitglied der Filmcrew behauptet, im Traum Valentins Leiche in einem Wald liegend gesehen zu haben.

Luru-Kino in der Spinnerei, 03.08., 19 Uhr (in Anwesenheit des Regisseurs)


Titelbild: Filmstill aus »Brother’s Keeper«, Copyright Moonlight Films Distribution


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