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Kultur

Digitaler Zengarten

Tangerine Dream, die Pioniere psychedelischer und elektronischer Musik, kommen ins Gewandhaus

  Digitaler Zengarten | Tangerine Dream, die Pioniere psychedelischer und elektronischer Musik, kommen ins Gewandhaus  Foto: Melanie Reinisch/Eastgate

»Es gibt keinen Tod, es ändert sich nur die kosmische Adresse«, so der 2015 verstorbene Edgar Froese, Gründungsmitglied von Tangerine Dream. Obgleich diese kosmische Adresse, von der der Komponist, Musiker und Künstler sprach, ein Geheimnis bleibt, spürt man doch den Drang zum Außerweltlichen in der Musik der Gruppe. Die Pioniere psychedelischer und elektronischer Musik sind längst in die Musikgeschichte eingegangen. Nach zahlreichen Besetzungswechseln sind Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Paul Frick seit drei Jahren Tangerine Dream – auch wenn sie zur Bandgründung 1967 noch nicht mal geboren waren.

Tangerine Dream sind ein unglaubliches Stück Musikgeschichte. Wie schaffen Sie es, den Sinn für Neues zu bewahren?

Erst einmal vielen Dank für das Kompliment. Ich glaube und hoffe, dass die Idee und der Antrieb, Musik zu schaffen, immer eine Mischung aus dem Streben nach Neuem und der Summierung der eigenen Erfahrungen, dem Erlernten und unserer Gefühle sind. Die Suche nach einem neuen Klang, einer bisher nicht häufig benutzen Tonfolge und Akkordprogression hält diesen Prozess interessant. Wir halten uns an die von Edgar Froese ersonnenen »Tangerine-Dream-Regeln« inklusive des Konzepts, die Musik und die Band nicht museal zu verstehen, sondern sequenzergetriebene, elektronische Musik aus und in der Jetztzeit zu komponieren.


Sie schaffen Klanglandschaften für Filme oder Videospiele, die Sie über Ihre Plattenveröffentlichung hinaus erarbeiten. Unterscheiden sich die Herangehensweisen dafür voneinander?

Musik, die wir für Alben oder auch live auf der Bühne neu komponieren, entsteht in einem freien Kontext. Hier können wir die Musik komplett für sich sprechen lassen, gepaart mit den aktuellen Studiomöglichkeiten, neuen und alten Instrumenten – eine Mischung aus analogen, modularen, virtuell analogen, digitalen und Software-Synthesizern. Dabei geht es alleine um die Musik innerhalb unseres eigenen kleinen Mikrokosmos. 
Hingegen verstehen wir Film- und Videospiel-Musik eher aus der Position, dem Film oder Spiel zu dienen, deren Atmosphären und Handlungen zu unterstützen. Der besondere und entscheidende Unterschied beim Schreiben von Videospiel-Musik ist, dass man im Vorfeld nicht weiß, wie lange die spielende Person für die Lösung der jeweiligen Aufgaben innerhalb des Spiels benötigt. Das kann zwischen ein paar Minuten und mehreren Stunden dauern. Hier wären »große Melodien« kontraproduktiv, da sie sich zu häufig wiederholen würden. Für diese Szenarien sind eher kurze Einwürfe und Zitate wichtig, die die Stimmung des Spiels unterstützen und bestenfalls verstärken.
 

Wie kam es dazu, dass Sie den Soundtrack für »GTA V« schufen?

Rockstar-Games waren für das Spiel vom Michael-Mann-Film »Thief« inspiriert, für den Tangerine Dream damals die Filmmusik geschrieben haben. Und sie waren davon überzeugt, dass die Band auch 30 Jahre nach Erscheinen des Films die richtige Wahl für die Vertonung ihres Spiels wäre.


Woran arbeiten Sie gerade?

In diesem Jahr haben wir uns im Rahmen der bisher größten Tangerine-Dream-Tour mit weit über 60 Konzerten in den USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Polen, der Schweiz, Portugal, den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Italien sehr auf Konzerte und das Schaffen von neuer Musik auf der Bühne konzentriert. Das Finale unserer Konzerte, nach dem sogenannten Hauptset, ist eine Session, in der wir Musik aus dem Augenblick heraus komponieren. Diese Sessions dauern zwischen 20 und 60 Minuten – und sind für uns häufig das Highlight des Abends.
Anfang 2024 werden wir dann mit der Produktion unseres nächsten Studioalbums beginnen. Das ist nach der langen Zeit unterwegs ein schöner Kontrast  – und eine hervorragende Gelegenheit, die erlernten Dinge zu verarbeiten und in Musik umzuwandeln.


Diedrich Diederichsen attestiert Ihrer Band in Christoph Dallachs Buch »Future Sounds – wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten« ein Klang-Interesse »an fernen Horizonten, endlosen Ebenen, entmenschlichter planetarischer Schönheit«. – Ist Ihre Musik  posthuman, also die gegenwärtige menschliche Situation überwindend?

Musik ist für uns während der Schaffensphase eher eine private Angelegenheit, häufig getriggert von inneren und äußeren Einflüssen. Die Instrumente werden wie eine Art Katalysator als Werkzeuge benutzt, um möglichst nah an die Klänge und Melodien zu kommen, die wir vorher in unseren Köpfen hatten. Die Emotionen und Ideen der Komponisten sind aber der Hauptbestandteil des Ergebnisses. Für uns wirkt diese Klangästhetik natürlich und fast selbstverständlich. Nach Erscheinen oder Aufführung der Musik ist es jedes Mal ein großes Abenteuer zu sehen, wie diese Musik vom Publikum aufgefasst und gefühlt wird. Emotionen auszulösen, Verbundenheit in den Gesichtern zu sehen ist für uns ein Moment von Glück – und vielleicht eine kleine Bestätigung, dass wir in der aktuellen, oft nicht nur positiv behafteten Situation mit unserem Gefühl nicht alleine sind und die gemeinsamen Momente vielleicht sogar etwas Hoffnung schaffen. Musik könnte vieles, wahrscheinlich auch uns überdauern, allerdings wäre es schön und gut, diese Musik so lange es geht gemeinsam zu erleben und zu fühlen. 

> 10.10., 20 Uhr, Gewandhaus


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